Interview mit Alexandra von Poschinger zum Bayerischen Wald

Zur Reise:
Nationalpark & Glaskultur – Erfolgsgeschichten im Bayerischen Wald

Die kühle Helle der Morgen, das flirrende Blau zu Mittag, das Diffuse der Abende. Der Wald ist ein magisches Gebiet. Ein Sehnsuchtsort.

Alexandra von Poschinger
Reiseleiterin Bayerischer Wald

Was kommt Ihnen als erstes in den Kopf, wenn Sie an den Bayerischen Wald denken?

Die vordergründig naheliegende Antwort wäre natürlich, dass ich an Bäume denke. Weil ich aber fast täglich im Bayerischen Wald unterwegs bin, sehe ich weniger seine Bäume als vielmehr sein Licht. Die kühle Helle der Morgen, das flirrende Blau zu Mittag, das Diffuse der Abende. Der Wald ist ein magisches Gebiet. Ein Sehnsuchtsort. Oft überfällt mich im Wald die Illusion des Elementaren, wie es sonst nur das Hochgebirge oder die Wüste bewirken.

Warum ist der Bayerische Wald die richtige Lokalität, um diese Thematik zu erleben?

Zusammen mit dem angrenzenden Böhmerwald bildet der Bayerische Wald das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas. Dieser riesige Wald atmet eine Gelassenheit, die für einen kurzen oder auch längeren Moment den Wahnsinn der Welt aussperrt. Auf 25.000 Hektar bettet sich der Nationalpark Bayerischer Wald als erstes und damit ältestes deutsches Großschutzgebiet in den Bayerischen Wald. Dort darf sich die Natur frei entfalten, ganz ohne Eingriff des Menschen.

Auf welche besonderen Momente können sich die Reisenden freuen?

Wir tauchen tief ein in den Wald, erleben in Begleitung eines ausgebildeten Waldführers die Geburt einer Waldwildnis und durchwandern die letzten Urwaldreste Deutschlands – also Gebiete, die noch nie von Menschenhand bewirtschaftet wurden. Daneben begeben wir uns auf eine Zeitreise des Glases im Bayerischen Wald und erfahren, wie Wald und Glas, Natur und Kultur seit hunderten von Jahren zusammenhängen.

Welche besondere Rolle spielt die Geschichte der Raimundsreuter Glaskultur in der Region?

Die 1721 im Bayerischen Wald gegründete Siedlung Raimundsreut entwickelte sich im 18. und 19. Jahrhundert zu einem der bedeutendsten Zentren der Hinterglasmalerei in Europa. Das Besondere der Raimundsreuter Maler ist ihre Befreiung aus jeglicher konventionellen Bindung und die volle Konzentration auf das Wesentliche. Die expressive Vereinfachung und kühnen Farbkombinationen wurden im beginnenden 20. Jahrhundert von den Künstlern des Blauen Reiter, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Franz Marc und Heinrich Campendonk, rezipiert und lieferten somit einen wichtigen Impuls zur Entwicklung des Expressionismus.

Sie haben schon viele Orte der Welt bereist, was macht den Bayerischen Wald so bemerkenswert?

Der Wald mit seinem Werden und Vergehen macht so deutlich und mit allen Sinnen erlebbar, dass wir auf einem Fluss der Zeit schwimmen – mit unseren Freuden, Ängsten, Sehnsüchten und Erinnerungen, wie schon alle vor uns und wohl auch alle nach uns. Und dann ist da diese Stille, die sich wie ein Mantel über unsere Unruhe legt. Schlicht waldwunderbar!

Was ist Ihr persönlicher Höhepunkt?

Sehr gerne mag ich die Schachten. Das sind die Almen in den Hochlagen des Bayerischen Waldes, die bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts in den Sommern mit Jungrindern beweidet wurden. Die Schachten sind ein einzigartiges Kulturgut in der Region. Sie liegen auf 950 bis 1200 Metern als Inseln im Waldmeer und reihen sich wie Perlen an einer Kette entlang des Grenzkamms zu Tschechien.

Reiseleiterin: Alexandra von Poschinger

Geboren und aufgewachsen in der Dreiflüssestadt Passau, lebt die Journalistin und Autorin heute im Bayerischen Wald und München. Alexandra von Poschinger schreibt für renommierte Verlage, darunter DIE ZEIT Verlagsgruppe, und recherchierte als Reisejournalistin bereits in den entferntesten Regionen der Erde – von Thailand, Sri Lanka und China im Osten über Afrikas Mitte und Süden bis nach Spitzbergen im nördlichen Eismeer.

Ihr Buch »Wilder Wald – Europas Pionier für die Wälder der Zukunft« anlässlich des 50. Jubiläums des Nationalparks Bayerischer Wald erschien im September 2020 bei Knesebeck. In ihrem neuen Buch, das zum Jubiläum „30 Jahre Maastrichter Vertrag“ 2023 bei Knesebeck erscheint, nimmt Alexandra von Poschinger die Europaregion Donau-Moldau als einstiger Nahtstelle zwischen Ostblock und westlicher Welt in den Blick und porträtiert Menschen aus der Mitte Europas, die mit ihren Ansichten neue Welten erschaffen.