Reisebericht »Große Freiheit unter weißem Tuch«

Segeln auf der »Rhea«, Cohens Songs & Tylers Küchenkunst: Eine wahre Freude!

Bernd Loppow
Bernd Loppow, Gründer & Programmleiter

Die Hauptperson dieser Woche ist eine stilvolle Lady

Bereits in der Morgensonne hatten wir Kurs auf den kleinen dunklen Schatten genommen, nachdem wir die Insel am Horizont erspäht hatten. Jetzt, am späten Nachmittag, haben wir ein paar Schiffslängen vom Ufer entfernt Anker geworfen und sitzen im Dinghi, das uns in den Hafen von Hydra bringen wird. Benannt nach dem vielköpfigen Ungeheuer aus der griechischen Mythologie, ist Hydra ein wichtiges Ziel unserer Segelreise, nicht nur weil sie seit Jahrzehnten ein äußerst beliebtes »Naherholungsziel« der Athener ist.

Hydra ist auch die Insel, auf der der große kanadische Singer-Songwriter Leonard Cohen seine literarische und musikalische Inspiration erlangte. Hier lebte er in den Sechzigerjahren in seinem kleinen Haus hoch oben über dem Hafen, und hier schrieb er einige seiner größten Hits, etwa »So Long Marianne« und »Suzanne«. »Mit den Songs von Leonard Cohen zu den Inseln des Lichts« lautete demgemäß auch das Motto unserer Reise. Es war an mir, abends aus der Lebensgeschichte Cohens zu erzählen, über die Geschichten hinter seinen Songs und über die dramatische Erfahrung einer großen Liebe, die ihn durch sein Leben begleitete.

Die Hauptperson dieser Woche im Saronischen Golf vor der Halbinsel des Peloponnes aber ist nicht Cohen. Es ist eine äußerst stilvolle Lady: schlanke 56 Meter lang und am liebsten voll aufgetakelt unterwegs, mit bis zu 1000 Quadratmeter feinstem Segeltuch, verteilt zwischen zwei bis zu 50 Meter hohen Masten. Die »Rhea« ist die jüngste der drei Großjachten von Sailing Classics, wie ihre Schwester »Chronos« mit 13 Kabinen auf maximal 26 Gäste ausgerichtet. Wie die »Káiros«, das etwas ältere und kleinere Familienmitglied, sind die Schiffe in den beliebtesten Segelrevieren der Welt unterwegs, im Sommer zwischen den schönsten Gestaden des Mittelmeers und im Winter nach einer Atlantiküberquerung unter karibischer Sonne. ZEIT REISEN hat sechs der interessantesten Routen im Programm. Besonders wohl scheinen sich alle drei Schwestern aber in der Ägäis zu fühlen, was auch mit ihrer Namensgebung aus der griechischen Mythologie zu tun haben mag.

Eine Woche barfuß an Bord

So sind wir jedenfalls vor vier Tagen auch in Athen an Bord gegangen. »Halt, Schuhe ausziehen!«, so lautete die erste Botschaft nach der Ankunft an Bord. Also hinein mit den Sneakers in die Kiste gleich hinter der Gangway, und her mit der ersten großen Freiheit dieser Reise: eine Woche barfuß auf den hölzernen Decksplanken – selbst später beim Käpt’ns Dinner. Weitere Freiheiten und Genüsse sollten folgen. Nach einem ersten Dinner erhielten Käpt’n Derk aus Holland und weitere »helping hands«, besonders der kanadische Koch Tyler, großen Applaus für das erste großartige Menü. Noch einen Ouzo, und dann ab in die Kojen, was hier an Bord allerdings eine grobe Untertreibung ist: Jede Kabine ist mit edlen Hölzern getäfelt, mit großzügigen Betten und jeweils mit eigener Dusche und Toilette ausgestattet.

Schon vor dem Frühstück herrscht am nächsten Morgen reger Betrieb an Bord: Einige Gäste blicken mit einem Pott Kaffee oder Tee in der Hand auf die Akropolis in der Ferne oder die ersten Fähren, die in Piräus ankommen oder auslaufen. Oder genießen einfach nur die schon jetzt wärmenden Strahlen der Sonne, die auch heute vom azurblauen Himmel scheint. Ich wage nach ein paar Yogaübungen mit einigen anderen den ersten Sprung von Bord in das 25 Grad warme Meer vor Athen und besichtige das Schiff bei einer Umrundung von außen. Was für eine herrliche Art, den Tag zu beginnen! Unsere Crew bereitet derweil alles für den ersten Segeltag vor. Denn pünktlich zum Frühstück, zu dem wir uns wieder in der Lounge eingefunden haben, zieht die erste Brise über das Schiff. Dann heißt es »Segel setzen«, und los geht’s mit Kurs auf Epidaurus. Der kleine Hafen unweit des berühmten antiken Theaters ist heute unser Tagesziel. Fast wie bestellt weht es inzwischen fünf Windstärken aus Norden, und mit leichter Schräglage legt sich die Rhea in den Wind zu einem langen Schlag. Schon bald werden backbord die ersten Delfine gesichtet, die uns ein Stück eskortieren. Nach gerade mal einem Tag an Bord haben wir alle komplett vom Alltag abgelegt. und sind der Sailing-Classics-Philosophie schon jetzt verfallen:

Authentisches Segeln, sobald der Wind es erlaubt

Authentisches Segeln, sobald der Wind es erlaubt

»Echtes und authentisches Segeln ist der Kern von Sailing Classics, und wir segeln mit unseren klassischen Superjachten immer, wenn es der Wind und die Route erlauben«, sagt der Eigner und Unternehmensgründer Andreas Steidle, der mit seinem Großjachtkonzept einen Lebenstraum verwirklicht: »Das bedeutet: Maschinen aus, und den Wind als nachhaltigen Vortrieb nutzen! Gerade deshalb ist es so wichtig, dass man sich nach dem Wind richtet und keinem fixen Routing folgt …«

Heute jedenfalls hat uns der Wind mit nur einem langen Schlag exakt an unseren Ankerplatz für die Nacht gebracht. Am Nachmittag ist sogar noch Zeit für einen spektakulären Schnorchelausflug mit dem Dinghi nach Ancient Epidaurus, wo wir von der Wasseroberfläche aus die Fundamente der versunkenen Stadt bestaunen. Am Abend an Deck ist Zeit für die Liebesgeschichte von Leonard Cohen und Marianne Ihlen auf Hydra, die der Film »Marianne & Leonard« eindrucksvoll dokumentiert und uns gleichzeitig in die Zeit der Sechzigerjahre auf den uns umgebenden Inseln zurückversetzt. »So Long Marianne« ist der Song, der den heutigen Tag beschließt.

Mit einem Wiedersehen nach 40 Jahren startet für mich der nächste Tag: Im Sommer 1983 hatte ich im antiken Theater eine Aufführung der »Antigone« von Sophokles erlebt. Auch heute Vormittag bestaunen wir von der höchsten Reihe des mit 14.000 Sitzplätzen im 3. Jahrhundert erbauten größten antiken Theaters der Welt die perfekte Akustik, als jemand unten auf der Bühne deutlich hörbar eine Münze fallen lässt. Nach einem köstlichen Salat mit Hummerkrabben an Bord starten wir bei leichtem Wind Richtung Ägina, der ersten Insel im Saronischen Golf. Sie ist aufgrund der Nähe zur griechischen Hauptstadt ein beliebtes Naherholungsziel der Athener.

Der lässige Jachtie-Stil hatte uns schnell erfasst

Das erleben wir am nächsten Morgen, nachdem uns die Dinghis am Hafen abgesetzt haben: Es ist der 15. August, Mariä Himmelfahrt, und nicht nur die Ortskirche am Hafen ist prall gefüllt. Zeit für einen Cappuccino im Hafencafé und einen Einkaufsbummel in den engen Gässchen. Ägina war nicht nur Sitz der Göttin Aphaia, was ein eindrucksvoller Tempel dokumentiert, sondern ist auch die Insel der Pistazien, die in den verschiedensten Variationen überall angeboten werden. Wir probieren ausgiebig und entscheiden uns für ein klassisches Kilopack, Pistaziencreme und Pistazienöl.

Nach dem Mittagessen an Bord brauchen wir für die Weiterreise nach Poros erstmals Motorunterstützung. Macht gar nichts, denn der lässige Jachtie-Stil, die legere und entspannte Atmosphäre zwischen Crew und Gästen, hat uns längst erfasst. Jede und jeder hat schnell einen Lieblingsplatz an Deck gefunden: zum Sonnen, zum Lesen, für anregende Gespräche mit den Mitreisenden, für eigene Gedanken oder einfach nur zum Aufs-Meer-Schauen. Wir ankern in einer schönen Bucht mit kristallklarem Wasser. Zeit zum Schwimmen, zum Schnorcheln. Stand-up-Paddles und Seekajaks werden für individuelle Exkursionen zu Wasser gelassen. Beim Abendessen überrascht uns Koch Tyler mit frischen Fischfilets, die er heute Morgen beim Landgang auf dem Markt erstanden hat. Anschließend erklärt uns unser Laserphysiker Hubertus unterm Firmament per Laserpointer das Sternenzelt. Mit Cohens Hit »Bird on a Wire« beschließen wir den Tag.

Bei Leonard Cohen auf Hydra

Nach einer Stippvisite im Hafen von Poros erreichen wir am nächsten Nachmittag Hydra, wo uns die Dinghis im Hafen absetzen. Zunächst suchen wir im bergaufwärts ansteigenden Gassengewirr Leonard Cohens Haus, in dem er in den Sechzigerjahren viele Sommer verbrachte. Google Maps erweist sich hier als willkommene Hilfe. In einer schmalen Gasse

finden wir unser Ziel: ein weiß getünchtes, unscheinbares, von einer purpurrot blühenden Bougainvillea bewachtes Haus mit geschlossenen grauen Fensterländen. Am Knauf der Eingangstür hat ein Fan dem 2014 gestorbenen Sänger einen Feldblumenstrauß und einen auf einen Ringbuchzettel geschriebenen letzten Gruß hinterlassen: »Your are our man! And we still dance with you to the end of LOVE!«

Dann ist es auf unserer Spurensuche Zeit für einen weiteren »historischen« Ort: die Taverne Douskos, in der Cohen und seine Künstlercommunity vor 60 Jahren speisten, tranken und sangen. Tatsächlich hat sich weder der Name noch der Platz verändert, und wir erleben unter dem Weinrebendach, bevor uns kurz vor Mitternacht die Dinghis wieder am Hafen abholen, an langer Tafel einen herrlichen, feuchtfröhlichen Abend.

War an den vergangenen beiden Tagen dank sehr leichter Brise eher entspanntes Bordleben angesagt, hat der Windgott Aeolos nun wieder Kraft getankt: Schon bei der morgendlichen

Schwimmrunde ums Schiff spüren wir den auffrischenden Wind. Als nach dem Frühstück der Anker gelichtet wird, ist die »Rhea« schnell wieder ganz in ihrem Element: Bei fünf Windstärken und mit fast zehn Knoten rauschen wir über das Meer, wie herrlich! Trotz des starken Windes gleitet unsere stilvolle Lady unter vollem Tuch übers Meer Richtung Spetses. Wir entscheiden uns diesmal gegen einen Landgang im Hafen und für einen Badeausflug in eine geschützte Bucht, in der wir eine gute Stunde schwimmen und uns in der Sonne aalen. Zurück an Bord werden wir von Tyler nach dem Sundowner abermals aufs Köstlichste verwöhnt.

Unfassbar, die Reise ist vorbei, Halleluja!

Am letzten Segeltag hat die »Rhea« Gelegenheit, noch einmal alles zu geben. Waren ursprünglich nur magere zwei bis drei Beaufort angesagt, dreht der Wind immer weiter auf, und die Crew setzt nun auch den letzten der tausend Quadratmeter Tuch. Auf perfektem Halbwindkurs segeln wir Richtung Nauplion, dem Endziel unserer Reise. Trotz hohen Tempos liegt die »Rhea« total ruhig auf dem Wasser. Und plötzlich erwartet uns noch eine tolle Überraschung: Die Crew macht bei laufender Fahrt die Leitern und die Dinghis klar, und wir dürfen, bewaffnet mit unseren Smartphones und Fotoapparaten, einsteigen. In rasanter Fahrt fahren wir in 100 Meter Abstand neben unserem Schiff her, dann einmal drum herum und können die »Rhea« in voller Schönheit aus verschiedensten Perspektiven ablichten.

Dann kommt Nauplion immer näher und näher, und um vier Uhr nachmittags legen wir zum ersten Mal direkt im Hafen an. Sofort nähern sich Scharen von Touristen, um ein Foto von uns – nein, natürlich von der »Rhea« – zu machen. Wir sind uns aber ohnehin einig: Von den vielen Hundert Schiffen, die im Laufe der letzten Woche unsere Route gekreuzt haben, waren wir auf dem schönsten! Zum Abschied wartet nun nur noch das Käptn’s Dinner auf uns, und Tyler gibt noch einmal alles: Lammkeule aus dem Ofen mit frischen Bohnen, Rotweinjus und feinem Kartoffelgratin – einfach nur grandios und oberlecker. So bekommt er beim Abschied von der großartigen Crew auch wieder den größten Applaus. Er hat ihn sich verdient.

Bei vielen Flaschen Wein, zahlreichen Dosen Mythos-Bier und dem einen oder anderen Ouzo lassen wir die vergangene Woche Revue passieren und können es immer noch kaum fassen, wie schön das alles war und dass wir morgen früh die »Rhea« verlassen sollen. Deshalb kann es auch zum Abschied von Leonard Cohen nur ein letztes Stück geben: jenes, das posthum zu seinem weltweit größten Hit wurde: »Halleluja«!

Ach ja, und wie sehr wir alle in den vergangenen Tagen auch gedanklich vom Alltag abgelegt hatten, merke ich, als ich in Athen am Flughafen aus dem Taxi steige: Ich habe noch immer meine Badelatschen an. Die Sneaker liegen in der Kiste, in die ich sie hineingelegt hatte, als ich an Bord der »Rhea« gegangen und eine Woche barfuß unterwegs war …

Text und Bilder: Bernd Loppow