»Der Buchladen am Ende der Welt« von Ruth Shaw

»Ich bin überzeugt, dass es für jeden ein Buch gibt, und ich staune immer wieder,
wie oft das perfekte Buch auf einem Regal in meinem winzigen Buchladen mit seinen weniger als 1000 Titeln steht.«


Ruth Shaw

In ihrem Debütwerk erzählt Ruth Shaw ihre Lebensgeschichte, die einem mitreißenden Abenteuerroman gleicht, der sowohl ergreifend als auch humorvoll ist. Ruth Shaw hat zahlreiche Schicksalsschläge erlebt, wie den Verlust ihres Kindes und ihrer großen Liebe. Sie verbrachte Jahre damit, über den Pazifik zu segeln, und wurde dabei von Piraten überfallen und wegen Glücksspiels verhaftet. Im Alter von siebzig Jahren traf sie die Entscheidung, einen Buchladen am äußersten südlichen Ende Neuseelands zu eröffnen, ganz am Ende der Welt. In ihren Memoiren verknüpft sie unterhaltsame Anekdoten über die Menschen, die ihren Buchladen besuchen, mit den bewegenden Geschichten aus ihrem abenteuerlichen Leben.

»Manchmal dauert es sehr lange, bis man sein Zuhause findet, aber wenn man Glück hat, kommt man irgendwann dort an. So wie ich.«


Ruth Shaw

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Das Leben von Ruth Shaw

Ruth Shaws Vater war von 1941 bis 1946, dem Jahr, in dem sie geboren wurde, Feuerwehrmann bei der Eisenbahn. Er hat seinen Kindern viele Geschichten über seine Arbeit erzählt. Ruth hat die Begeisterung für Züge von ihrem Vater geerbt: Ihr ganzes Leben lang war sie entweder auf einem Schiff unterwegs, oder sie saß in einem Zug. Ihre Mutter war neunzehn, als sie Ruths Vater heiratete, der einundzwanzig war. Kurz darauf kamen Ruths Schwester Jill und Ruth zur Welt. Die Familie lebte einige Zeit bei den Großeltern, bis sie in ein eigenes Haus in Christchurch zogen.

Anfang der 1940er kaufte der Vater von Ruths Mutter ein Ferienhaus mit zwei Zimmern an der Pile Bay, einer kleinen, abgelegenen Bucht, gut versteckt hinter den hohen, grasbewachsenen Hügeln auf der Banks-Halbinsel. Er hatte außerdem ein hölzernes Rettungsboot mit riesigen Rudern gekauft, denn Rīpapa Island lag in Ruderdistanz. Die Sommerferien verbrachte Ruth mit ihrer Schwester und ihren Cousins Ken und David an der Pile Bay. Sie liefen barfuß und ungestüm über die Hügel und entlang der steinigen Küste, lernten zu rudern, zu angeln und wie man nach Herzmuscheln und Pipimuscheln grub, sie rutschten die grünen Hügel hinunter, und nachts saßen sie auf der Kuppe und beobachteten, wie die Fähre, die zwischen den Inseln hin- und herfuhr, aus dem Lyttelton Harbour zur nächtlichen Überfahrt nach Wellington ablegte.

Doch ihre sorglose Kindheit nahm ein jähes Ende. Ruth Shaw wurde mit 16 Jahren vergewaltigt und schwanger. Das Kind wurde ihr direkt nach der Geburt weggenommen. Ihre Eltern nahmen von den Eltern des Täters Geld an, und dieser kam unbescholten davon.

Ruth entschied sich darauf, zur Navy zu gehen. Ihr Leben war nun voller Struktur. Man musste Uniform tragen, pünktlich sein, aufmerksam sein, strammstehen, salutieren und »Yes, ma’am« und »No, sir« sagen. Weil Ruth so viele der Vorschriften nicht einleuchteten, hinterfragte sie anfangs alles, aber sie fand schnell heraus, dass man dafür bestraft wurde, das System zu hinterfragen. Zusätzliche Dienste und gestrichener Urlaub waren übliche Strafen während Ruths sehr kurzer Karriere bei der Navy. In ihrer Akte steht vermerkt: »Hat Schwierigkeiten, sich einzuleben. Fähig, aber nicht engagiert … Führungspersonal braucht lange, um ihr Vertrauen zu gewinnen.«

Im Alter von 30 Jahren verlor Ruth ihren Ehemann und ihr Kind kurz nach der Geburt. Sie sagt, dass sie das heute nicht mehr überleben würde, aber damals gab sie nicht auf, sondern flüchtete sich in einen Job in Papua-Neuguinea. Sie heuerte als Crewmitglied bei der neun Meter langen Schaluppe namens »Islander« an. Hier verbrachte sie viele Monate und erlebte echte Abenteuer. Eines Tages wurden sie von einem Piratenboot überrascht. Vier Männer kamen an Bord und fingen an, das Boot zu durchsuchen, wobei sie sich nahmen, was sie wollten: Kleidung, Taue, Lebensmittel, Bettwäsche, Whiskey, das Sturmsegel, einen Behälter mit Treibstoff, sogar einen Kochtopf und einen Eimer. Ruth und der Rest der Crew saßen einfach in der Plicht und sahen reglos zu, während die Männer ihre Waffen auf sie gerichtet hielten. Nachdem sie alles in ihren kleinen Flitzer verfrachtet hatten, schüttelten sie ihnen höflich die Hände und dankten. Ruth Shaw durfte sogar noch ein Foto von ihnen machen.

Nach langer Suche und vielen weiteren Stationen in ihrem Leben fand Ruth ihre große Liebe. Sie und Lance heirateten und setzten sich in Neuseeland zur Ruhe. Mit dem Gefühl, endlich angekommen zu sein, erfüllte sie sich mit ihrem Buchladen einen kleinen Traum. Hier trifft sie jeden Tag spannende Menschen, die alle ihre eigene Geschichte zu erzählen haben.

Leseprobe aus dem Kapitel: Zwei winzige Buchläden

Unweit des Lake Manapōuri, an der Ecke Hillside Road und Home Street, stehen zwei kunterbunt bemalte, winzig kleine Buchläden, umgeben von Pflanzen, allerlei Krimskrams und dem einen oder anderen Haustier, das hier wohnt. Von Ende September bis Mitte April schließe ich jeden Morgen meine Two Wee Bookshops auf. Mein grüner Fiat 500, Baujahr 1961, steht gut sichtbar an der Southern Scenic Route und wirbt für den »kleinsten Buchladen in Neuseeland«. Ich stelle das »GEÖFFNET«-Schild an der Ecke zur Home Street raus, und dann fange ich an, Bücher auf Tischen und alten, bunt gestrichenen Schulbänken auszulegen. Auf die Kreidetafel schreibe ich: »GEÖFFNET. Bitte laut klingeln, wenn ich nicht da bin.« Neben der Tür hängt eine Schiffsglocke, deren Bimmeln ich beinahe überall auf unserem großen bewaldeten Grundstück hören kann. Ich war siebzig Jahre alt, als ich mich entschied, die Buchläden zu eröffnen, sozusagen als netten Zeitvertreib für eine Rentnerin. Schon dreißig Jahre zuvor besaß ich einen ersten Buchladen, als Teil einer Jachtvermietung namens Fiordland Ecology Holidays, die mein Mann Lance und ich leiteten. Schon gewöhnliche Buchläden ziehen Leute an, die Bücher lieben, doch meine Two Wee Bookshops sind wie ein Leuchtfeuer für jeden, der vorbeireist. Vielleicht liegt es an den bunten Farben, den alten Fenstern und Türen. Oder daran, dass sie einfach wirklich sehr klein sind.

Tibor aus Budapest zum Beispiel fuhr an den Häuschen vorbei, als sein Blick auf das Wort »Bookshop« fiel. Er kehrte postwendend um – und landete schließlich in unserem Gartenhäuschen, in dem er einen Monat lang wohnte. Er war Krankenpfleger, machte einen verlängerten Urlaub und lebte in seinem alten Kombi. Als Gegenleistung für Kost und Logis arbeitete er im kleinen Wald, der unser Haus umgibt. Er liebte Bücher und verbrachte seine Zeit oft damit, im Buchladen zu sitzen, zu lesen und sich mit meinen Kunden zu unterhalten. Wenn ich wegmusste, schloss er den Laden für mich auf und verkaufte erfolgreich eine Menge Bücher. Als er zurückmusste, flossen viele Tränen. Er wollte nicht gehen, und wir waren traurig, dass wir uns verabschieden mussten. Und dann trafen wir Jana, ein junges deutsches Mädchen, das den Buchladen betrat, sich auf einen Stuhl setzte, zu weinen begann und sich mit einem völlig durchnässten Taschentuch die Nase schnäuzte. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie an mich, während sie schluchzte. Ihre Beziehung war gerade zu Ende gegangen, erzählte sie mir. Ich nahm sie mit ins Haus, und Lance hielt auf seine gewohnt verständnisvolle und mitfühlende Art die Stellung im Buchladen.

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Die Autorin

Ruth Shaw kam im Jahr 1941 zur Welt und verbrachte ihre Kindheit in Christchurch. Zu dieser Zeit war ihr Vater als Feuerwehrmann bei der neuseeländischen Eisenbahn tätig. In ihrer frühen Kindheit konnte sie wahrscheinlich noch nicht ahnen, dass sie einmal ein so rastloses Leben führen und ständig unterwegs sein würde. »Ich denke, ich habe die Liebe meines Vaters zu Zügen geerbt. Ein Großteil meines Lebens habe ich entweder auf einem Boot oder in einem Zug verbracht«, bemerkt sie heute. Inzwischen hat sie jedoch ihre Wurzeln geschlagen und betreibt zusammen mit ihrem Mann Lance eine kleine Buchhandlung, bestehend aus drei winzigen Häuschen, ganz im Süden Neuseelands.

Bilder von der Autorin zur Verfügung gestellt

Jetzt in die Welt der Bücher eintauchen!

Im Oktober 2023 erscheint das Debütwerk der Autorin Ruth Shaw in deutscher Erstausgabe im DuMont-Reiseverlag.

Der Buchladen am Ende der Welt
Autorin: Ruth Shaw
Aus dem Englischen von Anja Samstag
Erscheinungstermin: Oktober 2023
Preis: ab 17,95 €

ISBN: ISBN: 978-3-616-03235-1

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