Ursprünge des Denkens in der Ägäis

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Es gibt Reisen von nostalgischem Wert. Immer schon wollte ich, wie damals in meinen Studentenjahren, von Insel zu Insel hüpfen, die Ägäis noch einmal an der Reling stehend durchpflügen. Vielleicht um mir selber erneut zu begegnen – auch das eine Sehnsucht, die ich mit anderen aus der Gruppe teile? Am ersten Abend jedenfalls drehen sich unsere Gespräche auf der Dachterrasse des Hotels genau darum. Manche sind ein wenig müde von dem langen Anreisetag, doch der spektakuläre Blick auf die nahe, gelb erleuchtete Akropolis lässt jeden fühlen: Ein solcher Moment ist einzigartig. Erinnerungen gehen zurück, und Erwartungen schäumen auf, es ist ein dichter Moment, den wir auskosten mit ein paar ersten Runden Ouzo.

Wir sind zum Philosophieren hergefahren. Wollen in Vorträgen und ausgedehnten Gesprächen weit in die Zeit zurückreisen, über die klassische Periode von Sokrates, Platon und Aristoteles hinaus zu den spärlich überlieferten ersten Philosophen, die über den Urstoff der Welt grübelten. Und noch weiter in die Vergangenheit, zu den Tragödien, die in gut gefüllten Theatern vor ergriffenem Publikum gespielt wurden, zu den Mythen Homers, zu den archaischen griechischen Göttern. Wir suchen die Ursprünge unserer Zivilisation.
Wir haben uns also zu einer kulturgeschichtlichen Expedition aufgemacht. Schon am nächsten Tag stehen wir vor dem Gefängnis, in dem Sokrates auf seine Hinrichtung wartete und mit Freunden über den Tod und die Unsterblichkeit der Seele philosophierte. Er, der Unbeugsame, er hatte in einem aufsehenerregenden Gerichtsprozess eine flammende Verteidigungsrede gehalten, in der er die Dinge auf den Kopf stellte und den Athener Staat anklagte und ihm seine Verfehlungen vorhielt. Am Ende versagt mir die Stimme, mit der ich den Reisenden die Dramatik jener Tage näherbringen möchte, weniger aus Ergriffenheit als der vielen Grillen wegen, die in den Mittelmeerkiefern über uns ihr Mittagskonzert geigen.

Die Griechen waren von jeher ein Seefahrervolk, und die Ägäis war eine große azurblaue Wohnstube, in der man vom Deck der Fährschiffe stets mehrere Inseln im Blick hat. Eine Weite, in der man sich nicht verliert. Als wir uns Santorin nähern, verstummen die Gespräche: Die Einfahrt in den Krater ist von jenseitiger Schönheit. Schneeweiß tropfen die Dörfer die schwarzbraunen Felsen herab, und plötzlich sind wir in unwirklicher Räumlichkeit. Kein anderer antiker Text passt besser hierhin als Platons Weltschöpfungsmythos des »Timaios«. Ist Santorin der Rest des versunkenen Atlantis? In einem der bezaubernden Cafés am Rand der Caldera, untermalt mit dezenten sphärischen Klängen aus den Lautsprechern, möchte man es glauben. Ganz anders dagegen präsentiert sich das partyschicke Mykonos, das wie hingewürfelt unterhalb unseres Hotels liegt. Hier wird das Frühstück bis 14 Uhr serviert, es wird getanzt bis in den frühen Morgen, die Insel böte einem modernen Ethnologen, der ein Psychogramm der westlichen Gesellschaft zeichnen wollte, reichlich Anschauungsmaterial, es ist ein Babylon der Hoffnungen, der Bilder und der Illusionen. Wir allerdings stehen früh auf, denn unser Ziel ist das benachbarte Delos, heiliges Zentrum der antiken Welt, auf dem auch heute noch nicht übernachtet werden darf. Zurück im Hotel – worüber diskutieren wir im Garten im Schatten der Dattelpalmen? Passend zum Sound der Insel, über Epikur und seine Philosophie der lustvollen Freude, die uns die Paradiese des Diesseits öffnet und uns die Angst vor dem Tod nimmt.

Samos ist unsere letzte Etappe, Heimat des Pythagoras, jenes Mathematikers und spirituellen Philosophen, der zu Hause nichts galt und zu Ruhm erst in höherem Alter in Unteritalien kam. Wir studieren seine Schriften zur Sphärenharmonie und springen vom Renaissance-Astronomen Johannes Kepler über die Wiener Harmonik des frühen 20. Jahrhunderts zum Pythagoräer Joachim Ernst Berendt und üben uns in Zeitkritik. Voilà! Der Kreis ist geschlagen von den Ursprüngen zur Gegenwart. Und zu unserem Körper, denn morgens, vor dem Frühstück, lässt es sich herrlich schwimmen in den goldenen Pfeil hinein, den die aufgehende Sonne über der türkischen Küste in das Meer zeichnet. Geografisch sind wir auf Samos den ursprünglichsten Ursprüngen nahe, gegenüber auf kleinasiatischer Seite philosophierten die Weisen von Milet über die Natur, die sich hier üppiger zeigt als auf den wasserkargen Kykladen. Wir wandern durch Wälder zu einem Kloster, wo welt- und zeitabgewandt ein Mönch mit Bart und Robe uns seine Kirche aufschließt. Noch einmal staunen wir, über das Zugleich des Ungleichzeitigen, über das Gestern im Heute. Und natürlich – das gehört zu einer Griechenlandreise einfach dazu – über die aktuelle Krise, über den Exodus der Jungen und die Verzweiflung der Älteren über ihre korrupte politische Elite. Solidarität – auch das können Reisen bewirken. Die Griechen jedenfalls sind herzlich und gastfreundlich wie immer. Nur eine Spur Traurigkeit mischt sich heute hinein – aber eine gewisse Schwere macht seit je ihren kulturellen Charakter aus. Wie sollte es auch anders sein bei so viel Vergangenheit, der keine Gegenwart gewachsen sein kann?

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