ZwischenZEIT 13. Mai 2020

Heute möchte ich Ihnen in der ZwischenZEIT von einer berührenden Begebenheit berichten. Von einer Begebenheit, die vom kleinen Glück erzählt in Zeiten von Corona. Die aber auch im Zusammenhang steht mit einer unserer schönsten und beliebtesten Reisen.

Im Sommer 2016 fuhren wir zum vierten Mal mit einer großen Gästeschar auf der »Queen Mary 2« von Hamburg nach New York über den Atlantik. Begleitet hat uns bei      der Passage auf dem letzten Oceanliner dieser Welt der Bildhauer Hans Panschar mit seinem Kunstprojekt der »Transatlantischen Flaschenpost«. Zehn Tage dauerte die Passage, in zehn gläsernen Fläschchen hatte der Künstler jeweils eine Miniatur         seiner ansonsten großformatigen Werke wasserdicht verschlossen.

Und an jedem Reisetag durfte eine Reiseteilnehmerin am Heck des Schiffes eine Flaschenpost in den Ozean werfen. Keine Flasche, die in jenem Jahr auf Reisen geschickt wurde, war bisher wieder aufgetaucht. Bis zum vergangenen Montag.

Noch am Morgen hatten wir wegen der Auswirkungen von Corona erstmals nach acht erfolgreichen Jahren ausgerechnet die Passage auf der »Queen Mary 2« zum 20-jährigen Jubiläum von ZEIT REISEN abgesagt. Noch am selben Abend erreichte mich über Hans Panschar eine bewegende Nachricht aus New York, von Emily Lorenzo:

»Hello! To say the least, this was the needed treasure I needed to find during a time like this, April by far was one of the hardest times in my life … The fear of almost losing my dad, my mom being sick/quarantined and I was all of a sudden left to take care of my 3 year old brother. That being said, this is by far the most awesome, exciting thing that’s happened right now considering the pandemic. I found the letter at Fort Wadsworth in Staten Island, New York, on a small hidden beach that has the perfect view of the Verrazano Bridge. The letter picked a great spot to wait for me! Thank you for the Adventure, it’s crazy how time has changed since July 2016!«

Die 10. Flasche der »Transatlantischen Flaschenpost«, die Panschars Tochter Lotte als letzte in die Upper Bay vor der Südspitze Manhattans geworfen hatte, hat zwar nicht überlebt, und auch die aus Holz geschnitzte Miniatur der Elbphilharmonie ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Nicht aber die in Plastik eingeschweißte Skizze des Projekts mit der Adresse des Künstlers.

Wer hätte im Sommer 2016 auch nur ahnen können, dass eine Pandemie die gesamte Welt derart lahmlegen würde und unser kleines Projekt einer jungen Frau in der vom Coronavirus heftig getroffenen Weltmetropole New York Trost und Freude spenden würde. Im Sommer 2021 jedenfalls, so hoffen wir alle, werden wir unsere Jubiläumsreise nachholen – dann aber ganz sicher mit einer von Hans Panschar für Emily geschnitzten Elbphilharmonie aus Holz an Bord.

Mehr über Hans Panschars Holzobjekte und die »Transatlantische Flaschenpost« erfahren Sie auf seiner Website unter hanspanschar.de

LiteraTouren
Für die heutige ZwischenZEIT hat uns unsere langjährige Reisebegleiterin Uschi Demeter aus ihrem Corona-Exil in Südtirol ihre Leseempfehlung gesandt: Wer »Die Pest« fertig gelesen und bei Camus Analogien zu Corona entdeckt hat, kann jetzt seine Freude an T.C.Boyle finden. Mit einer Laufbahn als Alkoholiker-Kind, Hippie, Tschechow-Experte und Literaturprofessor hat der Autor mit geschärftem Blick unsere wahnwitzige Gegen-wart in Storys aufgespießt, die alle Ausgeburten von Corona-Verschwörungen in den Schatten stellen. Der Titel der neuen Boyle-Storys: »Sind wir nicht Menschen«. 2020 erschienen im Hanser Verlag, München.

ZEIT für Musik
Am 17. Juli 2008 gab Leonard Cohen sein legendäres Konzert in London. Als Zugabe sang er eines seiner größten Lieder, das sich gegen den weltweiten Terrorismus richtet. Heute hält nicht der Terrorismus, sondern ein unsichtbares Virus die Welt in Atem: Mit Cohens »First We Take Manhattan« verabschieden wir uns vom Mittwoch als Erscheinungstag der ZwischenZEIT. Fortan kommt der Newsletter ausschließlich und wie gewohnt sonntags um 11 Uhr. Bis dann auf Wiedersehen und einen schönen Abend!

Auch heute freuen uns auf Ihre Resonanz und Ihre Anregungen unter der Mailadresse zwischenzeit@zeit.de. Und falls Sie die ZwischenZEIT weiterempfehlen möchten, hier der Link zur Anmeldung.

Herzliche Grüße,
Ihr
Bernd Loppow
Gründer und Programmleiter
ZEIT REISEN