Wavewalker von Suzanne Heywood

»Als Kind hatte ich keine Kontrolle über mein Leben, doch als Erwachsene habe ich das Recht, meine Geschichte so ehrlich wie nur möglich zu erzählen.«


Suzanne Heywood


Als Suzanne Heywood sieben Jahre alt ist, beschließen ihre Eltern, ihr gewohntes Leben in England zurückzulassen, um mit ihrem jüngeren Bruder und ihr auf einem Schiff die dritte Reise von Captain James Cook nachzufahren. Für die junge Suzanne hält das Leben an Bord zahlreiche aufregende Erlebnisse bereit. Doch bald schon geraten sie von einem Sturm in den nächsten, und es kommt dabei zu lebensgefährlichen Situationen. Aus den ursprünglich geplanten drei werden schließlich zehn Jahre, die sie auf hoher See verbringt. Suzanne fühlt sie sich bald gefangen im Lebenstraum ihres Vaters. Sie sehnt sie sich nach Sicherheit, einem geregelten Tagesablauf, Festland, Freunden und vor allem nach Schulbildung. Durch harte Arbeit, Fleiß und ihren unbeugsamen Willen schafft sie es, auch auf hoher See ihren Schulabschluss zu machen, um schließlich mit 17 Jahren in  ihre  Heimat  zurückkehren zu können.

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Auf den Spuren von Captain Cook

Im Juli 1976 sticht Suzanne mit ihrem kleinen Bruder und ihren Eltern in See. Von Plymouth über Madeira und Teneriffa geht es nach Rio de Janeiro und von dort weiter nach Kapstadt. Der Abschied von ihrer besten Freundin und der Schule fällt ihr schwer, aber begleitet von fliegenden Fischen und einem Pottwal ist die siebenjährige Suzanne zunächst mit kindlicher Freude und Neugier Teil des Abenteuers. Doch die anfängliche Begeisterung soll schnell der Realität weichen.

Das Leben auf der Wavewalker ist anstrengend und fern von jeder normalen Kindheit: Häufig geraten sie in heftige Stürme, und Suzanne und ihren jüngerer Bruder Jon müssen tagelang unter Deck bleiben. Auch der geplante Unterricht mit ihrer Mutter findet kaum statt. Die junge, wissensdurstige Suzanne vermisst das Lernen. Sie fühlt sich einsam aufgrund der fehlenden sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen. Statt spielend und lernend ihre Tage zu verbringen, werden die Geschwister von ihrem Vater in die tägliche schwere Arbeit auf Deck eingebunden.

Suzanne fühlt sie sich immer mehr im Lebenstraum ihres Vaters gefangen. Ihre Mutter ist seekrank und muss viel Zeit im Bett verbringen. Auch sie vermisst ihr altes Leben in England. Suzanne hat Sehnsucht nach einem richtigen Zuhause mit einem geregelten Tagesablauf. Sie beschließt, ihre Schulausbildung in Eigenregie auf hoher See fortzusetzen – Unterstützung von ihren Eltern erhält sie kaum.

Schließlich macht sie ihren Schulabschluss per Fernschule und bewirbt sich an mehreren Universitäten. Sie bekommt nur eine Rückmeldung – von Oxford. Mit 17 ist ihr Kampf nach Freiheit schließlich beendet, sie kann in ihre Heimat zurückkehren und ein eigenes Leben aufbauen. Fast 20 Jahre später begibt sie sich noch einmal auf Spurensuche in die Vergangenheit und sucht nach den Überresten der Wavewalker. Heute lebt Suzanne Heywood mit ihrer Familie in England und arbeitet als Führungskraft in der Investmentbranche.

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»Die Geschichte einer dramatischen Kindheitsreise, so aufregend und schockierend, dass man kaum weiß, ist es ein Traum oder ein Albtraum«

Ed Balls

Leseprobe aus dem Kapitel 6 »Indischer Ozean: Die Welle«

In den nächsten Tagen wurde der Sturm noch stärker. Auch Larry und Herbie verboten mir nun, an Deck zu kommen, und so erhaschte ich nur einen Blick auf die Außenwelt, wenn jemand nach oben oder nach unten kletterte und dabei die Luke öffnete, sie allerdings auch schnell wieder hinter sich zuknallte, um Wind und zumindest etwas Wasser abzuhalten. Stundenlang saßen Jon und ich in der Hauptkajüte am Tisch. Der Dezember verging, aber niemand sprach von Weihnachten. Die Erwachsenen tauchten am Ende ihrer Wache durchweicht und blass unter Deck auf, eilten mit gesenktem Kopf an uns vorbei, um sich in ihre Kojen zu verziehen und zu schlafen.

Die Luke über dem Tisch war geschlossen, und die salzverkrusteten Bullaugen entlang der Kajütenwand ließen kaum Tageslicht herein, selbst wenn wir uns auf dem Gipfel einer Welle befanden. Wir ließen die kleine elektrische Lampe an der Decke brennen, auch wenn sie nur schwaches, flackerndes Licht verbreitete. Nach einer Woche auf See war der Wind zu einem Kreischen geworden, so gruselig, dass ich überzeugt war, die geisterhaften Schreie toter Seeleute zu hören. Als mein Vater die Luke öffnete, um nach unten zu klettern, wurde das Heulen lauter, und ich sah vom schiefergrauen Himmel Hagel herabprasseln. »Wird der Sturm schwächer?«, fragte Jon, als Dad den Fuß der Leiter erreichte. Mein Vater hielt sich am Tisch fest, und ich fragte mich, ob er überhaupt antworten würde. Als er sprach, schien ihn jedes Wort anzustrengen. »Nein. Er wird stärker. Es war falsch von mir, diese Route zu nehmen. Im Moment herrscht in den vierzigsten Breitengraden das schlechteste Wetter seit Jahrzehnten. Die Leinen sind so kalt, dass sie sich wie Draht anfühlen, und die Segel sind wie Eisplatten.« – »Können wir umdrehen?«, fragte ich. »Wenn ich gewusst hätte, dass es so schlimm werden würde, wäre ich umgekehrt. Aber jetzt ist es zu spät.« Ich wollte noch mehr Fragen stellen – warum war es zu spät, hatte auch er Angst, waren das Geister, die ich im Wind rufen hörte? Doch als ich den Mund öffnete, schüttelte Dad den Kopf und sagte, er müsse schlafen. Er ging in den Kartenraum, legte sich dort in die Koje und schloss die Augen.

Dann kam Mum in die Hauptkajüte und zog ihr Ölzeug an. Wir hätten Glück, sagte sie, dass wir unter Deck im Warmen bleiben könnten. Weder Jon noch ich erwiderten etwas, und ich fragte mich, ob mein Bruder genauso wenig wie ich das Gefühl hatte, Glück zu haben. Vielleicht spürte meine Mutter das, denn bevor sie nach oben kletterte, schlug sie vor, wir könnten doch Weihnachtsschmuck basteln. Wir dürften auch die Sachen aus der Tasche verwenden, in der sie Knöpfe, Stoffstücke und Bänder aufbewahrte. Als sie gegangen war, lächelten Jon und ich erleichtert – Weihnachten war also doch nicht völlig in Vergessenheit geraten. Wir machten uns sofort an die Arbeit, und die nächsten Tage bastelten wir Weihnachtsschmuck, wenn wir nicht gerade schliefen oder versuchten, nicht in der Kajüte herumgeschleudert zu werden. Am Weihnachtsabend kippte die Wavewalker bei jeder Welle noch weiter vor und zurück. Doch Dad schaffte es trotzdem, einen kleinen Plastikbaum auf dem Eckschrank zu befestigen, wo er schief und mit unseren Basteleien geschmückt stand. Am Weihnachtsmorgen bewegte sich das Schiff etwas weniger, und ich spürte, dass etwas auf meinem Schlafsack lag. Als ich die Augen öffnete, sah ich ein Päckchen am Fußende, und auf dem Boden lag ein ausgebeulter Kissenbezug. Ich ging zu Jon in die Viererkajüte, um ihn zu wecken, und mit unserer Beute im Arm eilten wir in die Hauptkajüte. Die Luke wurde geöffnet, und Dad sah unter seiner Kapuze nach unten.»Ich bin ganz schön böse auf den Weihnachtsmann«, sagte er. »Warum denn?«, fragten wir. »Seine Rentiere haben überall aufs Deck gekackt, und ich mache schon den ganzen Morgen sauber.« Trotz allem gelang es uns, ein wenig Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen. Mum kochte Truthahn und Bratkartoffeln, während Jon und ich unsere Geschenke auspackten – neue Bücher, Kuscheltiere und Spiele. »Lasst uns Mastermind spielen«, sagte ich. Und ich gewann auch noch.

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Die Autorin

Suzanne Heywood wurde 1969 in Southampton geboren und wuchs auf dem Segelschiff Wavewalker auf, bis sie mit 17 Jahren nach England zurückkehrte. Obwohl sie gezwungen war, für ihren Schulabschluss auf hoher See zu lernen, erhielt sie einen Studienplatz in Oxford. Nach Studium und Promotion arbeitete sie einige Jahre für das britische Finanzministerium. Heute ist sie Autorin und für verschiedene Unternehmen in Führungspositionen tätig.

Copyright: Murray Sanders

Jetzt in die Welt der Bücher eintauchen!

Im Oktober 2024 erscheint das Debütwerk der Autorin Suzanne Heywood in deutscher Erstausgabe im DUMONT-Reiseverlag.

Wavewalker von Suzanne Heywood 

Aus dem Englischen von Sabine Thiele

Erscheinungstermin: 12.09.2024

Umfang: 440 Seiten, 21 x 13,7 x 3,3 cm

Preis: 19,95 €

ISBN: 978-3-616-03280-1

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