Prolog

»Der Traum meines ganzen Lebens«

»Das Auge (ist) das Organ der Weltanschauung.«
Alexander von Humboldt

Sie war eine der spektakulärsten Forschungs- und Entdeckungsreisen der Menschheit. Sie dauerte von 1799 bis 1804 – 5 Jahre oder 60 Monate. Und Sie legte den Grundstein zum Weltruhm des großen deutschen Universalgelehrten Alexander von Humboldt. Im September 2019 wurde rund um den Globus, besonders aber in vielen Ländern Südamerikas, dem Kontinent, den er kreuz und quer durchstreifte, am 14. September 2019 seines 250. Geburtstags gedacht. Vor drei Jahren schon entstand die Idee zu versuchen, Humboldt auf der Originalroute seiner Amerikaexpedition hinterherzureisen. Allerdings in 60 Tagen anstatt 60 Monaten. Unser Humboldt-Experte und langjährige Lateinamerika-Reporter Peter Korneffel hat das Kunststück fertiggebracht und hat Humboldts Reisestationen durch Kuba, Kolumbien, Ecuador, Peru, Mexiko und die USA in einem weltweit einzigartigen Programm zu einer spannenden Spurensuche durch sechs Länder zusammenkomponiert.

Die 30 Teilnehmer unserer ZEIT-Expedition starten am 26. Dezember in Havanna und erleben an Korneffels Seite über 200 authentische Humboldt-Orte, fantastische Naturlandschaften, koloniale Städte und auch moderne Megacities. In Vorträgen und Lesungen tauchen Sie tief in die historische Forschungsreise und die Botschaften Humboldts ein. Sie treffen Experten und Forscher zu Gesprächen und befassen sich mit sozialen Themen und aktuellen Umweltfragen Lateinamerikas wie einst schon Humboldt als Vordenker der Ökologie und Verfechter der Freiheit. In diesem Blog berichten Sie von Ihren eigenen Abenteuern und den Erlebnissen auf Humboldts Spuren. Vielleicht werden auch sie dann hinterher sagen: Das war »Der Traum meines ganzen Lebens«

Die Reiseteilnehmerin Antigoni Chrysostomou begleitet die Reise photographisch und hat die Verantwortung für Koordination und Komplettierung aller Blogbeiträge während der Reise übernommen.

Der Reiseteilnehmer Burkhard Mücke hat für die Humboldt Reise einen Link auf Wikipedia angelegt, der während der Reise ständig aktualisiert wird. Schauen Sie doch mal rein! 

WIR STELLEN VOR

Ihre Reisebegleitung

Peter Korneffel wurde 1962 in Münster geboren und arbeitet als Autor und Journalist. Seine Spezialthemen sind Ecuador und die Galápagos-Inseln sowie Alexander von Humboldt und die Biermanufakturen in Berlin. Seine Reportagen erschienen u.a. bei Geo, Mare und DIE ZEIT. Seit 2008 ist er Autor des Reise-Handbuchs »DuMont Richtig Reisen: Ecuador – Galápagos-Inseln«.

Als vortragender Expeditionsleiter und Entwickler von ZEIT REISEN ist Peter Korneffel seit 2002 tätig. Reiseschwerpunkte sind dabei das Hochland Ecuadors und der Galápagos-Archipel. Für seine große MARE-Reportage »Krieg in den Mangroven« wurde Peter Korneffel 2000 gemeinsam mit dem Magnum-Fotografen Alex Webb mit dem Hansel-Mieth-Preis für eine der besten deutschsprachigen Reportagen des Jahres ausgezeichnet. 2001 bekam Peter Korneffel den Medienpreis Entwicklungspolitik vom Bundespräsidenten verliehen. Peter Korneffel lebt heute in Berlin. Von dort reist er regelmäßig nach Lateinamerika. Privat ist er leidenschaftlicher Segler, Taucher und Radfahrer sowie Anhänger des Fußballvereins VfL Bochum. 2016 erschien sein Szeneführer zu den »Biermanufakturen in Berlin« in 2. Auflage; Im September 2017 erschien sein neuestes Buch über die Humboldts in Berlin.

Tag 1: 26. Dezember 2019

Von Deutschland nach Havanna

 »Wenn man etwas Großes vorhat, muss man es gleich beginnen.«

Alexander von Humboldt

Heute ist ein besonderer Tag. Heute endet die Zeit des Wartens, der Vorbereitung und der Vorfreude auf die große Reise, die nun beginnt. Heute werden wir über den Atlantik fliegen, zum Start unseres großen, einzigartigen Abenteuers: In 60 Tagen werden wir Alexander von Humboldts legendärer Reise folgen, die ihn 60 Monate durch sechs Länder Amerikas führte. Bereits in den frühen Morgenstunden werden an den Flughäfen in Hamburg und Berlin, Frankfurt, München, Zürich und anderenorts die Koffer eingecheckt zum Flug nach Madrid, von wo aus uns Iberia in elfeinhalb Stunden nach Havanna bringt.

Bei der Ankunft am frühen Abend erwartet uns Peter Korneffel am Flughafen, der diese Reise für die ZEIT komponiert hat und unsere Gruppe von 30 Reiseteilnehmerinnen als Humboldt-Experte und Expeditionsleiter bis zum Reiseende nach achteinhalb Wochen am 21. Februar in Washington begleiten wird. Und auch die Kubanerin Yami Rodriguez, unsere Reiseleiterin für die nächsten sechs Tage, steht mit dem ZEIT-Schild hinter der Kofferausgabe. Mit dem Bus fahren wir durchs dunkle Havanna bis zur Placa San Francisco, von wo wir durch erleuchtete Altstadtgassen zu unserem Hotel Raquel laufen, unserer Herberge für die ersten beiden Nächte. Schon nach wenigen hundert Metern registrieren wir die Kontraste Kubas, die uns durch die nächsten Tage begleiten werden: Zwischen ganzen Zeilen wunderbar restaurierter Stadthäuser und Paläste aus kolonialer Zeit mit ihren kunstvoll angestrahlten Fassaden finden sich vereinzelt heruntergekommene Ruinen, die augenscheinlich seit Jahrzehnten keinen Handwerker mehr gesehen haben. Und was für ein Kontrast zum Winter in Deutschland: Trockenwarme Luft begleitet uns bis zu unserem Jugendstilhotel aus dem Jahr 1908. Noch schnell einen zuckersüßen Empfangscocktail und und ein kühles kubanisches Bier an der Hotelbar, dann fallen wir nach der langen Anreise müde ins Bett.

 

© Bernd Loppow

 

© Bernd Loppow

 

© Bernd Loppow

 

© Bernd Loppow

 

© Bernd Loppow

Bernd Loppow, ZEIT REISEN

Tag 2: 27. Dezember 2019

Casa Humboldt | Das alte Havanna

»Ich fand die Nordspitze des Kaps unter 87° 17´ 22″, oder 2° 34´ 14″ ostwärts vom Morro von Havanna gelegen«

Alexander von Humboldt

Zum Start in den Tag begrüßt uns die Sonne, die von einem wolkenlosen Himmel schon am frühen Morgen herunterbrennt. Nach dem etwas frugalen, aber schmackhaften Frühstück, das einen ersten Hinweis auf die kubanische Mangelwirtschaft gibt, erwartet uns in der Casa Museo Humboldt der Leiter des neu gestalteten Kulturhauses. Nur wenige Tage zuvor eröffneten Peter Korneffel und David Blankenstein hier eine vom deutschen Außenministerium geförderte Dauerausstellung. Kenntnisreich führt uns der Kurator Peter »Peko« Korneffel durch die Ausstellung, die »dem zweiten Entdecker Kubas« gewidmet ist, als der Humboldt von den Kubanern verehrt wird.

Anschließend geht es zu Fuß durch die Altstadt, La Habana Vieja. Seit sie 1982 zum Unesco-Weltkulturerbe erhoben wurde, verwandelten sich mehr als 900 verfallene arkadengeschmückte Herrschaftshäuser und koloniale Paläste in ein nahezu perfekt wirkendes Freiluftmuseum mit Straßencafés und Restaurants rund um die vielen Plätze, wie den vor der Kathedrale. Gerade erst am 16. November hat Havanna mit einem rauschenden Fest und großem Feuerwerk sein 500-jähriges Stadtjubiläum gefeiert. Doch schon eine Straßenecke weiter schreitet der Verfall oft fort und ist kaum aufzuhalten. Und zeugt doch vom Lebensmut und dem Optimismus, den viele Habaneros und Habaneras ausstrahlen. So wie im Palacio O‘Reilly nahe der berühmten Placa Vieja, wo Humboldt längere Zeit zu Gast war.

Heute bewohnen zehn Familien das ehemalige Herrenhaus, Wasser- und Stromleitungen laufen quer über Wände und Balkone. Wohnraum ist knapp in Havanna. Auf engstem Raum leben heute Dutzende dort, wo in kolonialen Zeiten eine Familie wohnte.
 
Weiter führt uns unser Weg in die Akademie der Wissenschaften, wo uns vor der Büste des großen deutschen Forschers eine Delegation mit einigen kurzen Vorträgen stolz über die Geschichte und die  Erfolge Ihres Instituts berichten. Sie können es kaum glauben, dass wir tatsächlich eine 60 Tage lange Reise auf Humboldts Spuren unternehmen. Wie unermesslich reich müssen wir in ihren Augen sein?

Natürlich ist eine Fahrt im Oldtimer-Cabriolet über den Malecon zum Sonnenuntergang ein Heidenspaß. Unser knallroter 59 ger Pontiac gibt alles. Die schwarzen Rauchwolken aus dem Auspuff lassen uns für einen Moment alle Klimadiskussionen vergessen. Unser erstes Dinner in Havanna nehmen wir auf einer Terrasse auf der anderen Seite des Flusses ein – mit einem traumhaften Blick, über die Hafeneinfahrt von Havanna, wo Alexander von Humboldt am 19.12.1800 zu seinem ersten Kubabesuch landete. Auch Humboldt hörte an seinem ersten Abend in Havanna schon den Kanonenschuss, der alltäglich um 21 Uhr am Flussufer abgefeuert wird.

© Antigoni Chrysostomou

 

© Antigoni Chrysostomou

 

© Antigoni Chrysostomou

 

© Antigoni Chrysostomou

 

© Antigoni Chrysostomou

Bernd Loppow, ZEIT REISEN

Tag 3: 28. Dezember 2019

Auf Kuba

»Wahrheit an sich ist kostbar, kostbarer aber noch die Fertigkeit, sie zu finden.«

Alexander von Humboldt

Unsere Etappe führt uns mit dem Bus in Richtung der Provinz Mayabeque nach Güines. Auf der Autobahn, wo wir nicht nur Radfahrern, Kühen, Hühnern und Ochsenkarren begegnen. Alexander von Humboldt reiste um 1800 in Begleitung eines Zuckerbarons und seines Hausherrn auf dieser Route, wo es zwischen 1779 und 1845 viele Zuckersiedereien gegeben hat. Diese Zuckerindustrie war nur möglich mit eingeführten Sklaven sowie der Maschinerie aus England. Von Peko (Peter Korneffel) erfuhren wir, dass Alexander von Humboldt Vorschläge gegeben hat über die Technik, um die Industrie effizienter zu gestalten, um Holz zu sparen, und die Lebensbedingungen der Sklaven zu verbessern. Er war auf seinen Entdeckungsreisen über die Zustände der Sklaverei sehr entsetzt. Auch hat er sich früh über Veränderungen der Natur durch den Menschen Gedanken gemacht. Humboldt sagte: „Durch sinnloses weiteres Abholzen der Wälder werdet ihr Euer eigenes Grab schaufeln.“

In dieser Gegend machte er Studien über die Königspalme und Untersuchungen über die Kalksteinhügel. Von einem jungen enthusiastischen Einheimischen wurden wir in eine Kalksteinhöhle geführt, uns wurde ein schmackhaftes Mittagessen in Bambuskörbchen serviert. Wir erfuhren über ein Projekt der einheimischen Gemeinschaft, mehr Besucher auf Humboldts Spuren in das Gebiet Loma de Candela zu bringen.

Zur Ehrung des jungen engagierten Projektverantwortlichen überreichte Peko ein Ersttagsblatt der Humboldt Briefmarke zum 250. Geburtstag, erschienen am 5.9.2019. Im Museum in Regla erfuhren wir von der Santeria, der afrokubanischen Religion. Mit der Fähre nach Havanna zurückgekommen, besuchten wir den Fotografen Sven Creutzmann, dessen vorgestellter neuer Bildband über Havanna sehr beeindruckte. Damit schlossen wir einen spannenden Reisetag ab.

© Antigoni Chrysostomou

 

© Antigoni Chrysostomou

 

© Antigoni Chrysostomou

 

© Antigoni Chrysostomou

 

© Antigoni Chrysostomou

Steffi Heussi, ZEIT-Reisende

Tag 4: 29. Dezember 2019

Von Havanna nach Trinidad

»Die Sklaverei ist ohne Zweifel das größte aller Übel, welche die Menschheit gepeinigt haben«

Alexander von Humboldt

Heute ist unser Ziel Trinidad. Wir verlassen Havanna und fahren auf der Autobahn, die heute am Sonntag fast autofrei ist. Zunächst besichtigen wir die Provinzhauptstadt Cienfuegos, die Perle des Südens, die an einer geschützten Bucht liegt. Neoklassizistische Bauten, prächtige Kolonialarchitektur mit französischem Flair zeugen vom einstigen Reichtum der Zuckerbarone, auf deren Zuckerrohrplantagen der spanischen Kolonie Heerscharen von Sklaven von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ihr hartes Tagewerk verrichteten. Durch den Anschluss an das kubanische Eisenbahnnetz wurde die Stadt zum wichtigsten Zuckerhafen des Südens.

Theater Tomas Terry in Cienfuegos © Mücke

 

Cienfuegos: Der Löwe als Zeichen des Wohlstands © Mücke

 

Cienfuegos: Koloniale Architektur © Chrysostomou

Das historische Zentrum wurde 2004 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Da das klassizistische Theater Tomas Terry derzeit restauriert wird (wie so viele andere Gebäude im Ort auch), konnten wir nur einen kurzen Blick hineinwerfen. Gegenüber liegt der kleine Stadtpark mit seinen zahlreichen Schatten spendenden Bäumen und seinem Musikpavillon, wo die hohen Herrschaften in kolonialen Zeiten klassische Musikkonzerte genießen konnten.

Der US-amerikanische Zuckerbaron Atkins gründete den Botanischen Garten, wo wir eine einstündige kompetente Führung hatten und uns einige der zirka 2.000 einheimischen und ausländischen Pflanzen erklärt wurden. Zum Beispiel der Kanonenkugelbaum, Ficus Benghalensis, Nussbäume, der Leberwurstbaum. Anschließend kamen wir rechtzeitig zum Sonnenuntergang in unserem All-Inklusive-Hotel am Strand in Trinidad an, wo uns ein
Willkommenstrunk serviert wurde. Einige nutzten noch die Gelegenheit für ein Bad im warmen karibischen Meer am lang gezogenen Strand des Hotels.

 

Eine von Tausenden Palmenarten © Chrysostomou

 

Ficcus Benghalensis ©Chrysostomou

Steffi Heussi, ZEIT-Reisende

Tag 5: 30.Dezember 2019

Humboldt in Trinidad und wir auch!

»Ich bin von ungleicher, bizarrer Stimmung, häufig sehr exigeant, niemals aber böse.«

Alexander von Humboldt

Auch heute ließ uns Humboldt nicht los. Zuerst ging es rein nach Trinidad, eine Stadt voll mit Geschichte und Geschichten, aus ihrer früheren spanischen Epoche und natürlich auch aus der Humboldt-Ära. Das Haus, in dem Baron Alexander, wie man ihn hier nennt, einen Tag wohnte, steuerten wir zuerst an. Darin befindet sich nun eine Humboldt-Galerie.

Humboldt-Galerie ©Mücke

 

Dann gleich um die Ecke der Palast, in dem sich Humboldt 1801 von Kuba verabschiedete, heute ein kleines archäologisches Museum.

Archäologisches Museum
(rechts) ©Mücke

Bummeln in Trinidad stand im Programm, was ich wortwörtlich nahm und in einem Restaurant hinter dem Museum verschwand und beim Schweineaufspießen für den Grill zuguckte, sorry liebe Vegetarier!

Schweinegrill ©Mücke

Mittags gab es ein vorzügliches Essen nahe Trinidad bei einer kleinen, privaten Farmerinitiative, alles aus eigenem Anbau, Huhn vom feinsten, verschiedene Wurzelgemüse, und köstliche Früchte, Mango, Papaya, Ananas, Zuckermelone, Pitahaya, und natürlich Guave.

 

Mittag auf dem Bauernhof ©Mücke

Schließlich fuhren wir zur Mündung des Flusses Rio Guaurabo, wo Humboldt am 14. März 1801 landete. Peter Korneffel trug die entsprechenden Passagen aus Humboldts Kuba-Tagebuch vor. Pekos Humboldt-Vorlesungen sind für mich stets die kulturellen Highlights dieser Reise. Für jeden Ort und jeden Anlass findet er die richtigen Stellen in Humboldts unerschöpflichen Schilderungen.

Lesung am Rio Guaurabo ©Mücke
Rio Guaurabo ©Mücke

Abends dann ließ ich die Rumverköstigung ausfallen und begab mich lieber nach Trinidad, zum Schweinegrill, es schmeckte vorzüglich, – und landete dann nach ausgiebiger Rumstreunerei in einer Salsabar. Beim Taxibestellen gab es eine kleine Überraschung, ein Motorrad fuhr vor, eher ein Moped, – eine Fahrt in dunkler Nacht, ich guckte nach oben, ein Himmel voller Sterne!

Burkhard Mücke, ZEIT-Reisender

Tag 6: 31.Dezember 2019

Von Trinidad nach Havanna

Jahresausklang und Salsaparty in Havanna

»Die Notwendigkeit des periodischen Schlafs ist ein Vorurteil, sage ich oft scherzweise.«

Alexander von Humboldt

Zurück mit dem Bus von Trinidad nach Havanna, allmählich wird das Ein- und Auschecken zur Routine, auch das Ein- und Auspacken. Alles ist perfekt organisiert, und die Kubaner gleichen die eine oder andere Imperfektion mit ihrer herzlichen Hilfsbereitschaft aus.

Fährhafen in Havanna ©Mücke

Wo Humboldt mit dem Schiff reiste, fliegen wir, so erklärt sich, dass wir seine 60-Monate-Reise in 60 Tagen absolvieren. Zurück im Zentrum von Havanna war der Empfang der deutschen Botschafterin in Kuba Heidrun Tempel und des Botschafters in Mexiko Peter Tempel der erste Silvester-Höhepunkt, beide stecken voll in der Humboldt-Thematik drin und verstehen es hervorragend, die kulturpolitische Bedeutung von Humboldt in den Ländern hier einzubringen.

Silvesterempfang ©Mücke

Der Empfang und die Diskussion mit Heidrun und Peter Tempel war auch ein würdiger Abschluss des Humboldt-Jubiläumsjahres 2019. Um nicht ganz ungelenkig rumzustehen, wenn ganz Havanna in das neue Jahr hineintanzt gab es vor dem großen Silvesterdinner noch einen kleinen Crashkurs im Salsatanzen von einem der renommiertesten Salsalehrer in Kuba.

Salsa Crashkurs ©Mücke

Wir hatten großen Spaß dabei, und der Tanzlehrer viel Geduld mit uns. Ade Humboldt-Jahr 2019, willkommen 2020 mit weiterhin vielen Einblicken und Erlebnissen, die wir Alexander von Humboldt verdanken.

Silvesterdinner ©Mücke

Burkhard Mücke, ZEIT-Reisender

Tag 7: 1.Januar 2020

Von Havanna nach Cartagena

»Der eigentliche Zweck ist das Schweben über den Dingen.«

Alexander von Humboldt

Es ist Neujahr 2020. Eine schöne Zahl. Ein neues Jahrzehnt. Neujahr über den Wolken. Wir fliegen hoch, die vielen kleinen Schönwetterwolken hängen tief. Sie liegen fast auf ihrem Schatten im Wasser. Es ist das Wasser des Atlantiks. Wir fliegen von Havanna nach Bogotá. In meinem Kopf noch die Bilder aus letzter Nacht. Silvester in den Straßen von Havanna. Musik und Tanz und Lebensfreude. In der Casa de Son, der besten Tanzschule der Stadt, tanzten uns junge Frauen und Männer aus Havanna bei pulsierenden Rhythmen in das Neue Jahr hinein. Ihre Körper immer im Fluss der Bewegung voller Kraft und Eleganz. Ihre Schritte leicht und beschwingt und schnell und lebendig. Ein wunderschöner Tanz, der Son.
An Silvesterabend waren alle Häuser offen und die Menschen auf der Straße. Der Blick ins Wohnzimmer war frei. Der Blick in die langen schmalen Eingänge und die dahinter liegenden Hinterhöfe auch. So wurde der größte Widerspruch der Stadt in einem Bild sichtbar. Ein Haus ist nicht ein Haus. Es ist ein Denkmal, ein alter Palast, eine Ruine, ein Unterschlupf, eine Behausung, ein Dach über dem Kopf. Das Glück der Kubaner kommt vom Herzen und hängt nicht vom Wohnraum ab. An den Bauten der Stadt ist die Zeit entweder stehen geblieben oder hat deutliche Spuren hinterlassen. Prachtvolle Exemplare kolonialer Architektur, die wir als schön zu bewerten gelernt haben, tragen genug abgeblätterte Farbe in Pastelltönen, um fast so etwas wie Nostalgie zu wecken. Nachgestrichen wird meist in stärkeren Farben. Und immer wieder fährt ein rosaroter Oldtimer an einem vorbei. Eine vage Erinnerung an Postkartenmotive kommt hoch. Flair ist eben nur ein Ausschnitt von Wirklichkeit. Jetzt habe ich das wirkliche Havanna gesehen. Das ist auch Entdecken. Etwas zur eigenen Wirklichkeit machen. Das Entdecken hat gerade erst begonnen. Über den Wolken wird mir das Ausmaß der Reise nochmals bewusst, als ich über die Länge stolpere, die wir nach der Landung per Bus in den nächsten Wochen zurücklegen werden. 5000 Kilometer. Als nächstes Land Kolumbien und unser heutiges Ziel, Cartagena, Unesco Welterbe.

Zwischenlandung in Bogotá

 

Über dem Atlantik

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 8: 2.Januar 2020

Cartagena

»Den Indios geht es wie den Afrikanern: Werden sie nicht gerade totgeschlagen, heißt es, es gehe Ihnen gut.«

Alexander von Humboldt

Cartagena. Pirates of the Caribbean. Eine Festung mit dicken Mauern. Haupthafen für die Transporte von Schätzen nach Spanien. Gegründet 1533. Zwei mal im Jahr wurden die Schiffe beladen. In der Zwischenzeit lagerten die Schätze in der Stadt und lockten viele Piraten an, der bekannteste Sir Francis Drake. Die Stadt wurde mehrfach niedergebrannt, bis man beschloss, aus Stein zu bauen. Wir laufen auf der Mauer in der steigenden Morgenhitze, der Blick schweift manchmal in die Ferne. Gegenüber der Altstadt erstreckt sich ein modernes Baugebiet mit Hochhäusern, unerwartet. Ein Mitreisender holt uns zurück auf eine ganz konkrete spannende Beobachtung: Die Mauer ist vollständig aus Korallensteinen gebaut. Wir schauen genauer hin.Feine Strukturen werden sofort sichtbar, verschiedene Muster, überall. Wir fahren mit dem Bus an dem Haus von Gabriel Garcia Marquez vorbei, alles geht schnell, es war das Rote.

Blick aufs moderne Cartagena ©Chrysostomou

Wir schlendern durch die Gassen, die Stadt hat etwas Malerisches, bunte Fassaden mit Blumen auf dem Balkon. Viele Kirchen, die mittags noch geschlossen sind. Auf den Straßen bewegen sich Motorräder, Autos, Pferdekutschen und viele Menschen. Es ist eine schöne Stimmung. Es gibt unzählige Schmuckläden, ein teures Überangebot für Kreuzfahrttouristen. Es gibt sehr schöne geflochtene Taschen, das passt alles nicht in den Koffer. Ich merke mir die Kirche Pedro Claver und kehre am Nachmittag dorthin zurück.

San Pedro Claver Kirche ©Chrysostomou

 

“San Pedro Claver empfängt die Sklaven am Strand” gemalt von Galarza 1949 ©Chrysostomou

Pedro Claver war ein spanischer Jesuiten Priester, der als der Schutzpatron der Sklaven gilt. Cartagena war nicht nur der Umschlaghafen für Bodenschätze, sondern auch der Hauptknoten für den Sklavenimport aus Afrika. 10.000 wurden jährlich nach Cartagena gebracht, Arbeitskräfte für die Gold- und Silberminen, ein Drittel starb auf dem Weg. Claver war am Ende Teil des Systems, er hat die Sklaven christianisiert und seelisch und medizinisch betreut. Im schönen Klosterbau neben der San Pedro Claver Kirche finden sich viele Gemälde, die sein Wirken zeigen, gemischt mit vielen anderen Bildern sakraler Kunst.

Graffiti in einer Seitengasse ©Chrysostomou

Als ich das Gebäude verlasse, ist die Kirche nebenan offen. Ich tappe langsam hinein. Es findet eine Hochzeit statt. Sie haben sich gerade das Ja Wort gegeben. Ich höre den Pfarrer noch sagen „hasta la muerte“, bis dass der Tod Euch scheidet. Dann küsst sich das Brautpaar. Es sind beide in weiß gekleidet. Ich eile zum Casa Cultural Colombo-Alemana, wir werden von der patenten jungen Leiterin Anita Thirkettle empfangen, die Klartext redet. Sie erzählt uns nicht nur von Humboldts Versuchen Cartagena zu erreichen, sondern auch von vielen Problemen der modernen Stadt. Ihre Mission: jungen Schülern aus schwierigen Verhältnissen und unter großer Hitze mit humorvollen Methoden Deutsch beibringen. Kein einfaches Unterfangen. Das Kulturzentrum gehört übrigens zur Organisation der Goethe-Institute. Es gibt in dieser Stadt noch viel zu entdecken. Später am Abend führen mich meine Schritte in eine Gasse voller Graffiti und kleinen Cafés. Noch einmal Kaffee trinken in Cartagena. Vielleicht komme ich ja wieder.

Cartagena in Weihnachtsbeleuchtung ©Chrysostomou

 

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 9: 3.Januar 2020

Turbaco

 »Keine Religion predigt die Unmoral, aber was sicher ist, ist, daß von allen existierenden die christliche Religion diejenige ist, unter deren Maske die Menschen am unglücklichsten werden«

Alexander von Humboldt

Nur mit geringer Verspätung machen wir uns von Cartagena aus auf den Weg ins 20 km südwestlich gelegene Turbaco. Gerade Platz genommen erfahre ich: Kolumbien ist das einzige südamerikanische Land mit Zugang zum atlantischen und pazifischen Ozean. Als Erstes besuchen wir den Botanischen Garten und werden dort vom Direktor Santiago Madriñán begrüßt. In seiner Begleitung ist Stuart Davis, der sich gerade zwecks Studien in Kolumbien aufhält.

 

Santiago Madriñán, Direktor des botanischen Gartens ©Biste

 

Wege im botanischen Garten ©Chrysostomou

 

Der botanische Garten umfasst ein bestehendes Naturareal und ein im Aufbau befindliches Studien- und Besucherzentrum. Vormals vom Staat unterstützt, finanziert die Firma Confinalco seit 2002 die Einrichtung einer „Recreation Area“. Im Wesentlichen werden die allgemeinen Parameter des Pfanzenwachstums erforscht und dokumentiert. Die Zusammenführung von unterschiedlichen Naturreservaten im Westen des Landes mit ihrer außerordentlichen Artenvielfalt ist im Fokus der gegenwärtigen Forschungsarbeit. Obwohl sich der Botanische Garten im Gebiet des trockenen Tropenwaldes befindet, ist das Gartenklima stets feucht, da von Quellen versorgt der Boden die Feuchtigkeit ganzjährig bewahrt. Neben den Informationen zur Botanik kommen auch die biografischen Details der beiden Botaniker, die sich seit ihrer Studienzeit kennen, nicht zu kurz.

 

Im Herbarium: Einsichten in die Arbeit mit Pflanzen ©Biste

 

Wir machen einen Zwischenstopp und gehen einen kurzen Weg zu Humboldts Wohnsitz bei seinem Aufenthalt in Cartagena. Heute wird das Gebäude als Rathaus genutzt. Unweit davon sehen wir ein Denkmal, das an Juan de la Cosa erinnert. Das Denkmal zeigt auf einer Seite das tragische Ende von de la Cosa, der als Beschützer seines Kapitäns von 100 vergifteten Pfeilen getroffen sein Leben aushaucht.

Mittagspause machen wir im Restaurant „Selva Negra“ also „Schwarzwald“. Lars – als Wirt bekannt vom Vortag aus dem „El Bistro“ in Cartagena – hat für uns ein köstliches Mittagessen vorbereitet. Weiter geht es mit Kleinbussen zum 150 m hoch gelegenen ehemaligen Kloster „Convento de la Popa“. Unser Führer Gabriel geleitet uns durch die Klosteranlage, erklärt anschaulich die Geschichte Cartagenas, des Klosters und anschließend auf Nachfrage auch seine eigene Lebensgeschichte als authentischen Einblick in die südamerikanische Mentalität.

Auf einer Schautafel ist Alexander von Humboldt u. a. neben dem Padre „San Pedro Claver“ abgebildet. Den Padre haben wir bereits gestern in der Altstadt kennengelernt, als Skulptur dargestellt. Er hatte – so erzählt man uns – aufopferungsvoll die bei der Überfahrt nicht jämmerlich verreckten Sklaven in Empfang genommen, mit dem nötigsten versorgt und getauft. Man könnte auch sagen mit dem Segen der katholischen Kirche für den Sklavenmarkt verwertbar gemacht. Wie unsere Stadtführerin sagte „auch seelisch gestärkt auf das vorbereitet, was sie bei ihrem weiteren unfreiwilligen Aufenthalt erwarten würden“.

Auch Alexander von Humboldt kommentiert in seiner Abhandlung über die Missionarsarbeit der Mönche:
„Keine Religion predigt die Unmoral, aber was sicher ist, ist, daß von allen existierenden die christliche Religion diejenige ist, unter deren Maske die Menschen am unglücklichsten werden.“

Der Innenhof der Klosteranlage „Convento de la Popa“ ©Biste

Beim Verlassen der Klosteranlage erfahre ich von Gabriel, dass die Herkunft des Namens „Convento de la popa“ angeblich von Seefahrern stammt, die beim Anblick des Klosterberges den Umriss eines Schiffshecks sahen. Abends nach kurzer Auszeit gehen wir zu Fuß zum Dinner ins nahe gelegene „Oh la la“. Zweifellos der bisher kulinarische Höhepunkt der Reise.

 

Dinner im französischen Restaurant „Oh la la“ in Cartagena ©Biste

Günther Biste, ZEIT-Reisender

Tag 10: 4.Januar 2020

Von Cartagena über Magangué nach Mompox

 »Ich weiß wohl, dass ich meinem großen Werke über die Natur nicht gewachsen bin, aber dieses ewige Treiben in mir( als wären es 10 000 Säue) wird nur durch die stete Richtung nach etwas Großem und Bleibendem erhalten.«

Alexander von Humboldt an David Friedländer, Madrid, 11. April 1799

Wir steigen morgens in Cartagena in unseren Bus, der für den Großteil unserer Reise unser Gefährt ist. Dort, wo Humboldt das Pferd benutzte, reisen wir im Bus.

 

ZEIT REISEN Bus ©Wilhelmi-Heimsath

 

ZEIT REISEN Bus ©Wilhelmi-Heimsath

Seinen Spuren nachzuempfinden ist das Ziel unserer Reise und ist täglich neu zu erfahren, wenn wir die entsprechenden Plätze besuchen. Er schaute vor Ort, sammelte, katalogisierte, ordnete in größere Zusammenhänge, die sich heute modern anfühlen, weil er auf Nachhaltigkeit achtete und verschiedene Wissensgebiete verband.

Im botanischen Garten von Turbaco wurde uns der Zusammenhang von kontinuierlichem Wasservorkommen und Artenvielfalt das erste Mal aufgezeigt, Humboldt hatte das schon erkannt, und setzt sich fort, auf der Fahrt nach Mompox, als wir erfahren, dass die Wasserversorgung von den Anden gespeist wird, dies speziell von bestimmten Pflanzen, die Feuchtigkeit aufnehmen und für Regen sorgen. Ein kontinuierlicher Garant für die große Biodiversität von Kolumbien. Es bringt mich zum Staunen, dass Humboldt dieses umfängliche Denken verinnerlicht hatte, Ausgangspunkt und gleichzeitig Ziel seiner Reise.

Unsere Mittagspause verbringen wir in Carmen de Boliviar, besichtigen die örtliche Kathedrale, die extra für uns geöffnet wird und essen im Café Vintage nahe bei. In der glühenden Hitze am Rande der Kathedrale draußen sitzend, näht ein kolumbianischer Schuster einem unserer Mitreisenden mit gekonnten Stichen eine sich lösende Schuhsohle wieder an.

Kirche ©Wilhelmi-Heimsath

 

Schuster ©Wilhelmi-Heimsath

Auf unserer Weiterfahrt überqueren wir eine neue Brücke über einen Seitenarm des Rio Magdalena, den Fluss, der sich über 1500 km durch Kolumbien zieht.

 

Brücke ©Wilhelmi-Heimsath

 

Am Nachmittag erreichen wir unser Ziel Santa Cruz de Mompox, ein koloniales Städtchen, mit maurischem Einfluss und 44 000 Einwohnern. Früher war die Stadt, 1537 von Alonso de Heredia gegründet, ein Umschlagplatz für Handel. Sie erklärte als Erste, am 6. August 1810, ihre Unabhängigkeit gegenüber den Spaniern, neun Jahre nachdem Humboldt dort war.

Der Romanist Prof. Ottmar Ette sieht in Humboldt einen „Erfahrungswissenschaftler“. Das vom ihm geleitete Editionsprojekt an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften führt bezeichnenderweise den Titel „Alexander von Humboldt auf Reisen. Wissenschaft aus der Bewegung.“ Es inspiriert, seiner Bewegung zu folgen.

Jutta Wilhelmi-Heimsath, ZEIT-Reisende

11.Tag: 5. Januar 2020

In Mompox und auf dem Rio Magdalena

 »Ich suche keine Schwierigkeiten des Lebens, schrecke aber auch vor keiner zurück«

Alexander von Humboldt

Alexander von Humboldt besuchte Mompox auf dem Weg von Cartagena nach Bogota und blieb 10 Tage. Er beschrieb Mompox als »die heißeste Stadt«, die er erlebt habe. Recht hat er! Heute ein verwunschenes Städtchen, das der Altstadt von Havanna ähnelt mit seinen engen Straßen und Gassen, der unverfälschten Kolonialarchitektur und den vielen Kirchen. Die einstmals reiche Handelsstadt ist seit der Verlegung der Schifffahrtsströme in den größeren Arm des Rio Magdalena 1840 in einen Dornröschenschlaf verfallen.

So treffen wir beim Stadtrundgang auf prächtige Herrenhäuser mit stilvoll bepflanzten Innenhöfen, kleine Plazas, einen eindrucksvollen Friedhof und das Museum Casa de la Cultura mit einer Ausstellung von präparierten Tieren und Tagebuchauszügen als Hommage an Humboldt.

Der Friedhof von Monpox ©Antigoni Chrysostomou

Weiter bewundern wir in einer Manufaktur die Herstellung filigranen Silberschmucks. Nachmittags geht es per Boot auf den zweiten Arm des Rio Magdalena und den Kanal de Dique. Üppige Flora und reiche Fauna begleiten und begeistern uns auf unserem Weg. Neben Leguanen, die am Ufer stolz in der Nachmittagssonne posieren und uns keinen Blickes würdigen, erspähen wir auch eine Vielzahl von Vögeln, vom Kolibri über den Eisvogel bis zum Reiher.

Silberschmuck aus der Schmuckwerkstatt von Monpox ©Antigoni Chrysostomou

 

Patio im Betty Sinning Hostel Mompox ©Antigoni Chrysostomou

 

Der Fluß Magdalena ©Antigoni Chrysostomou

Links und rechts springen hunderte kleiner, silbrig schimmernder Minisardinen aus den braunen Fluten und tauchen teilweise Meter entfernt wieder ein. Oder landen unversehens auf dem Schoß kreischender Mitreisender. Bei der Rückkehr an die Anlegestelle empfängt uns eine Musikgruppe mit kolumbianischen Rhythmen und begleitet uns in die nächstgelegene Bar. Ein fruchtiger Rumcocktail rundet den Tag ab, in und um dieses Städtchen, das uns alle in seinen Bann gezogen hat.

Thomas Becker, ZEIT-Reisender

Tag 12: 6. Januar 2020

Von Mompox nach Barrancabermeja

»Die Dauer der Welt […] lässt sich nur denken ohne Anfang und Ende.«

Alexander von Humboldt

Heute geht es etwas früher los als sonst, die Strecke ist zwar kurz, aber die Straße ist teilweise nicht gut. Die Regierung investiert seit etwa 20 Jahren große Summen in das Straßennetz und sorgt durch Polizeipräsenz für Sicherheit, aber die Regenzeit führt immer wieder zu Schäden. Wir fahren durch eine sattgrüne Kulturlandschaft parallel zum Rio Magdalena flussaufwärts. Humboldt berichtete noch von bewaldeten Ufern und hellgrünen Wiesen, die von versprengten Häusern und Ansiedlungen unterbrochen wurden. Heute sehen wir das Land rechts und links der Straße abgezäunt, manchmal nur kleine Flecken – Minifundien, auf denen die Campesinos Subsistenzwirtschaft betreiben, manchmal große Landstriche – Latifundien, wo Großgrundbesitzer Viehwirtschaft mit Cebu-Rindern zur Fleischproduktion betreiben.

Felder und Rinder ©Antigoni Chrysostomou

Die Zahl der Minifundien nimmt ab, die Campesinos werden häufig durch Gewaltandrohung dazu veranlasst, ihr Land aufzugeben und wandern ab in die Städte in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die Verstädterung hat in Kolumbien einen Grad von 80% erreicht und liegt damit neben den asiatischen Metropolregionen im weltweiten Spitzenbereich. In Aguachica nehmen wir unsere lokale Führerin an Bord, die neben ihrer Sachkenntnis dafür sorgt, dass das leibliche Wohl nicht zu kurz kommt, wir werden gut und freundlich bedient in einem kleinen Straßenrestaurant.

Weiter geht es auf die Piste mit unserem ZEIT-Bus nach Barrancabermeja. Zu Humboldts Zeiten existierte die Stadt noch nicht, sie wurde erst vor 98 Jahren gegründet. Weiße Siedler (u.a. auch Deutsche) kamen auf der Suche nach Edelhölzern in diese Gegend und trafen auf Indigenas, die aus der Erde ausgetretenes Erdöl als Brennmaterial sowie Sonnen-und Insektenschutz nutzten – der Beginn dieser Stadt als Erdölzentrum Kolumbiens. Demzufolge sahen wir nun Erdölleitungen und Pumpen längs des Weges, aber auch große Palmölplantagen – Humboldt hätte gesagt, es gäbe fossiles und vegetabiles Öl.
Eine große Überraschung sollte uns noch erwarten: Beim Abendessen besuchte uns der frischgewählte Bürgermeister samt Familie und hieß uns herzlich willkommen – es war noch nie eine so große ausländische Touristengruppe in der Stadt zu Besuch!

Danach stand eine Chiva vor der Tür – ein großer offener Bus mit Musik und Discobeleuchtung, der uns durch die nächtliche Stadt fuhr und mit Bier sowie Salsa-Disco-Cumbria- und Rockmusik für Stimmung sorgte.

Die “Chiva” – der Partybus ©Bernd Loppow

Wir besichtigten, manche tanzend, einen extra für uns aufgebauten kleinen Kunsthandwerksmarkt, genossen Spezialitäten von einem Büffet und hatten noch eine Menge Spaß, bevor es nach einem ereignisreichen Abend wieder zum Hotel zurückging.

Elisabeth Schacher, ZEIT-Reisende

Tag 13: 7. Januar 2020

Von Barrancabermeja nach Honda

 »Ich bin wie die Menschen, die ihre Fragen kurz einrichten,
um bald die erwünschte Antwort zu haben«

Alexander von Humboldt

Heute fahren wir mit unserer Regionalreiseleiterin Amanda von dem boomenden Erdöl- und Chemiestandort Barrancabermeja mit unserem schicken „Zeit“-Reisebus zur Kakaoplantage in Carmen de Chucuri, der ersten Etappe unseres heutigen Tageszieles Honda, einer weiteren authentischen Station unserer Humboldt-Reise. Der Ursprung der Besiedlung liegt im Jahre 1936 unter Beteiligung deutscher Siedler mit der ursprünglichen Absicht der Ausbeutung tropischer Edelhölzer. Die beiläufige Entdeckung der Erdöllagerstätten bzw. der Nutzungsmöglichkeiten abseits der von den Indigenen verwendeten Anwendungszwecke Sonnen- und Mückenschutz führte zur raschen Exploration und Gewinnung der Vorkommen. Samuel Schneider-Uribe ist Namensgeber des einzigen Erdölmuseums.

Erdölraffinerie in Barrancabermeja © Antigoni Chrysostomou

Als Kollateralschaden ist die durch den exzessiven Pipelinebau zu verzeichnende Verschlechterung der Bodenqualität zu konzedieren.In den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde eine teilweise viergleisige Eisenbahnlinie von der karibischen Küste nach Bogotá ausgebaut, über die große Mengen Tropenholz und auch die zwischenzeitlich geförderte Steinkohle transportiert wurden. Amanda und Claudia erläutern uns die Hintergründe der aktuellen Prosperität nach Jahrzehnten der durch die FARC und Paramilitärs in Schrecken gehaltenen Gegend. Ein nach wie vor aktuelles Thema ist der Konflikt zwischen Latifundien- und Minifundienbesitzern. Auch ist das Gebiet noch aktuell Bestandteil der „Narco-Route“.

Wir durchqueren riesige Plantagen mit Palma Afrikana, vulgo Ölpalmen, deren zweimal pro Jahr geerntete Früchte unter Wärmezufuhr zu Palmöl gepresst werden, welches Einsatz in Pharma- und Kosmetikprodukten, sehr vielen Lebensmittelzusätzen und leider auch zu Biosprit findet. Die Nachhaltigkeit dieser Anbautechnik darf ernsthaft bezweifelt werden, auch vor dem Hintergrund des deutschen EE-Gesetzes.

Diese globalen Auswirkungen auf Nachhaltigkeit und Erhalt der Biodiversität konnten von Alexander von Humboldt zum damaligen Zeitpunkt nicht antizipiert werden. Kurz vor Erreichen des ersten Etappenziels passieren wir Teichwirtschaft für zwei lokale Süßwasserfische, – jetzt tauchen die ersten Kakaopflanzen sowie Avocadopflanzen und Mandarinensträucher auf.
Bei der Ankunft in Carmen de Chucuri werden wir vom Bürgermeister begrüßt; dieser erläutert die Wichtigkeit des Kakaoanbaus für die Stadt und die Gegend. Im Anschluss absolvieren wir einen Parcours durch das Dorf, um den Anbau und die Verarbeitung der verschiedenen Kakaosorten nebst Setzlingsaufzucht in einer Microempresa kennen zu lernen einschliesslich der verschiedenen Zwischen- und Endprodukte.

 

Kakao Frucht ©Antigoni Chrysostomou

 

Lokaler Kakao und Kaffee Produzent in Carmen de Chucuri ©Antigoni Chrysostomou

 

Kakaopflanzensetzlinge ©Antigoni Chrysostomou

Ein Mittagessen stärkt uns für die zweite Tageshälfte, serviert mit großer Herzlichkeit und schmackhaften Gerichten. Auf der Weiterfahrt verstärkt der Geruch von Borocho die Wirkung der Klimaanlage kurzzeitig. Auf der längeren Fahrt Richtung Honda erfolgt durch Claudia Feix eine Hintergrundbetrachtung der Narco-Subkultur, welche durch das Machtvakuum des Staates über alle Gesellschaftsschichten hinweg das soziale Gefüge des Landes durchwuchert, wie es schon Gabriel García Márquez in einem Essay beschrieben und thematisiert hat. In einem wunderschönen Parador nehmen wir Quartier und haben noch ein gemeinsames Abendessen am zentralen Marktplatz.

Aufstieg in die Andenkordilleren Richtung Bogotá ©Antigoni Chrysostomou

Karl Staudenmaier, ZEIT-Reisender

Tag 14: 8. Januar 2020

Der Aufstieg von Honda nach Bogotá

 »Das Goldsuchen ist eine europäische Krankheit, welche an Raserei grenzt« Honda 1801

»Wie unwirtbar macht europäische Grausamkeit die Welt!« Neu-Granada 1801

Alexander von Humboldt

Als Günter um 6:30 in der Dusche die Holzluke öffnet, strömt ihm nicht nur die aufsteigende Wärme entgegen, sondern auch die Palmwedel des Hotelinnenhofs. So beginnt unser Morgen in unserem charmanten Hotel Posada Trampas. Es liegt direkt neben dem Haus, in dem Alexander von Humboldt im Juni 1801 übernachtete, aber sicher nicht so komfortabel wie wir. Wir werden von dem versierten kolumbianischen Stadtführer Louis Enrice abgeholt, der uns mit viel Begeisterung durch den Ort Honda bis an die Uferböschung des Rio Magdalena führt. Honda hat sich für uns herausgeputzt. Die steil aufsteigenden Gassen sind mit im Fluss rundgeschliffenen Felssteinen gepflastert. Ein schöner Anblick, auch wenn das Gehen manchmal beschwerlich ist.
Man sieht, dass viele wohlhabende Kolumbianer aus Bogotá hierherkommen, um der Kälte ihrer Stadt, die in 2600m Höhe liegt, zu entfliehen. Die Häuser sind farbenfroh gestrichen und oft mit Bougainvillea geschmückt. Wir besichtigen die „neue“ Apotheke, in der heute noch die Chinin-Flaschen stehen, was uns wieder daran erinnert, dass Humboldt an nichts so sehr interessiert war, wie daran, das beste Chinin zu finden. Ein Abstecher bringt uns ans Flussufer, wo zwei einheimische Fischer uns zeigen, wie sie ihre mit Blei beschwerten Netze auswerfen. Dabei entdecken wir das unerwartete Talent des ZEIT REISEN Gründers und Programmleiters Bernd Loppow.

Hotelinnenhof ©Ilona Haß

 

Hier übernachtete Humboldt 1801 ©Ilona Haß

 

Apotheke ©Günter Haß

 

Alte Chinin Flaschen ©Günter Haß

 

Bernd – „der Fischer“ ©Ilona Haß

 

Der Stadtrundgang endet im Museum, wo wir viel über die Region und über Humboldts Aktivitäten sehen und erfahren können. Nachdem alle Wasserflaschen aufgefüllt sind, geht die Fahrt los Richtung Bogotá. Beim Befahren der steilen Serpentinen denken wir sofort wieder an Humboldt, der diese Bergwelt mit Maultieren und zu Fuß überwinden musste, auf steilen engen Pfaden bei Regen, Gewitter und Sturm. Wir dagegen sitzen warm und trocken.
Plötzlich bleibt der Bus stehen. „Was ist los?“ Wir hören von einem Unfall, durch den die Straße blockiert ist. Das wird wohl Stunden dauern! Aber bevor Unmut aufkommt, erinnern wir uns daran, dass Humboldts Reise nach Bogotá drei Wochen dauerte. Und wir haben Glück. Nach vielleicht 25 Minuten setzt sich die Schlange langsam in Bewegung. So erreichen wir bald unsere Raststätte. Dort wird die kolumbianische Spezialität „Bandeha Paisa“ angeboten, von der wir wohlweislich nur eine halbe Portion bestellen. Als wir in Bogotá ankommen, erleben Marianne und Joachim O. eine freudige Überraschung: Koffer ist da!

Ilona Haß, ZEIT-Reisende

Tag 15: 9. Januar 2020

Bogotá

 »Sich wieder inmitten der Zivilisation zu wissen, ist ein großer Genuss, aber er hält nicht lange an, wenn man für die Wunder der Natur im heißen Erdstrich ein lebendiges Gefühl hat«

Alexander von Humboldt

Nach zwei Wochen in der tropischen Hitze überrascht uns in über 2.600m Höhe am frühen Morgen eine Temperatur von nur 7°C. Zwiebel-Look ist angesagt. Jedoch steigt die Temperatur durch die Kraft der Sonne schnell auf über 20°C. Die Führung durch die Altstadt zeigt uns neben Kolonialarchitektur auch moderne Gebäude wie die Stadtbibliothek von 1958 und das Centro Cultural Márquez. Höchst eindrucksvoll sind die Besuche im Botero- sowie im Goldmuseum mit grandiosen Exponaten aus Vorkolonialer Zeit. Weiter geht’s am schwer gesicherten Präsidentenpalast, dem Parlament und der Kathedrale vorbei zum zentralen Platz Bolívar.

 

Die Mona Lisa Version des Malers Botero © Antigoni Chrysostomou

 

Vermächtnis in Gold © Antigoni Chrysostomou

 

Der gut bewachte Präsidentenpalast in Bogotá © Antigoni Chrysostomou

Zum Mittagessen machen wir Bekanntschaft mit der Spezialität Ajiaco, einer Suppe mit Einlage von Kartoffeln, Hühnchen und Gewürzmischung, dazu Reis und Avocado. Nachmittags steht ein eigens für unsere Gruppe organisiertes Symposion im Humboldt-Institut für nationale Biodiversität auf dem Programm. Der Forscher José Manuel referiert über den Rückgang der kolumbianischen Waldbestände. Der Kulturattaché der deutschen Botschaft erläutert die Aktivitäten zum 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt in Kolumbien. Der bekannteste Humboldt Forscher Kolumbiens, Prof. Alberto Gómez Gutiérrez hält einen beeindruckenden Vortrag zum Aufenthalt von Alexander von Humboldt in Kolumbien im Jahre 1801. Nach seiner Beurteilung beruht die Wertschätzung für Humboldt in Lateinamerika auch auf der Tatsache, dass Humboldt indigenen Gesprächspartnern gleiches Interesse und Neugier auf Augenhöhe entgegengebracht hat wie europäischen Geistesgrößen wie Goethe und Schiller in seiner Zeit in Weimar.

Danach erleben wir den Sonnenuntergang hoch über der Stadt auf dem Cerro de Monserrate in 3150m Höhe. Den Abschluss des Tages bildet ein stilvolles Dinner mit dem deutschen Botschafter in Kolumbien Peter Ptassek, der in herzlicher Offenheit die Fragen zur politischen und sozialen Situation im Land beantwortet.

 

Die Lichter von Bogotá aus dem Berg Monserrate © Antigoni Chrysostomou

Thomas Becker, ZEIT-Reisender

Tag 16: 10.Januar 2020

Wo liegt Eldorado? | Discofox á la Colombia

 »Der Mensch beurteilt die Dinge lange nicht so sehr nach dem, was sie wirklich sind, als nach der Art, wie er sie sich denkt und sie in seinen Ideengang einpaßt«

Alexander von Humboldt

Früh am Vormittag verlassen wir das Hotel de la Opera, unsere gegenüber des kolumbianischen Außenministeriums zentral in der Altstadt gelegene, stilvolle Kolonialstilherberge. Durch den Morgenstau in Bogota kämpft sich unser ZEIT-REISEN-Bus Richtung Norden. Nach anderthalb Stunden Fahrt müssen wir in kleinere Busse umsteigen, in denen wir zur Berglagune von Guatavica fahren, den sagenumwobenen See der Eldorado-Legende, den Humboldt am 17. oder 18. Juli 1801 zeichnete und ausführlich beschrieb. Die Guatavica-Lagune war eine heilige Stätte des ehemals im Hochland um Bogotá ansässigen Volkes der Muisca-Indianer. Die Legende besagt, dass zur Krönung eines neuen Häuptlings, dieser über und über mit Goldstaub bedeckt und auf einem Floss in die Mitte der Lagune gerudert wurde, wo er sich dann das Gold vom Körper wusch, das mit dann mit weiterem opulentem Goldschmuck im See versank. Als die spanischen Kolonialisten davon erfuhren, nannten sie die Umgebung des Sees Eldorado, »die Vergoldete«. Emsige Bemühungen, den See abzulassen und die Suche nach dem Goldschatz blieben erfolglos, die Legende lebt bis heute.

Auf dem Weg nach Eldorado ©Bernd Loppow

 

Peko & friends: Humboldt immer im Gepäck
©Bernd Loppow

 

Die Lagune von Eldorado ©Bernd Loppow

 

Bevor wir an den heute in einem kleinen Nationalpark gelegenen See gelangen, spazieren wir in fast 3.000 Metern Höhe durch einen Hochlandwald mit wunderschönen purpurfarbenen Bromelienblüten und ersten Exemplaren der Paramo-Vegetation aus wasserspeicherndem Hochlandgras. Unterwegs liest unser Expeditionsleiter Peter Korneffel aus Humboldts Aufzeichnungen zur Lagune vor. Es sind diese täglichen Lesungen an den Originalschauplätzen, die den Bezug herstellen zu der unvergleichlichen Leistung, die Humboldt vor über 220 Jahren vollbracht hat, und die auch unsere Reise so einzigartig und unvergleichbar machen. Es ist Pekos unerschöpflicher Wissensschatz über den großen Reisenden und seine Fähigkeit, uns diesen voller Inbrunst zu präsentieren und uns immer wieder mitzunehmen auf Humboldts Reise, so als seien wir selbst dabei gewesen.

Den herrlichen Ausblick auf die Lagune von Eldorado, der sich uns nach einer halben Stunde bietet, haben wir uns mit einem durchaus ambitionierten und schweißtreibenden Fußmarsch bergan wohl verdient. Von der Lagune fahren wir zur Mittagspause im Schatten einer nahe gelegenen Hazienda, bevor es weitergeht zu einem weiteren, sehr realem Schatz der Gegend: der Salzkathedrale von Guatavita. Sie befindet sich in einem riesigen Salzbergwerk, das Humboldt am 19. Juli 1801 besuchte. Hier kam dem Bergassessor Humboldt sein Geologiestudium an der Bergakademie von Freiberg zugute als er den spanischen Kolonialisatoren neue Möglichkeiten des Stollenbaus, mit deren Hilfe sie das »weiße Gold« massenhaft aus dem Berg herausholen konnten, eröffnete.

Den wahren Schatz des Berges heben die Kolumbianer erst seit gut zwanzig Jahren: Mitte der neunziger bauten sie in die mittlerweile stillgelegten Stollen eine monumentale Salzkathedrale, mit 13 Seitengängen und in die Frontwände gehauenen Kreuzen, die den Kreuzgang Jesus von Nazareths symbolisieren sollen, und in einer gewaltigen Kathedrale enden. Bunt angestrahlt und mit Dutzenden Souvenirshops in weiteren Seitenstollen mag das auf einen etwas sehr verkitscht wirken. Für die Riesengemeinde kolumbianischer Katholiken ist es ein magischer Anziehungspunkt, der mit seinen Eintrittsgeldern die Staatskasse jedes Jahr mit einigen Milliarden Pesos füllt.

 

Beeindruckende Heimat der Muisca ©Bernd Loppow

 

Schatz der Neuzeit: Salzkathedrale von Guatavica ©Bernd Loppow

Eine kluge Programmplanung führt uns heute nicht in den allabendlichen Verkehrsstillstand in Bogotá, sondern in ein atemraubendes Restaurant in einem Vorort der Hauptstadt Kolumbiens: »Andres Carne de Res« ist eines der begehrtesten Restaurants der Metropolregion und zugleich ein Beispiel gehobener Erlebnisgastronomie. An verschiedenen, riesigen Grillstationen glüht die Holzkohle, an diversen Bars werden Cocktails gemixt. Wir bekommen von der 86-seitigen Speise- und Getränkekarte eine Auswahl ausgezeichneter Vorspeisen und Fleischspezialitäten serviert. Mein Favorit: das butterzarte Rinderfilet in der Salzkruste. Beschwingt von dem einen oder anderen Rum-geschwängerten Fruchtcocktail wagen sich einige zum Discofox á la Columbia auf die Tanzfläche.

Dann heißt es Aufbruch, schließlich sind es noch 20 Kilometer bis zum Hotel. Es ist 21.15 Uhr und der Feierabendstau hat sich praktisch aufgelöst. Wir haben alles richtig gemacht.
Um Viertel vor zehn steige ich vor dem Hotel de la Opera zum letzten Mal aus unserem Reisebus. Es heißt Abschied nehmen von meinen Mitreisenden und von einer Reise, die wie vielleicht keine andere das verkörpert, was die Zielsetzung beim Start von ZEIT REISEN vor 20 Jahren war: »Entdecken, worauf es ankommt«! Niemand seit Humboldt ist vor uns dieser Reiseroute gefolgt. So reise ich zufrieden und voller Zuversicht für den weiteren Verlauf unserer Expedition zurück nach Hamburg. Peko und die ZEIT-Reisenden haben noch 42 weitere Tage vor sich mit Humboldt im Gepäck. »Saludos e buena suerta a todos

Bernd Loppow, ZEIT REISEN

Tag 17: 11. Januar 2020

Von Bogotá über Icononzo nach Ibagué

 »Die Sonne beleuchtet alle und läßt in vielen Köpfen es gären«

Alexander von Humboldt

Morgendliches Verlassen des Hotels in Bogotá mit dem Tumult, den Gruppenreisen mit sich bringen. Morgendlich kühler Weg zum Bus, der sich in Richtung Süden in Bewegung setzt. Die Strecke senkt sich Richtung Tiefebene bei zunehmender Temperatur. Im Verlauf der Fahrt und bei abnehmender Konzentrationsfähigkeit und zunehmender Schläfrigkeit der Reisenden, referiert Frau Dr. Claudia Feix zum Thema innere politische Konflikte Kolumbiens und die sich über Jahrzehnte hinziehenden blutigen Auseinandersetzungen. Ziel des heutigen Tages ist die berühmte von Humboldt gezeichnete Naturfelsenbrücke über den reißenden Rio Sumapaz. Nach etwa der Hälfte der Strecke Umstieg in zwei Kleinbusse, die uns auf holpriger Straße Richtung Brücke befördern.

Dann die große Überraschung. Die von Humboldt skizzierte Brücke besteht in dieser Form bedauerlicherweise nicht mehr, da sie Opfer des zunehmenden Verkehrs geworden ist. Sie wurde durch einen Neubau ersetzt, der die Schlucht in mehreren Bögen überspannt. Es lassen sich zwar noch Reste aus der Darstellung Humboldts unterhalb der neuen Konstruktion wiedererkennen aber der gesamte Anblick ist inzwischen verfremdet und der alte Charme ist perdu. Zum Glück hat unser Reiseleiter einen auf Großformat gebrachten Druck der Humboldt Skizze dabei, den er, waghalsig auf dem Geländer balancierend, vorzeigt.
Die Brücke an Stelle der Naturbrücke ©Antigoni Chrysostomou

 

Es begrüßt uns ein schüchterner und fast traumatisiert wirkender Indigena, der uns in wenigen Sätzen über die Vernichtung seines Volkes berichtet. In der Übersetzung der lokalen Sprache ins Spanische und vom Spanischen ins Deutsche kommen bei uns nur Fragmente der Geschichte an. Vor der Weiterfahrt gibt es noch ein komfortables Mittagessen, das wir in Kartons mitgenommen hatten. In der großen Hitze flüchtet jeder von uns in die wenigen Schattenplätze mit seinem Karton. Die Gruppe verkünstelt sich danach in perfekter Mülltrennung, es gibt hierfür sehr viele Experten.
Jimmy, der Indigena ©Antigoni Chrysostomou

 

Der Fluss Sumapaz in der Tiefe der Schlucht ©Antigoni Chrysostomou

 

Blick auf Ibagué
©Antigoni Chrysostomou
Danach führt uns der Weg zurück zum großen Bus, der uns nach mehreren Stunden Fahrt in die Stadt Ibagué bringt. Dort erwartet uns unser komfortables Hotel. Der heiße Tag endet mit einer Craft Bier Verkostung. Was vorher niemand wusste oder erwartet hat: Der Bierproduzent ist ein ehemaliger Guerilla Kommandant der FARC, Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia. Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens in 2016 sind viele der ehemaligen Guerilla Kämpfer auf dem Weg der Integration und der Entstigmatisierung. Wir hören gespannt seiner Geschichte zu und versuchen einen kleinen Eindruck von diesen komplexen Zusammenhängen zu bekommen. Kolumbien steckt voller Überraschungen. Wir bleiben neugierig, was uns das Land noch zu bieten hat.
Der Bierproduzent und ehemalige Guerilla Kämpfer „Donald“, mit zivilem Namen Gustavo Bocanegra, mit der Flagge der FARC ©Antigoni Chrysostomou

Jürgen Perlich, ZEIT-Reisender

Tag 18: 12. Januar 2020

Von Ibagué bis Cali und Besuch einer Kaffeeplantage

 »Die Natur aber ist das Reich der Freiheit«

Alexander von Humboldt

Der Bus ächzt auf den bergigen Straßen hoch auf den Pass der West-Kordillere. Gefühlt durchqueren wir ganz Kolumbien an einem Tag. Grüne Bergrücken, Täler, Felder, Wiesen, Flüsse wechseln sich ab. Das Piepen des Autofokus geht mindestens einmal pro Sekunde. Alle versuchen die grandiose Landschaft in vielen kleinen Rechtecken abzuspeichern. Das Zusammensetzen der Bilder in der Erinnerung wird nie der Magie dieser Berge gerecht. Für Humboldt war dieser Pass wohl der beschwerlichste auf seinen Reisen. Wir steigen bis auf 3500m Höhe. Straße, Kurven und Kopfschmerzen. Ich merke die Höhe. Vielleicht habe ich noch nicht genug Wasser getrunken.

Endlich ein Porträt eines Zebu Rindes ©Antigoni Chrysostomou
In Kolumbiens West-Kordillere ©Antigoni Chrysostomou

Heute ist der Tag, an dem ich zum ersten Mal Kaffeepflanzen in Natur sehe. Um ganz ehrlich zu sein, habe ich nicht mal ein Bild der Kaffeepflanzen im Kopf. Seltsam. Da trinkt man ein Leben lang Kaffee und weiß nicht, wie die Pflanzen aussehen. Die Blätter sind so glatt wie Zitronenblätter und ähnlich groß aber dunkler. Sie glänzen in der Sonne. Die Blüten erinnern an Jasmin und sollen schön duften. Ich rieche nichts. Es liegt vielleicht an dem Mückenspray an den Armen der Mitreisenden. In der Plantage hängen überall schön gemachte Schilder, um die Sorten zu bezeichnen. Der Großteil sind Arabica Pflanzen. Arabica macht über 70% der weltweiten Kaffeeproduktion aus. Es gibt hier auch die Sorten Robusta und Liberica. Die unreifen Früchte sehen aus wie kleine grüne Oliven und wachsen dicht nebeneinander und ganz nah am Zweig. Wenn sie reif sind, kleiden sie sich in einem schönen Rot.

Kaffeesetzlinge, Mariposas – Schmetterlinge genannt ©Antigoni Chrysostomou
Kaffeefrüchte ©Antigoni Chrysostomou

Zwickt mich mal! Ich bin gerade im Kaffeedreieck Kolumbiens in der Nähe der Stadt Armenia und werde gleich einen international prämierten Kaffee probieren. Café la Morelia setzt auf Qualität. Bei der Kaffeeverkostung werden drei gleiche Kannen zubereitet, die exakt das gleiche Aroma bieten müssen. Der Experte gießt den schmalen 91°C heißen Wasserstrahl gleichmäßig über das Kaffeepulver. Diesen Duft rieche ich auf zehn Meter Entfernung. Der Kaffee hat eine tiefe Farbe von dunkler Schokolade und kitzelt die Nase mit feinen Aromen. Weich auf der Zunge hinterlässt er den Geschmack einer karamelligen Wärme. Davon muss ein Päckchen in den Koffer. Sonst ist es ja keine Kaffeefahrt.

Kaffeebohnen vor dem Handverlesen ©Antigoni Chrysostomou
Konzentration für das perfekte Aroma ©Antigoni Chrysostomou

Die Fahrt an der westlichen Kordillere Richtung Cali zieht sich. Es wird dunkel. Bei der Suche nach unserem Hotel legen wir mit unserem großen Bus – wie schon so oft – den halben Stadtverkehr lahm. Rangieren rückwärts und bergab zwischen engen Mauern gegen den anrollenden Verkehr verlangt starke Nerven von unseren Fahrern. Auf unerklärliche Weise kommen wir aber immer an. Der fruchtige „welcome drink“ im schönen Hotel entspannt uns. Der Konsul ist auch schon da und hat auf uns gewartet. Das Gespräch bleibt kurz, die Gruppe soll noch zu einer Salsa Vorführung. Cali ist wohl für das Salsa Tanzen bekannt. So viele Erlebnisse, so viele Bilder. Jetzt schnell schlafen, morgen geht die unglaubliche Reise weiter!

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 19: 13. Januar 2020

Von Cali bis Popayán

 »Der Mensch ist zum Erkennen geboren«

Alexander von Humboldt

8:30 Start in Cali. Wir haben eine “relative” Stadtführung (komische Katzenskulpturen am Río Cali), Außenbesuch am Museo de Arte Moderno La Tertulia, Kapelle auf dem Hügel von San Antonio, Besuch des ehemaligen Bahnhofs mit zwei Murales (Wandbildern). Bahn ist bereits seit Jahren nicht mehr aktiv, bis vor 3 Jahren lediglich als Ausflugszug genutzt, bis vor 7 Jahren noch aktiv für Frachtverkehr von Buenaventura (Hafen am Pazifik) und in den Sechzigern noch als Personenzug.

Katzenskulptur in Cali ©Antigoni Chrysostomou
Wandmalerei am Museo de Arte Moderno La Tertulia ©Antigoni Chrysostomou
Kapelle auf dem Hügel San Antonio ©Antigoni Chrysostomou

Lange Fahrt zur Hacienda Calibio. Uns erwartet ein bezauberndes Anwesen, sehr groß mit den typischen umlaufenden Balkonen in der ersten Etage, überall Sitzgruppen, wunderbare Ausblicke auf Garten, Wiesen und Weiden, auf denen Pferde und Esel grasen, sehr idyllisch.
Erwartet werden wir am Eingangstor von dem Deutschen Albert Sodermann-Wiebold, welcher seit 50 Jahren in Kolumbien lebt. Der Hacienda Besitzer ist sein Freund Edmund Simmonds, der uns mit seinem Sohn auf der Terrasse der Hacienda mit einem Sorbet aus Mora Beeren mit Rum begrüßt. Wir bekommen eine Führung durch das Objekt – ganz aufregend für uns ein großer Koffer von Humboldt, in dem er seine Meßinstrumente, wie Sextanten etc. transportieren ließ.

Humboldts Original Transport-Truhe für Instrumente ©Antigoni Chrysostomou

Beim Besuch der Kapelle hören wir einen ausführlichen Bericht über die Historie der Hacienda. Die Hacienda wurde im 18. Jahrhundert von der Familie Mosquera erbaut – möglicherweise hat Humboldt hier auch genächtigt, meint Peko. Die Familie Simmonds, deren Vorfahren aus Deutschland kommen, übernahm das Gebäude zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Nur zehn Kilometer von der Hacienda und Popayán entfernt gibt es den Vulkan Puracé, der im Jahr 1983 bei einem großen Ausbruch ein starkes Erdbeben mit Ascheregen verursachte und großen Schaden an der Hacienda und im nahe gelegenen Popayán anrichtete.

Kapelle der Hacienda Calibio ©Antigoni Chrysostomou

Als erstes stellt uns Don Simmonds seinen Hacienda Verwalter vor, einen großen schlanken Mann, als einen der letzten Abkömmlinge der Sklaven, dessen Großeltern in den 1840er Jahren von der Sklavenschaft in Kolumbien befreit wurden. Er bezeichnet ihn als Familienmitglied.

Arnobio, freier Nachkomme einer Sklavenfamilie auf der Hacienda Calibio ©Antigoni Chrysostomou

Bei untergehender Sonne – sehr romantisch – bekommen wir auf dem umlaufenden Balkon im ersten Stock ein köstliches Dinner auf Michelin Niveau serviert, zubereitet von Edmund Simmonds Sohn, der in Popayán ein Restaurant betreibt – wunderbar! Als Vorspeise ein Ceviche aus frisch von der Pazifikküste gebrachten Wildgarnelen. Als Hauptspeise zartestes Rinderfilet, Püree aus kleinsten schmackhaften regionalen Kartoffeln mit Erdnüssen verfeinert und Avocado Confit mit Äpfeln. Wir lernen, dass die Popayán Küche inzwischen auf der Liste des kulinarischen Weltkulturerbes aufgenommen wurde.
Anschließend fahren wir von Eindrücken, Essen und Wein sehr erfüllt in unser schönes Hotel Dann Monasterio in Popayán, einem ehemaligen Franziskanerkloster.

Gudrun Ubben-Hansen, ZEIT-Reisende

Tag 20: 14. Januar 2020

Durch Kolumbien von Popayán bis Pasto

 »Nie war einem Reisenden eine umfassendere Erlaubnis zugestanden worden, nie hatte die spanische Regierung einem Fremden größeres Vertrauen bewiesen.«

Alexander von Humboldt

Popayán, die weiße Stadt. Die Stadt, welche die meisten Präsidenten Kolumbiens hervorgebracht hat. Das unglaubliche daran ist, dass die meisten von ihnen auch in derselben Straße gewohnt haben. Wir schlendern durch die weißen Gassen und treten in den einen oder anderen Innenhof ein. Bemerkenswert bleibt das kleine Museum „Mosquera“, bei den Mosqueras kann man fast von einer Präsidenten-Dynastie sprechen. Wir lauschen unserem Stadtführer, der uns auf der Tour begleitet. Popayán wurde 1537 durch Sebastián de Belalcázar, einem spanischen Conquistador gegründet. Sie ist auch Geburtsstadt von Franscisco José de Caldas, dem bedeutenden kolumbianischen Wissenschaftler.

Kirche des San Francisco in Popayán ©Antigoni Chrysostomou
Straßenbild in Popayán ©Antigoni Chrysostomou
Hauptplatz in der Weißen Stadt Popayán ©Antigoni Chrysostomou
Einer der vielen Innenhöfe der Kolonialbauten in Popayán ©Antigoni Chrysostomou
Mosquera Museum, Popayán ©Antigoni Chrysostomou

Bald steigen wir in den Bus. Beim Blick aus dem Fenster rollen die Schatten weißer Riesenwolken über fußballfeldgroße grüne Matten, alle von Hecken eingerahmt. Ein diffuses Licht der zerklüfteten Baumkronen ergänzt das momentan flimmernde Licht-Schattenspiel.
Ich fühle mich ins voralpine Hügelland versetzt und folge gerne den sanft schaukelnden Busbewegungen entlang der steilen, mal linken – mal rechten Buntsandsteinwand. Vogelscharen kreisen vor uns und lassen sich vom Aufwind scheinbar bewegungslos in die Höhe tragen.
Am Biomax-Tankstellenstopp müssen offensichtlich Soldaten mit Waffen in Anschlag für dauerhafte Ordnung und Sicherheit sorgen. Wie bedroht ist hier die öffentliche Sicherheit? Zumindest ist keine momentane Gefahr erkennbar, spürbar.
Auch Peko hat bisher keine diesbezüglichen Bemerkungen formuliert; vielmehr den verbreiteten gut funktionierenden Busverkehr gelobt. Politisch sei aber eine deutliche permanente Erweiterung des Schienennetzes durch die Regierungsparteien beabsichtigt. Ein klares politisches Ziel ist die „just in time“ Initiative!!! Entweder mit Bahn oder mit Bus!
Insgesamt sei die alltägliche Transportmenge quer durchs Land in den letzten Jahren erheblich angestiegen. Dabei haben die tonnenschweren LKWs und das immer weiter expandierende Busnetz immense Straßenschäden verursacht. Mit China sei vertraglich vereinbart, dass mit Unterstützung der dortigen politischen Führung ein „neues“ = „schnelles“ Netz aufgebaut werden soll. Dass auch hier in Kolumbien ein fein abgestimmtes Bussystem funktionieren kann, zeigt beispielhaft die Stadt Medellín. Vorbildlich!
Wir wollen heute noch Pasto erreichen. … Das wird schon klappen! Die jeweiligen Tagesetappen sind großzügig bemessen und stressfrei zu bewältigen.

Thomas Birkelbach, ZEIT-Reisender

Tag 21: 15. Januar 2020

Von Pasto über Rumichaca nach Ibarra

 »Nichts ist mir unerträglicher als die klugen Fürsten, die anderen Menschen vordenken wollen.«

Alexander von Humboldt

Wir haben einen Bus wie ein Schiff. Ein nicht manövrierbares Schiff. Fitzcarraldo. Wir bräuchten Helfer, die den Bus um die Ecken mit den hohen Bordsteinen hochheben können. Das Innenleben des Busses versucht, Bequemlichkeit für 9000km herzustellen, allerdings gelingt es nicht besonders und fordert von uns allen, dass wir zusammenrücken. Das wird jedoch wettgemacht durch unseren Reiseleiter Peko, der mit seinem Humor, seiner Ironie und seiner großen Zuneigung zu Humboldt alle speziellen Befindlichkeiten der Reisenden ausgleicht.
Heute reisen wir aus Kolumbien aus und kommen in die zweite Heimat von Peko, Ecuador. Ich lasse einige Erlebnisse der letzten Tage Revue passieren. Die Einreise in Kolumbien war mit Hindernissen verbunden, endete aber gut auf der Dachterrasse unseres Hotels in Cartagena mit improvisierten Getränken und Snacks. Im Abenteuer rückt man sich näher. Ganz persönlich folge ich auf dieser Reise auch den Spuren von García Márquez. Von Cartagena, seiner Heimatstadt, führen mich seine Spuren auf unserer weiteren Reise zu Mompox, wo der Film „Chronik eines angekündigten Todes“ nach dem gleichnamigen Roman gedreht wurde. So vereint der Río Magdalena für mich Márquez mit Humboldt.

Hacienda in Mompox ©Antigoni Chrysostomou
Kolonialer Alltag in einer Hacienda in Mompox ©Antigoni Chrysostomou

Von den schönen kolonialen UNESCO Welterbe-Städten kommen wir in die heutige kolumbianische Arbeitswelt, wie zum Beispiel die Ölförderung. In der Stadt Barrancabermeja treffen Ölindustrie und Lebenslust zusammen. Auf der einen Seite die fast weihnachtlich beleuchtete Ölraffinerie, auf der anderen Seite verführen uns die lateinamerikanischen Rhythmen auf einer Chiva Tour zu ausgelassenen Tänzen. Wir freuen uns sehr über diesen fröhlichen Kontakt mit der Bevölkerung.
Nach einem liebenswerten Honda kommen wir nach Bogotá, den Sitz der Regierung. Es ist bezeichnend, dass unser junger Reiseführer uns zu einer bewegenden Ausstellung „Fragmentos“ führt. Kolumbien war jahrzehntelang durch einen inneren Konflikt mit Guerilla Kämpfern gebeutelt, ein Friedensabkommen wurde erst vor einigen Jahren in 2016 unterzeichnet. Die Wunden sind noch frisch. Das Kunstkonzept berührt und bewegt die Besucher. Die Frauen haben die Waffen der Guerilla eingesammelt und zerstört. Es gibt doch ein Erinnern.
In Bogotá schlugen unsere Emotionen auch über Humboldt hoch, genauer gesagt begeisterte uns der Wissenschaftler Gómez Guttiérez, der zehn Jahre lang über Humboldt geforscht hat und uns einen ausgewogenen Blick auf ihn in Südamerika vermitteln konnte. Wir erlebten einen harmonischen Tagesausklang beim Dinner mit dem deutschen Botschafter auf dem höchsten Berg Bogotás Monserrate mit dem Vollmond über die Lichter der Stadt und unter übertrieben glitzernder Weihnachtsdekoration.
Bald kamen wir nach Cali, in die Stadt, in der unsere Reiseleiterin für Kolumbien Frau Dr. Claudia Feix auch schon als Verkehrsexpertin gewirkt und für die Einführung eines neuen Bussystems gesorgt hat, das seit zehn Jahren erfolgreich in Betrieb ist. Durch ihre begeisterte persönliche Erzählung konnten wir hautnah miterleben, wie die neuen Busse durch die Bevölkerung aufgenommen wurden.

Mural am stillgelegten Bahnhof von Cali ©Antigoni Chrysostomou
Mural am stillgelegten Bahnhof von Cali ©Antigoni Chrysostomou

Claudia hat uns durch ihr großes Netzwerk in Kolumbien ganz besondere Einblicke verschafft und uns Begegnungen mit Menschen erlaubt, die uns auch gezeigt haben, wie viele Deutsche in den letzten Jahrzehnten in Kolumbien Fuß gefasst haben und heute noch mit Deutschland Kontakt halten. Diese Begegnungen mit Deutschen in Lateinamerika bewegen mich, weil ich dadurch einen anderen Blick auf die deutsche Geschichte und die heutige politische Situation von außen bekomme.
Während mir alle diese Gedanken durch den Kopf schwirren, geht unsere Einreise nach Ecuador mit einem vertretbaren Zeitaufwand reibungslos von statten. Auch an dieser Grenze werde ich mit der Flüchtlingsthematik konfrontiert. Menschen aus Venezuela flüchten nach Ecuador, es sind inzwischen 500.000.

Grenze Kolumbien/Ecuador ©Antigoni Chrysostomou

Barbara Brückner, ZEIT-Reisende

Tag 22: 16. Januar 2020

Ibarra - Cayambe - Quito

»Im Grunde kehrt alles Große in der Welt auch im Kleinen wieder, wenn man es nur erkennen will.«

Alexander von Humboldt

Nach einer kühlen Nacht mit Wärmflasche frühstücken wir in der wärmenden Morgensonne im Patio der Hostería. Jeder von uns bliebe wohl noch gern einen Tag in diesem schönen Anwesen mit seinen gepflegten Gärten. Aber weiter geht es, zunächst in die „weiße Stadt“ Ibarra, ein Handelsstädtchen am Camino Real von Quito nach Bogotá mit seinen typisch weißgestrichenen Kolonialbauten. Dort besuchen wir das Haus, in dem Humboldt unbestätigten Berichten zufolge übernachtet haben soll, heute befindet sich in dem großen Haus eine Kultureinrichtung, die wir in einer kurzen Führung besichtigen. Wir spazieren zum Parque La Merced mit der Kirche und der alten Backsteinkaserne (heute ein Kulturzentrum), dann verlassen wir die Stadt, deren Einwohner noch heute mit Stolz auf die siegreiche Schlacht Simon Bolívars im Juli 1823 gegen die Truppen der Spanier zurückblicken.

Heute ist Hacienda-Tag: Die Kaffeepause machen wir auf der Hacienda Pinsaqui, wo wir die Zimmer, in denen Simón Bolívar während der Schlacht von 1823 residierte, besichtigen und neben Kaffee und Gebäck auch das Ambiente vergangener Zeiten genießen.

Teesalon in der Hacienda Pinsaqui © Elisabeth Schacher

In den 1970er Jahren wurden im Rahmen einer Landreform die Ländereien großer Haciendas, die nicht explizit landwirtschaftlich genutzt wurden, enteignet und den Kommunen zur weiteren Verteilung übergeben. Dies führte zu einer erheblichen Verkleinerung der Haciendas und zu einem Produktionszwang, der u.a. die Einführung der inzwischen für den Export so wichtigen Blumen-insbesondere Rosenproduktion auslöste.

Wir passieren den alten Vulkan Imbabura (4610 m) mit seinem Gletschersee zu Füssen, der mit weiteren erodierten Vulkanen noch heute den Ureinwohnern für Zeremonien wichtig ist. Dann zeigt der einzig lebende Gletscher unter dem Äquator, der Vulkan Cayambe (5790 m) in der strahlenden Sonne einen Teil seines Eisfeldes – ein seltener Anblick, da die Spitze des Berges meist wolkenverhangen ist.

Der Vulkan Cayambe © Antigoni Chrysostomou

Und hier Humboldts Ansicht von 1802 vom Cayambe

Der Vulkan Cayambe zu Zeiten Humboldts, Auszug aus dem Buch »Ansichten der Kordilleren«

In der Nähe des Städtchens Cayambe liegt Quitsato, das einzige Äquatormonument, das exakt auf der Äquatorlinie liegt. Eine riesige Sonnenuhr mit im Boden eingezeichneten Grafiken erlaubt das Ablesen von Uhrzeit und Sonnenwendepunkten. Das indigene Projekt Quitsato erforscht eine über 1000 Jahre alte indigene Sonnenhochkultur aus der Präinkazeit, die anhand ihrer astronomischen Kenntnisse über den Sonnenlauf die landwirtschaftliche Produktion steuerte und deren archäologisches Erbe noch der vollständigen Entdeckung harrt.

Auf der Äquatorlinie © Antigoni Chrysostomou

Verbunden mit der Äquatorbestimmung ist auch die Hacienda Guachalá von 1580, eine der ältesten Haciendas in Ecuador.

Im Jahre 1736 übernachtete die von Charles de la Condamine geleitete geografische Expedition auf der Hacienda. De la Condamine gilt als einer der Wegbereiter Humboldts und als sein Vorbild.
Die Expedition hatte den Auftrag, am Äquator einen Längengrad mit Hilfe des Triangulations- Verfahrens zu bestimmen mit dem Ziel der Ermittlung der Erdfigur (Abflachung der Erde an den Polen). De la Condamine verrechnete sich bei der Bestimmung des Äquators um lediglich ca. 240 m.

Humboldt führte die Aufzeichnungen de la Condamines nicht mit sich und schrieb in Briefen, dass er dies sehr bedauerte. Ab Bogotá zitierte er jedoch häufiger aus den Aufzeichnungen, er muss also dort ein Exemplar erhalten haben.

Der alte Haciendero berichtet uns von der Geschichte seines Gutes: Nach der Eroberung 1704 gründeten die Spanier eine Siedlung (eine Encomienda), die gegen 1580 in eine Hacienda umgewandelt wurde, die vornehmlich durch Schafzucht sowie Textilherstellung und -verarbeitung große Bedeutung erlangte. Nach den Landreformen des letzten Jahrhunderts wurde aus der reichen Hacienda ein kleinerer Gutshof, deren Eigentümer heute von der Holzwirtschaft und einem Hotel- und Restaurationsbetrieb leben.

Mittagessen in der Hacienda Guachalá © Antigoni Chrysostomou

Nach Besuch einer deutsch geführten Craftbier Brauerei in der Nähe von Quito mit Verkostung
erreichen wir das Hotel La Casona de la Ronda mitten in der Altstadt von Quito und lassen den Abend stilvoll an einer schön gedeckten Tafel im ehemaligen erzbischöflichen Palast ausklingen.

Elisabeth Schacher, ZEIT-Reisende

Tag 23: 17. Januar 2020

Die Altstadt von Quito

 »Die gegenwärtigen Missionare sind eine Menschenklasse, die unter dem Anschein den Indios Gutes zu tun, ihnen ihren Besitz gewaltsam wegnimmt und sie glauben macht, es sei eine Sünde, sich darüber zu beklagen.«

Alexander von Humboldt

Nach einem leckeren Frühstück in unserem zauberhaften Hotel „La Casona de la Ronda“ in Ecuadors Hauptstadt Quito beginnt unser Tag mit einem Vortrag unserer Reiseleiter Peter Korneffel und José Woolfson über Ecuadors geografische Lage und aktuelle wirtschaftliche Situation sowie die Bevölkerung und ihre Geschichte. Da wir auf Humboldts Spuren wandeln, endet der Vortrag mit einem Auszug aus seinem Tagebuch.
So eingestimmt starten wir den Stadtrundgang in der ältesten Straße der Stadt „La Ronda“. Hier liegt unser romantisch verträumtes Hotel und der Weg führt steil bergan, was einige Lungen schon kräftig schnaufen lässt. Auf 2850m ist die Luft dünn.
Wir besuchen zahlreiche historische Baudenkmäler, insbesondere Kirchen und Klöster. Dabei bieten die schattigen Patios mit ihren Blumenbeeten, hohen Palmen und plätschernden Wasserbecken stets einige Momente der Ruhe und Entspannung. Mit diesen gehört das ca. 500 Jahre alte Quito zu den schönsten Kolonialstädten Lateinamerikas und wurde bereits 1978 – als erste Stadt überhaupt – zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt.

Malerischer Patio ©Günter Haß

In der Stadt wimmelt es nur so von fliegenden Händlern. Oft bieten sie nur eine Handvoll Früchte oder Pfauenfedern an, aber jede Einnahmequelle wird dringend genutzt.

Händlerin ©Ilona Haß

Es scheinen aber auch einige Taschendiebe ihre Chance zu wittern. José erhält von einer ehrlichen Händlerin einen diesbezüglichen Hinweis und ermahnt uns eindringlich, unsere Wertsachen bedeckt und die Rucksäcke geschlossen zu halten.
In der Iglesia de San Francisco de Quito staunen wir über die goldene Pracht.

Altarraum der Iglesia de Francisco ©Günter Haß

José erklärt uns, dass in Ecuador Gold kein Zeichen für Reichtum sondern ein Ausdruck der Göttlichkeit darstellt. Die Gläubigen sollen sich in der Kirche wie im Himmel fühlen. Das Gleiche gilt für die Iglesia de la Compania de Jesus. Auch hier wurden große Mengen von Blattgold (etwa 400 kg) für die Verzierung des Hauptaltars verwendet. Humboldt gefiel das überhaupt nicht und auch bei uns gehen die Meinungen über so viel Prunk weit auseinander.
Im Convento de San Agustin stehen wir im Kapitelsaal des Klosters vor der Urkunde über die Unabhängigkeitserklärung Ecuadors, die am 16.01.1809 in diesem Saal unterzeichnet wurde, sieben Jahre nachdem Humboldt sich für einige Zeit in Quito aufgehalten hat.
Das Haus, in dem Humboldt bei seinem Freund Montufar wohnte, steht nicht mehr. Aber seit einiger Zeit sind an einer benachbarten Hauswand – auf Betreiben von Peter Korneffel – Plaketten angebracht, die an Humboldt und seine Begleiter erinnern.
Eine lustige Beobachtung können wir in der Kathedrale machen. Wir entdecken eine Darstellung des Abendmahls und sehen dann, dass der Künstler sich an die Essgewohnheiten seines Landes gehalten hat und Jesus mit seinen Jüngern ein Meerschweinchen verspeisen läßt.

Abendmahl mit Meerschweinchen ©Ilona Haß

Nach so viel Geschichte erholen wir uns bei einem wieder sehr (zu?) reichhaltigen Mittagessen. Unser süßer Thomas kann beim Nachtisch der Versuchung nicht widerstehen und verspeist vier süße Törtchen, die ihm von diätbewussten mitreisenden Damen zugeschoben werden.

Die süße Versuchung ©Ilona Haß

Ein besonderer Höhepunkt des Tages ist der nachmittägliche Besuch des Museo de Arte Precolombino. Die archäologische Sammlung wird in einem architektonisch herausragenden Gebäude exzellent präsentiert und hilft mit ihren Exponaten, das Denken früherer Kulturen Ecuadors zu verstehen. Nach einem so langen Tag freuen wir uns auf das Schokoladen-Tasting der Firma „Republica del Cacao“ in unserem Hotel.
Am Abend lernen wir den großen blonden Schauspieler Christoph Baumann kennen, der seit 35 Jahren in Ecuador lebt und mit seinem Theaterstück über Humboldt und Darwin das Thema „Klimawandel“ in Ecuador ins Gespräch bringt. Er begleitet uns zum Abendessen hoch über die nächtlich erleuchtete Stadt Quito und gibt uns Einblicke in das Leben einer deutsch-ecuadorianischen Familie.

Ilona und Günter Haß, ZEIT-Reisende

Tag 24: 18. Januar 2020

Quito: Die Besteigung des Pichincha

»Ich habe mich nie geschämt, zu fragen, auch nicht in den einfachsten Dingen!«

Alexander von Humboldt

Erste Vulkanbesteigung: Ein aufregender Tag heute, per Geländewagen geht es auf der originalen Humboldtroute über das Andendorf Llola auf den Hausberg von Quito, den Krater des noch aktiven Vulkans Guagua Pichincha. Bevor es nach oben ging, gab es geballte Infos über die Vulkane. Der Pichincha besitzt zwei Gipfel, von denen der Rucu Pichincha (4690m) wesentlich näher an der Stadt liegt als sein mit 4794m etwas höherer Bruder Guagua Pichincha, der ungefähr fünf Kilometer westlich liegt, von Quito aus aber nicht sichtbar ist. Letzterer war 1999 sehr aktiv und brachte der Stadt einen Ausbruch mit Ascheregen. Dieser Ausbruch führte dazu, dass ein großer Teil des westlichen Kraterrandes und auch der südöstliche ehemals höchste Kraterbereich abbrach.

Peter Korneffels Lesung zu Pichincha © Burkhard Mücke

 

Erste Blicke auf den Guagua Pichincha © Burkhard Mücke

Von der Schutzhütte gelangen wir an den Kraterrand, an der Seite unserer Bergführer, das erste große Andenhighlight unserer Humboldtexpedition. Für Humboldt waren das auch die ersten beiden Vulkane, die er bestieg, und an denen er 1802 verschiedene Messungen vornahm.

Der Guagua Pichincha © Burkhard Mücke

 

Am Gipfel der Pichincha © Burkhard Mücke

Mittags fahren wir zur ältesten Hacienda Ecuadors, die bis auf das Jahr 1580 zurück geht und 3042m hoch liegt. Von jetzt an bewegt sich unsere Humboldt Reise stets auf Höhen um die 3000m, für einige von uns etwas gewöhnungsbedürftig, zugleich eine gute Übung, wenn es demnächst gen 5000m und höher hinaufgeht. Kraft und Energie für die anstrengenden Unternehmungen liefert stets das exzellente Essen in den Restaurants und Haciendas, diesmal in der Hacienda La Antigua in Lloa, und abends das Dinner im Staatstheater von Quito.

Hacienda La Antigua © Burkhard Mücke

 

Dinner im Teatro Nacional Sucre in Quito © Antigoni Chrysostomou

Beim abendlichen Dinner zusammen mit Philipp Schauer, dem deutschen Botschafter in Ecuador, erhalten wir einen umfassenden Einblick in die derzeitige politische, soziale und wirtschaftliche Lage des Andenstaats, wobei der Botschafter sich nicht scheut, uns in seiner offenlockeren Art über die Vorgänge hinter die Kulissen der offiziellen Politik zu informieren. Alles in allem war das einer der spannendsten Tage unserer großen Humboldtreise, ganz oben in den Anden, dann unten eintauchen in die Geschichte der Haciendas und schließlich Einblicke und Erkenntnisse über ein Land im Umbruch, ein Land, das auch wir beginnen, lieb zu gewinnen.

Burkhard Mücke, ZEIT-Reisende

Tag 25: 19. Januar 2020

Auf zum Vulkan Antisana

»An ferne Wanderungen gewöhnt, habe ich vielleicht den Mitreisenden den Weg gebahnter und anmutiger geschildert, als man ihn finden wird. Das ist die Sitte derer, die gern andere auf den Gipfel der Berge führen.«

Alexander von Humboldt

Wir fahren durch weiche Andenlandschaft. Wir sind hoch in den Bergen, im Páramo. Wir haben den Lavastrom in der Ebene passiert mit seinem dunklen Geröll. Hier gibt es nur Gras. La paja. Goldengrüne Büschel bedecken die Hügel, sie sollen gut wärmen. Wir sind auf dem Pfad Alexander von Humboldts. Die Kondore fliegen hier sehr hoch. Das Kondorbaby an einer Steinwand auf der gegenüberliegenden Seite eines kleinen Tals haben wir mehr erahnt als gesehen. Einige haben Ferngläser dabei. Das Dorf Pintag ist das alte Basislager von Humboldt. Deshalb hängt auch ein Schild mit seinem Namen an einer ansonsten unscheinbaren Wand zwischen einer verrosteten Markise und einer unverputzten Fläche. Eine Blumenfrau bietet Rosen feil, die Hunde betteln nach Futter und Zuwendung.

Wir fahren die Berge hinauf. Der Bus keucht und rüttelt und manchmal quitscht er auch. Rechts landet gerade ein Caracara, ein falkenartiger Vogel im Gras. Wir erreichen eine Ansammlung von Hütten, eine davon ist alt. Dort nisten heute Schleiereulen. Die Hütte ist mit verschiedenen Materialien in Stand gehalten worden. Sie hat über zwei Jahrhunderte überlebt.

Blog_Humboldt2020_Tag 25_Bild 1_Humboldts Hütte mit dem Vulkan Antisana im Hintergrund (c) Antigoni Chrysostomou
Humboldts Hütte mit dem Vulkan Antisana im Hintergrund © Antigoni Chrysostomou

Das Dach ist mit Gras bedeckt. Die alten runden Stützbalken des Vordachs haben viele Kerben, manche von Seilen. Seile von Pferden. Pferde aufgesattelt. Aufbruch und immer wieder neu den Weg suchen. Eine kleine Silberplakette mit einem eingravierten Conterfei eines übermutigen jungen Mannes zeugt von der Anwesenheit Humboldts auf seinem Weg zum Antisana. Dieser wunderschöne Nevado, der vierthöchste aktive Vulkan der Anden, versteckt sich in den Wolken als wir ankommen. Von unten her erblicken wir den ersten Schnee bis die unregelmässigen Spitzen und Rundungen sich in den Sonnenstrahlen nacheinander zeigen. Weisse Wolken von links verjagen die dunklen Hinterhältigen von rechts, die in Nebel verwandelt sich von unten her heranschleichen. Wind, Wolken, Sonne und Warten geben ganz kurz den Blick frei auf eine noch nie gesehene Schönheit. Majestätische Massen bis 5700 Meter.

Plakette an der Hütte © Antigoni Chrysostomou

 

Antisana ganz nah © Antigoni Chrysostomou

Der Weg zur alten Hütte verläuft über weiche Erde mit feinem grünen Kleid, so weich als wäre es ein Körper. Die Hütte wirkt einsam und so unhistorisch wie ein Hirtenstall am anderen Ende der Welt. Wir lauschen einer kleinen Lesung, die uns in eine alte Zeit versetzt, als man noch nicht alle Berge vermessen hatte. Unser Entdecker und Naturforscher Alexander von Humboldt wähnte sich in einer Höhe von 5400 Meter über dem europäischen Meeresspiegel, als er den Antisana erreichte, man achte darauf, über dem Europäischen Meeresspiegel. Wir hängen den Bildern nach als wären sie unserer eigenen Erinnerung entsprungen. Die ausgetrockneten Lippen im Schnee und die Brustschmerzen bei der Atemnot. Entdecken ist eben kein Spaziergang.

Andine Flora © Antigoni Chrysostomou

Langsam kehren wir in die Gegenwart zurück und bewundern die andine Flora. Eine Staude von weiß-silbrigen Pflanzen mit gelben Blüten posiert in der Landschaft. Die hart anmutenden Blätter sind weich aber unnahbar. Wie die Natur hier. Erhaben und selbstgenügsam. Auf dem Rückweg verfolgen wir mit den Augen den Flug des Condors bis die Augen blinzeln. Wir erheischen Blicke von weiteren Gipfeln auf der Avenida des los Volcanes. Später erreichen wir die wunderbare Hacienda San Agustín und freuen uns über den kleinen „Zirkus-Auftritt“ der Alpakas, die wir freudig mit Karotten füttern. Als wäre der Tag nicht geschichtsträchtig genug, speisen wir in mitten von Inka Mauern am Fuße der Anden.

Junges Alpaka © Antigoni Chrysostomou

 

Dinner zwischen Inka Mauern © Antigoni Chrysostomou

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 26: 20. Januar 2020

Hacienda La Ciénega – Ambato – Riobamba

»Die Idee der Kolonie selbst ist eine unmoralische, diese Idee eines Landes, das einem anderen zu Abgaben verpflichtet ist, eines Landes, in dem man nur zu einem bestimmten Grad an Wohlstand gelangen soll, in welchem der Gewerbefleiß, die Aufklärung sich nur zu einem bestimmten Punkt ausbreiten dürfen.«

Alexander von Humboldt

Auf unserem Weg auf der Humboldt-Route gen Süden verlassen wir die Hacienda La Ciénega und fahren eine nahe gelegene Rosenfarm an. Hier werden Rosen für den Export produziert, im Wesentlichen für die USA, Kanada und Europa. Durchschnittlich werden täglich 20 bis 35 Tausend Rosen, bei besonderen Gelegenheiten (z.B. zum Valentinstag) auch schon einmal 50 Tausend, geschnitten, nach Qualitätsvorgaben sortiert, verpackt und per LKW zum nächsten Flughafen verschickt. Die aussortierten Rosen, die nicht den vorgegebenen Qualitätsstandards entsprechen, werden auf den heimischen Märkten angeboten.

Rosen, wohin das Auge schaut © Antigoni Chrysostomou

 

Sortieren der Rosen © Günter Heimsath

 

Rosen bereit zum Versand per LKW © Günter Heimsath

Rosenaufzucht ist nach Öl, Shrimps und Bananen ein bedeutender Teil der Exportindustrie Ecuadors. Darum klingt es zunächst einmal gut, den Betrieb einer Rosenfarm kennenzulernen, der wichtige Arbeitsplätze der heimischen Bevölkerung anbietet und fast ausschließlich über Handarbeit das Produkt erstellt und vertreibt. Die ökonomische Wirklichkeit ist aber nicht so einfach, sondern wie fast immer, komplexer mit erheblichen Schattenseiten.

Nicht die hiesigen Produzenten bestimmen das Geschäft und den Markt, sondern internationale Gesellschaften und Großkonzerne, in deren Besitz sich die Patente für die Aufzucht der einzelnen Rosenarten befinden und die durch Vergaben von Lizenzen und Konzessionen die Bedingungen des Marktes definieren und kontrollieren. Die „selbstständigen“ Rosenproduzenten Ecuadors sowie auch anderer Länder Südamerikas oder Afrikas sind davon vollständig abhängig. Wenn man so will, ist es der moderne Neokolonialismus, der nach der Befreiung der Länder Südamerikas im 19. Jahrhundert aus den kolonialen Abhängigkeiten von europäischen Ländern wie Spanien, diese Länder wiederum in Abhängigkeit hält, nunmehr von den internationalen Konzernen.

Die Frage stellt sich, wie man dem abhelfen kann. Hier sind auch die Abnehmer in Europa gefordert, Stellung zu beziehen. Dass der Einfluss der Verbraucher nicht zu gering einzuschätzen ist, zeigt die derzeitige Klimadiskussion. Der „Druck der Straße“ hat zumindest bewirkt, dass weder Politik noch Wirtschaft die Forderungen nach nachhaltigen Veränderungen hin zu ökologischem Wirtschaften ignorieren können.

Nach diesem eindrucksvollen Einstieg in die Realitäten des Lebens in Südamerika machen wir uns weiter auf den Weg. Im Botanischen Garten der Stadt Ambato erwartet uns ein hervorragendes Mittagessen, das uns im offenen Hof der Quinta La Liria dargeboten wird. So gestärkt, geht es weiter in Richtung Riobamba. Das am Stadtrand liegende Gartenhotel Abraspungo ist unser Quartier der nächsten drei Tage.

Vorher wird aber noch ein Abstecher zum höchstgelegenen Bahnhof der historischen Eisenbahn Ecuadors eingelegt. Estación Urbana liegt auf einer Höhe von 3.609 m und ist nicht nur eine Bahnstation, sondern hat auch mal als staatliches Hostel Unterkunft geboten. Allerdings wurde es vor einigen Jahren wegen Erfolglosigkeit geschlossen.

Estación Urbana © Günter Heimsath

Auf der anderen Seite der Bahnschienen liegt das beliebte privatgeführte Hostel Posada La Estación von Rodrigo Donoso. Hier werden wir von seiner Tochter mit Getränken versorgt, er selbst führt uns durch seinen kleinen Jardín Botánico und in eine Werkstatt, in der Produkte des Kunsthandwerks hergestellt und zum Kauf angeboten werden.

Hostel Posada La Estación © Günter Heimsath

Zum Abschluss des Aufenthalts bei der gastfreundlichen Familie Donoso berichtet unser Reiseleiter Peko über Baltazar Ushka, den letzten Eisholer Ecuadors, der bisher davon lebte, Natureis vom Gletscher des Chimborazo zu ernten, um es auf dem Markt in Riobamba zu verkaufen. Es wird dann beispielsweise für die Herstellung von Speiseeis oder frischen Obstsäften eingesetzt. Aus Altersgründen wird Ushka seine Arbeit, die unter härtesten Bedingungen erfolgt, beenden.

Wer sich für diese Geschichte interessiert: Peter Korneffel hat sie unter dem Titel „Der letzte Eisholer vom Chimborazo“ in der Zeitschrift Terra Mater, Ausgabe 02 /Juni & Juli 2013 erzählt.

Günter Heimsath, ZEIT-Reisender

Tag 27: 21. Januar 2020

Riobamba »Wiege der Nation«

»Was mir vielleicht am meisten schadet, ist ein Geist der Unruhe, ein Streben nach Tätigkeit, das mich plagt.«

Alexander von Humboldt

Am Morgen des ersten Regentages unserer Reise verlassen wir unser Gartenhotel Abraspungo in Riobamba, um die Stadt Riobamba zu besuchen. Riobamba ist Hauptstadt der Provinz Chimborazo und wurde Ende des 18. Jahrhunderts errichtet. Allerdings wurde sie 1797 durch ein großes Erdbeben völlig zerstört. Die ursprüngliche Stadt wurde 1534 von Diego de Almagro im Siedlungsgebiet der einheimischen Puruha gegründet, die im Kriege mit den Inka lagen. Riobamba erklärte 1820 die Unabhängigkeit von Spanien, wurde aber bald wieder von königlichen Truppen eingenommen; trotzdem hat es den Ruhm der Wiege der ecuadorianischen Unabhängigkeit beibehalten.

St. Peter Kathedrale in Riobamba © Antigoni Chrysostomou

Riobamba bewahrt den Charakter einer kolonialen Stadt, wenn auch die Bauten aus der republikanischen Zeit dominieren. In der Stadtmitte beeindruckt uns sehr die moderne Kathedrale mit hölzerner Dachkonstruktion und Wandpanellierung mit der von den Priestern geretteten Originalfassade. Das Eisenbahn-Museum am Bahnhof bietet eine Fülle von Memorabilien und ist sinnigerweise mit einem Volkskunstmarkt verbunden. Heute fährt daraus ein einziger Zug. Das neuklassizistische Colegio Maldonado erinnert an den bedeutenden Mathematiker, Astronomen und Geographen Pedro Vicente Maldonado (1704–1748), der mit der spanisch-französischen geodätischen Mission von La Condamine zusammenarbeitete und zum Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften gewählt wurde.

Bahnhofsplatz in Riobamba © Antigoni Chrysostomou

 

Colegio Maldonado © Antigoni Chrysostomou

Das der Kathedrale gegenüberliegende Kulturhaus, das frühere Rathaus, erinnert seit 2019 an Humboldts Durchreise und steht in trauter Nachbarschaft zu einer großen, von einem Berliner gegossenen Plastik „Geburt der Venus“; das Gebäude dient den lokalen Künstlern als adäquate Ausstellungsstätte. In der Markthalle erfrischen wir uns mit Fruchtsäften, die mit echtem Chimborazo-Eis verquirlt sind; letzteres wird von dem noch immer tätigen, inzwischen weithin bekannten Eisholer Baltazar Ushcar, dem letzten dieses Gewerbes, geliefert.

Kulturhaus Riobambas © Antigoni Chrysostomou

Der Chimborazo (6310 m) ist der höchste Berg Ecuadors, wenn auch nicht Lateinamerikas, dessen Besuch (Besteigung wäre etwas übertrieben) für den Folgetag auf dem Programm steht. Danach speisen wir im idyllischen historischen Restaurant „Delirio“, dessen Name an Simón Bolívars Aufenthalt dort während der Unabhängigkeitskämpfe erinnert und ein Anklang an sein Gedicht „Mi delirio sobre el Chimborazo“ ist; die Autorenschaft des pathetischen Gedichts wird allerdings von einigen Historikern in Zweifel gezogen.

Szene in der Markthalle © Antigoni Chrysostomou

 

Koloniale Bauten in Riobamba © Antigoni Chrysostomou

Danach gibt es einige ersehnte freie Stunden, bevor wir uns wieder treffen, um die historische deutsch-deutsche Humboldt-Verfilmung „Die Besteigung des Chimborazo“ des sächsischen Regisseurs Rainer Simon von 1988/89 zu sehen. Der damals junge Schauspieler Jan-Josef Liefers gibt darin glanzvoll ein Porträt des unkonventionell-revolutionären Humboldt in seinen frühen Jahren, der seinem inneren Drange folgend, in der von ihm selbst finanzierten Amerikaexpedition nicht nur seine Selbstverwirklichung (bis zur Selbstaufgabe) sucht, sondern auch den Fortschritt der Wissenschaften und den Beitrag zum Gemeinwohl in den Mittepunkt seines Lebens stellt. Seine schonungslose Kritik der politischen und sozialen Verhältnisse wirken auch in der heutigen Situation zeitgemäß und bemerkenswert.

Christine Bell & Hartmut Walravens, ZEIT-Reisende

Tag 28: 22. Januar 2020

Die Besteigung des Chimborazo

»Ich habe mir mein Leben lang etwas darauf eingebildet, unter den Sterblichen derjenige zu sein, der am höchsten in der Welt gestiegen ist – ich meine am Abhang eines Berges, am Abhang des Chimborazo!«

Alexander von Humboldt

Die Besteigung des Chimborazo: Mit dieser deutsch/deutschen Verfilmung von 1989 (Regisseur Rainer Simon) stimmte uns Peko am Vorabend auf den heutigen Tag ein.

Fasziniert von Humboldts Abenteuer (gespielt von Jan-Josef Liefers) starten wir bereits um 7 Uhr und werden nach kurzer Fahrt mit herrlichem Anblick auf den Chimborazo für das frühe Aufstehen belohnt. Kurzer Stop in Calpi, dem Ort, der auch Alexander von Humboldt als Basislager diente.

Peko nutzt eine leere äußere Kirchennische, um uns Humboldts Ansicht des Chimborazo und Erklärungen zu seinem Aufstieg am 24.06.1802 nahezubringen. Der rasch herbeigerufene Pfarrer öffnet die drittälteste Kirche Ecuadors (1534) und erzählt von seiner nicht immer einfachen Arbeit in der Pfarrgemeinde, die 21 Landgemeinden umfasst. Mit einer kleinen Spende zur Unterstützung seiner Gemeinde erhoffen wir uns seinen Segen für unseren Aufstieg.

 

Peko liest wieder Humboldt © Ilona Haß

 

Vulkanablagerungen © Ilona Haß

Der Bus nimmt Fahrt auf, denn es sind 1800 Höhenmeter zu bewältigen, die Straße wider Erwarten gut ausgebaut und die Ausblicke grandios. Je höher wir kommen, desto mehr verändert sich die Landschaft: Alpakas lösen Rinder ab, die ersten Vicuñas grasen auf der nunmehr kargen Hochebene, das Puna-Grasland geht über in Arenal, gleich Sand und Geröll. Vicuñas sind die idealen Tiere für den 33000 ha großen Nationalpark, da sie nur die Blätter und das Gras fressen aber keine Wurzeln ausreißen.

 

Am Chimborazo © Ilona Haß

 

Vicuñas © Ilona Haß

Nach Erreichen des Refugios Hermanos Carrel auf einer Höhe von 4800 m heißt es fertig machen zum Anstieg zur Whymper-Schutzhütte auf 5000 m. Das Wetter hält, wenn auch einige Wolken den klaren Blick des Morgens schmälern. Schritt für Schritt geht es hinauf und nach kurzem, tiefem Atem holen, realisieren wir, es geschafft zu haben. Für viele von uns ist es einer der Höhepunkte unserer Reise.

„Der Drang zum Erbrechen war mit etwas Schwindel verbunden und weit lästiger als die Schwierigkeit zu atmen. Wir bluteten aus dem Zahnfleisch und aus den Lippen “. Diese Erfahrung Alexander von Humboldts ist uns Gottseidank erspart geblieben.

Den Nachmittag und frühen Abend verbringen wir in der gut 3000 m hoch gelegenen Gemeinde Pulinguí San Pablo, zuerst zur Stärkung mit einem ländlichen Mahl. Später lernen wir das Gemeindeleben der 48 indigenen Familien kennen, die neben der Landwirtschaft mit dem Tourismus ihren Lebensunterhalt sichern möchten.

Frauen in Pulinguí © Ilona Haß

Marianne Otto, ZEIT-Reisende

Tag 29: 23. Januar 2020

Von Riobamba nach Alausí

»Die Natur ist für die denkende Betrachtung Einheit in der Vielfalt, Veränderung des Mannigfaltigen in Form und Mischung. Inbegriff der Naturdinge und Naturkräfte, als ein lebendiges Ganzes.«

Alexander von Humboldt

Bei strahlendem Wetter fahren wir so gut wie pünktlich vom schönen Hotel Abraspungo ab, meine Bewunderung für PeKo steigt gleichermaßen für sein Hyperorganisationstalent als auch sein soziales Momentum zur Glättung von Differenzen in der Gruppe in statu nascendi.
Sowohl der Altar als auch der Chimborazo zeigen sich zum Abschied von Riobamba in strahlendem Lichte. Pepe erläutert uns den heutigen Reiseverlauf und gibt für den ersten Stopp die besten Tipps zur Positionierung der Photographen im neu aufgebauten Riobamba am Coltersee mit der Iglesia de Balbanera, der ältesten Kirche Ecuadors, den Chimborazo im Hintergrund, ein wahrhaft tolles Motiv!

Weiter geht die Reise nach Guamote, wo wir eine Weile im pittoresken Gewirr des Kleintiermarktes, unmittelbar benachbart zum Friedhof, die farbigsten Motive von Mensch, Tier und Früchten vor die Linse bekommen.

Der geschäftige Kleintiermarkt von Guamote © Karl Staudenmaier

 

Ganze Familien kaufen ein © Karl Staudenmaier

In freier Gestaltung erkunden wir den „übrigen“ Markt, von der Hauptstraße bis zum alten Bahnhof, hier sind die Gleise vielseitig genutzte Installation. Dieser Wochenmarkt gibt einen Überblick über die Vielfalt und Variationen der bäuerlichen Produkte und der Dinge des alltäglichen Lebens. Wenn ich mir dagegen die heimischen Supermärkte mit den vielen unnötigen und bedarfslosen Angeboten vorstelle?!

Gemüsevariationen © Karl Staudenmaier

 

Obstfrau am Markt von Guamote © Karl Staudenmaier

 

Was darf es heute sein © Karl Staudenmaier

Das im Intisisa Buffet angebotene Mittagsmenu schmeckt ausgezeichnet. Eine gute Auswahl heimischer Produkte in schmackhafter Zubereitung. Dort treffen wir nach der Mittagspause den Leiter des Projektes Intisisa für eine allgemeine Einführung. Danach besichtigen wir den seit 20 Jahren für 24 arme Kinder betriebenen Kindergarten sowie eine Werkstätte für textile Handarbeiten und einen angegliederten Computerraum zur Vermittlung moderner Büro- und Kommunikationstechnik. Unser Kassenwart Jürgen wirft spontan seine Mütze zur Sammlung einer Gruppenspende in den Ring, der Projektleiter bedankt sich erfreut für diese unerwartete Zuwendung.

Weiter führt uns die Reise im „ZEIT-Bus“ nach Iska, auf Humboldts Spuren, mit Humboldts Worten „durch melancholischen Nebel fahrend“ und deutlich kühler als bislang. Ein zweistündiger Lehrpfad führt uns auf Bonplands und Humboldts authentischem Weg abseits der Straße. Unterwegs zeigen und erläutern Pepe und ein zufällig hinzugekommener junger Assistent einige der endemischen und von Humboldt und Bonpland entdeckten Pflanzen. Die An- und Abstiege der Wanderung sind mehr als erwartet. Am Ende nimmt uns der Bus wieder auf zur Weiterfahrt zum Tagesziel Alausí. Dort beschließen wir den ereignisreichen Tag mit gemeinsamen Abendessen in Erwartung der morgen geplanten Bahnfahrt zur Nariz del Diablo.

Wanderung auf den Spuren von Humboldt und Bonpland © Karl Staudenmaier

 

Endemische Pflanze © Karl Staudenmaier

Karl Staudenmaier, ZEIT-Reisender

Tag 30: 24. Januar 2020

Bergfest!!!

»Ich liebe es im Ganzen nicht, Aussprüche von geistreichen Menschen zu zitieren.«

Alexander von Humboldt

Heute ist wieder einmal ein sehr früher Tagesbeginn: Frühstück ab 6:00 Uhr und um 7:30 Uhr Abmarsch zum Bahnhof Alausí. Muss das sein, nur wegen einer Bahnfahrt? Doch wir werden total entschädigt. Die über 100 Jahre alten Holzklassewaggons versetzen die auch nicht mehr ganz so junge Reisegruppe in die Vergangenheit zurück.

Die Holzklasse © Ilona Haß

Als die spektakuläre Bahnfahrt entlang der Berghänge, über Schluchten und Brücken beginnt, wird wie wild fotografiert, obwohl es neblig und regnerisch ist. Spannend wird es, als wir die Serpentinenstrecke erreichen: Am Ende einer Spitzkehre springt der Weichensteller vom Zug ab, stellt die Weiche um, springt wieder auf, und der Zug fährt das nächste Serpentinenstück zurück, hinauf oder hinunter. Nach mehreren solcher Manöver erreichen wir die berühmte „Teufelsnase“. Hier ist Fotostopp.

Weichensteller © Antigoni Chrysostomou

 

Teufelsnase im Nebel © Antigoni Chrysostomou

Bei der Rückfahrt klappen wir einfach unsere Rückenlehnen um und alle sitzen wieder in Fahrtrichtung. Nächster Halt ist der Bahnhof Sibambe. Dort wollen wir unser Bergfest feiern. Dazu hat PeKo eine Flasche Rum besorgt. Aber er weiß nicht, was wir geplant haben: Am Abend zuvor ist es Günter gelungen, eine Flasche Santiago de Cuba Rum aufzutreiben – und das in Ecuador! Es soll das Geschenk der Gruppe für PeKo sein. Zu der Melodie von „Die Gedanken sind frei“ haben Jutta und Ilona ein Lied gedichtet, das die Gruppe PeKo entgegenschmettert:

Den PeKo , den kennen wir jetzt seit vier Wochen,
mit ihm sind im Dezember wir fröhlich aufgebrochen.
Ist das Herz der Humboldt-Reise; schenkt uns Rum aus, ganz leise.
Guter Guide mit dem Quantum Spiel, bringt uns sicher ans Ziel.
PeKo bringt uns Humboldt nahe, davon kann man nur träumen.
Seine Vorlesestunden, die will niemand versäumen.
Er achtet unsre Sorgen, beseitigt sie bis morgen.
Guter Guide mit dem Quantum Spiel, bringt uns sicher ans Ziel.
Wir alle sind begeistert, wie du die Reise leitest!
Und wie du mit deinem Wissen unser Denken erweiterst.
Dein fröhliches Lachen erleichtert viele Sachen.
Dafür danken wir dir sehr! Und wir freuen uns auf mehr!

Peko wird gefeiert © Antigoni Chrysostomou

PeKo bedankt sich gerührt und dann leeren wir gemeinsam die Flasche Rum. Inzwischen hat sich der Nebel etwas gelichtet und wir können bei der Rückfahrt die Aussicht in vollen Zügen genießen. Die Weiterfahrt zu den Inkaruinen von Ingapirca zieht sich hin. Die meisten dösen, während der Bus durch die nebelverhangene Landschaft fährt. Die vorbeiziehenden Felder werden intensiv von Kleinbauern bearbeitet.

Gegen 14 Uhr quält sich der Bus einen steilen, holprigen Feldweg bergan. Hier oben, mit Blick auf die Inkaruinen, sollen wir in der historischen Hacienda Posada Mittagessen. Uns empfängt ein festlich gedeckter Tisch und wir genießen wieder einmal ein köstliches ecuadorianisches Essen. Anschließend führt uns Pepe durch die Tempelanlage. Es sind dies die am besten erhaltenen, präkolumbianischen Ruinen aus der Inka-Zeit in ganz Ecuador. Bemerkenswert ist auch, dass Teile dieser Anlage zuvor von den Cañari – dem Urvolk dieser Gegend – erbaut wurden. Am Sonnentempel zitiert PeKo mehrere Passagen aus Humboldts Tagebuch und erläutert die präsentierten Skizzen.

Inka Ruinen in Ingapirca © Antigoni Chrysostomou

Inzwischen hat sich der Himmel ziemlich verdunkelt. Gelegentliches Grollen lässt ein Gewitter nahen, und so eilen wir zum Bus. Dieser bringt uns durch den einsetzenden Regen nach Cuenca, wo wir zwei Nächte verbringen werden.

Ilona Haß, ZEIT-Reisende

Tag 31: 25. Januar 2020

Cuenca

»Cuenca liegt in einer großen Ebene, umgeben von etwas unfruchtbaren Sandsteinbergen. Die Ebene auf der Südseite ist sehr grün und gewährt einen schönen Anblick. Der Grundriss der Stadt ist sehr regelmäßig, aber die Gebäude sind unter Mittelmaß.«

Alexander von Humboldt

8:30 Uhr. Wir sind in Cuenca und starten unseren Stadtrundgang an einem kleinen Platz vor der Kirche Santo Domingo. Von unserem Stadtführer Pepe erfahren wir interessante Details zur Stadtgeschichte und Gegenwart von Cuenca. Als die Spanier 1557 die Stadt “Santa Ana de los Cuatro Ríos de Cuenca” gründeten, hatten die Inkas in den Jahrzehnten davor die Ureinwohner, die Cañari in blutigen Kämpfen unterworfen und viele männliche Einwohner massakriert. Auch deshalb gestaltete sich danach das Zusammenleben der einmarschierten Spanier mit den Ureinwohnern relativ harmonisch. Heute präsentiert sich Cuenca als ein Schmelztiegel der Epochen der Cañari, Inka und Spanier mit Mestizen als typische Einwohner; Indigenas sieht man eher selten.

Kirche des Santo Domingo
©Günther Biste

Das architektonische Stadtbild ist geprägt von zahlreichen Kirchen, prächtigen Patios mit republikanischen Stadthäusern im späten Kolonialstil. Dazwischen entdeckt man auch neoklassizistische Bauelemente. Der seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts gepflegte Austausch mit Frankreich zeigt sich unübersehbar in den zahlreichen gusseisernen Balkonen, die an französische Bauweisen erinnern. Das wachsende Bürgertum der Stadt dokumentierte in der Anleihe an den französischen Lebensstil auch die Abkehr von Spanien. 2001 wurde das Stadtbild zum Welterbe der UNESCO erklärt.

Heute präsentiert sich Cuenca als weltoffene, moderne Stadt mit der Einführung moderner Technologien wie z.B. einer neuen Straßenbahn, die obgleich technisch fertiggestellt – aus ökonomischen Gründen – nicht in Betrieb genommen wird. Wir setzen unseren Stadtrundgang fort. In dem Moment nähert sich uns von hinten die erwähnte Straßenbahn – offensichtlich anlässlich einer Art Testfahrt. Allgemeines Hallo. Hämische Kommentare hinsichtlich des planerischen Kuriosums verstummen schnell beim Stichwort Berliner Flughafen.

Antiguo Banco de Azuay
©Günther Biste

Wir sehen vor uns ein klassizistisch anmutendes Gebäude: Die Antiguo Banco de Azuay, erbaut von 1922-26, wird heute von der Stadtverwaltung und als Galerie genutzt.
In Sichtweite des Parque Calderón sehen wir schöne Gebäude im Kolonialstil.
Ein großer Platz, der Parque Calderón bildet gefühlt das Stadtzentrum und wird von den beiden Kathedralen flankiert. Wir beginnen unsere Besichtigung mit der älteren der beiden, der Iglesia del Sangrario (Vieja Catedral). Baubeginn 1557, also zeitgleich zur Stadtgründung. Sie gilt als einzige original spanische Kirche des Landes. Besonders beindruckt war ich von der lebensgroßen Pietà im Altarraum. Der Künstler hat den Leichnam des Gekreuzigten mit anatomischer Akkuratesse weit über die sonst dargestellten symbolischen Wundmale hinaus mit allerlei blutigen Blessuren versehen.

Iglesia del Sangrario
(Vieja Catedral)
©Günther Biste
Gekreuzigter Jesus in der Vieja Catedral
©Günther Biste

Eher blass erscheinen die Merkmale, die auf Alexander von Humboldts Aufenthalt in Cuenca hinweisen: Ein bescheidenes Schild an einem neueren Gebäude verweist auf den Vorgängerbau, in dem Humboldt bei seinem Aufenthalt in Cuenca gewohnt haben soll.
Die von unserem Reiseleiter Peko an diesem Ort vorgetragenen Zitate aus Humboldts Tagebuch zum Aufenthalt in Cuenca haben zumindest Unterhaltungswert: „Fünf Tage Stierkämpfe, Tänze und Musikaufführungen”, dabei „nur zwei Tote … die alte Grausamkeit ist dahin“ hält er ironisch fest. Er ist vielleicht schlecht gelaunt, leidet er doch seit Wochen an einem „schwärenden Fuß“ und notiert sich aber penibel die Einkommensverhältnisse der örtlichen Geistlichkeit.

Ja und dann ist da noch die Humboldt-Weide, die Salix Humboldtiana, auf die wir beim Spaziergang entlang des Flusses Río Tomebamba aufmerksam gemacht werden. Sie ist endemisch, ein Begriff der mir auf der Reise zum Verständnis botanischer Zusammenhänge unentbehrlich geworden ist.

Gegenüber der alten Kathedrale überragt die neue Kathedrale den Platz Parque Calderón, die Catedral de la Inmaculada Concepción also: die Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich Kirchen grundsätzlich aus rein bautechnisch-ästhetischem Interesse besuche. Die Kathedrale wurde nach den Plänen des deutschen Padre Johannes Baptist Stehle 1885 bis 1967 erbaut. Wobei die beiden Türme – wohl aus statischen Gründen – nie fertiggestellt wurden. Sie gilt als eines der größten Gotteshäuser Lateinamerikas. Groß ist sie, das kann ich bestätigen, wirklich erwähnenswert ist jedoch, dass man über einen Turmaufstieg auf das Dach gelangen kann, von wo aus man eine herrliche Aussicht genießt.

Die neue Kathedrale von Cuenca
©Günther Biste

Unmittelbar neben der Kathedrale gibt ein schöner Patio den Blick frei auf ihre beiden blauen Kuppeln. In der Nebenstraße finden wir die ehemals deutsche Apotheke aus dem Jahr 1909, die Botica y Drogeria Central. Ein Mittel gegen meinen Husten, der mich seit Tagen begleitet, kann ich aus Zeitgründen aber nicht kaufen. Schon geht es weiter.

Museo de Sombrero
©Günther Biste
Jedem Hut seine eigene Form
©Günther Biste

Auf dem Weg zum Fluss Río Tomebamba besuchen wir das Museo del Sombrero. Gelegenheit für die Mitreisenden, Hüte zu probieren und einige werden auch gekauft.
Der Prozess der Herstellung ist bescheiden dokumentiert, ich entdecke aber einige Regale mit Formen und dazugehörige Pressen. Ich kaufe keinen Hut. Wir steigen zum Fluss hinab, ein Fußweg führt entlang eines eher langweilig angelegten Flussverlaufs. Eine Humboldtweide, die Salix Humboldtiana, bringt Teile der Reisegruppe nur kurz zum Stehen.

Dann geht es 160 Treppen hoch zum Parque San Sebastián, erschöpft sinkt die Reisegruppe auf die Bänke, um der Lesung unseres Reiseleiters zu lauschen. Soweit es die Entfernung zum Vortragenden zulässt. Ein eher humoristischer Beitrag zu Humboldts Vorgänger Condamine mit einem Zitat aus Bill Brysons „Eine kurze Geschichte von fast allem“: Der Autor kolportiert die französische Expedition um Charles Marie de La Condamine, die bereits 5 Jahrzehnte vor Humboldt das Gebiet um Quito und Cuenca erforschte, als grotesk gescheiterte Veranstaltung. Ja, die Franzosen. Aber auch die Engländer, sage ich.

Anschließend gehen wir zum Restaurant „La Caleta“. Das Mittagessen, in mehreren Gängen mit überleitenden Getränken serviert, ist – nach einhelliger Meinung – von hervorragender Qualität. Zweifellos ein kulinarischer Höhepunkt, der es den darauffolgenden Mahlzeiten hinsichtlich ihrer qualitativen Bewertung nicht leicht machen wird. Den verbleibenden Nachmittag haben wir zur freien Verfügung. Jeder kann machen was er will. Das Wetter macht ein ordentliches Gewitter und reichlich Regen, so dass im Hotel mit mehreren Eimern dagegen gearbeitet werden muss.

Abends treffen wir uns zu einem Vortrag des mit dem Reiseleiter befreundeten Architekten Daniel Idrovo. In einer kompakten Präsentation gibt er einen interessanten Überblick über Baugeschichte und Baustile der Stadt Cuenca. In einer weniger kompakten Darstellung werden wir mit einem von ihm entworfenen Friedhofsprojekt bekannt gemacht. Im Mittelpunkt des Entwurfs steht ein stufenreiches Mehrzweckgebäude; es fällt mir nicht leicht, dabei nicht an eine Art Musical-Architektur denken zu müssen. Stairways to Heaven.
Danach werden wir in sehr ausführlicher Weise mit weiteren eigenen Entwürfen des Daniel Idrovo geradezu überwältigt. Als bei den ersten Konzepten eine meiner Mitreisenden entzückt ruft: “Das sind ja wunderbare Entwürfe!“ bin ich mir sicher, dass der Vortragende sein Publikum erreicht hat.

Mit letzten Gedanken an den nächsten Tag schlafe ich ein. Frühstück wie immer ab 7:00 Uhr.

Günther Biste, ZEIT-Reisender

Tag 32: 26 Januar 2020

Cuenca – Saraguro - Vilcabamba

»Ungleich ist der Teppich gewebt, welchen die blütenreiche Flora über den nackten Erdkörper ausbreitet.«

Alexander von Humboldt

Heute reisen wir in Richtung des südlichsten Zipfels von Ecuador. In den nächsten Tagen werden wir ja die Grenze zu Perú erreichen. Es wird eine lange Fahrt. Die Landschaft ist bergig, sehr grün und abwechslungsreich. Wir passieren die Provinz Loja mit der gleichnamigen Hauptstadt.

Kirche in Saraguro
© Antigoni Chrysostomou

In der kleinen Berggemeinde Saraguro machen wir vormittags eine kleine Pause. In dieser Gemeinde leben viele indigene Menschen, die schöne traditionelle Kleidung tragen. Die Männer tragen hier das lange, glänzende und tiefschwarze Haar in einem Zopf gebunden. Es ist nicht so kalt wie befürchtet und wir schwärmen alle aus Richtung Hauptplatz.

Murales – Wandbilder sind sehr beliebt
© Antigoni Chrysostomou

Die zweckgebundene Pause bewegt uns zum Aufsuchen eines Cafés, bei dem man außerdem noch einen schönen Kaffee serviert bekommt. Das Café ist sehr gemütlich und gut ausgestattet. Der Wirt freut sich und bedient uns sehr freundlich. Wir haben wie schon zu oft zu wenig Zeit, um uns den Ort anzuschauen. Kommen Sie wieder, es ist schön hier!

Betreiber eines netten Cafés in Saraguro
© Antigoni Chrysostomou

Ecuador hat wohl die meiste indigene Bevölkerung im Vergleich zu den anderen Ländern, die wir bereisen. Was bedeutet das aber für das Land selbst? Für sein Selbstverständnis? Für das Selbstbewusstsein der Menschen, die hier leben? Alle diese Fragen bleiben unbeantwortet. Die Geschichte des Kolonialismus wird noch sehr lange über diese Länder schweben.

Der Bus ruft!
© Antigoni Chrysostomou

Am Nachmittag machen wir uns auf die Suche nach der Chinarinde. Genau wie Humboldt. Chinarinde, die gar nichts mit China zu tun hat, ist die Quelle für das am Anfang des 18. Jahrhunderts bei Humboldt und den Europäern bekannt gewordenes Chinin. Die heilende Wirkung gegen Malaria war in Südamerika mindestens ein Jahrhundert vorher bekannt. Die südamerikanischen Bäume, von denen diese Rinde stammt, heißen in der Lokalsprache Quechua „krina krina“ oder „quina quina“, daher der Name. Der Nationalpark in der Nähe von Vilcabamba, an dem wir halt machen, heisst Podokarpus.

Landschaft am National Park Podokarpus
© Antigoni Chrysostomou

Wir befinden uns noch auf über 2.000 m Höhe. Die Luft ist klar und mild, die Sonne wärmt und es fällt uns allen leicht, ganz beschwingt bergauf zu laufen. Es gibt tolle Aussichten in die weite Landschaft. Wir haben einen lokalen Guide dabei, der uns hilft, die Chinarinde-Bäume zu finden. Wir schauen nach oben, um die Gestalt der Blätter zu erkennen. Der eine Baum hat Blüten, der andere nicht. Der Guide klärt uns auf. Es ist der Baum mit den kleinen schmalen kelchförmigen Blüten. Wir kommen der Sache näher. Der Rinde auch. An einem Baum mit kräftigem Stamm bricht der Guide ein Stück für uns ab. Okay, wir haben auch die Chinarinde gefunden. Noch einen Humboldt Meilenstein hinter uns gebracht. Ticking the box. Die Liste ist sehr lang. Die Reise geht weiter.

Gefunden, die Chinarinde!
© Antigoni Chrysostomou

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 33: 27. Januar 2020

Unser freier Tag in Vilcabamba

»Die dem Äquator nahe Gebirgsgegend […] ist der Teil der Oberfläche unseres Planeten, wo im engsten Raum die Mannigfaltigkeit der Natureindrücke ihr Maximum erreicht.«

Alexander von Humboldt

Es ist ein Montag Ende Januar 2020 und wir haben frei. Wir haben frei und wir haben es warm. Wir haben Urlaub vom Urlaub. Einen Tag zur freien Verfügung wie es so schön heißt, einen Tag befreit von unserer Reise, die ja genau genommen kein Urlaub ist. Es ist eine Bildungsreise mit einem strammen Programm. An unserem freien Tag sind wir in der Stadt der Hundertjährigen gelandet. Vilcabamba, Ecuador. Die Menschen sollen hier so lange leben. Deshalb sind inzwischen auch schon so viele Amerikaner hierher übergesiedelt, lässt uns Pepe nicht ohne eine gewisse Häme wissen.

Blick auf Vilcabamba, Bild ©Antigoni Chrysostomou
Das Versprechen auf Entspannung ©Antigoni Chrysostomou

Wir sind in zwei Hotels aufgeteilt. Ich bin mit der kleineren Gruppe im abgelegenen. Die Aussicht ist um so schöner. Grüne sanfte Bergrücken strahlen eine Ruhe aus, wenn mein Blick entlang ihrer Umrisse schweift. Der Ort hat in der Tat eine gute Aura. Mein Hotel scheint lange ein Magnet für Aussteiger gewesen zu sein. Es wird durch den Deutschen Raik betrieben, es werden morgendliche Yoga Stunden und Massagen angeboten. Abends fließt das schmackhafte IPA, Indian Pale Ale, selbstgebraute Bier. Die Zimmer sind rustikal, ich bekomme eins mit einer Terrasse, Aussicht auf die Berghänge, ein Traum!

Aussicht aus meiner Terrasse
©Antigoni Chrysostomou

Ich müsste gar nicht weg aber der Hunger treibt mich ins Dorf. Dort erwischt mich ein heftiges Gewitter. Ich sitze geschützt unter der Überdachung eines Lokals und genieße ein mexikanisches Gericht zwischen Blitz, Donner und Regenguss. Vorgeschmack auf die nächsten Länder der Reise. Die meisten ecuadorianischen Lokale im Ort haben montags zu.

Der Wanderpfad
©Günther Biste
Begegnung mit einem Maultier
©Günther Biste

Meine Freunde aus der Reisegruppe berichten später von einer tollen Wanderung, die sie mit Pepe gemacht haben. Schöne Pfade, wunderbare Aussichten, Begegnung mit einem Maultier. Ich dagegen hatte am Abend eine Begegnung mit einer Belgierin, die seit Jahren hier in der Gegend lebt und stur wie ein Esel versucht, gegen die lokale Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber Naturschutz anzukämpfen. Philosophische Gespräche über die Konflikte mit ihren Grundstücksnachbarn, die Haltung der regionalen Bevölkerung gegenüber Fremden, das fehlende Verständnis für das Bedürfnis, die Natur zu bewahren und den durch die Außenseiterin so erlebten Egoismus der Einheimischen. Fazit: Man kann nicht allein die Welt retten, man braucht Verbündete!
So vergeht schnell der freie Tag und wir sind nun ausgeruht und für die Entdeckungen der nächsten Tage bereit!

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 34: 28. Januar 2020

Das Vierte Land der Reise: Perú

»Solange man lebt, muss man das Leben erhalten, sich ihm nicht entfremden, sondern darein eingreifen, wie es die Kräfte und die Gelegenheit erlauben.«

Alexander von Humboldt

Neun warme Ceviche. Nein, es waren doch fünfzehn. Dafür waren es neun Vorspeisen Papas mit Pesto. Ein vegetarisches Ceviche war ebenfalls auf dem Plan. Wer hatte das bloß? Ich bin mir sicher, ich hatte kein Hühnchen als Hauptgericht. Als der Fisch vorbeigereicht wird, schaut er appetitlich aus, aber den hatte ich auch nicht bestellt. Hatte ich für heute Abend vegetarisch? Wann hatte ich die Bestellung aufgegeben? Ach so, es war vorgestern Abend. Ich kriege Spaghetti mit Gemüse und schaue neidisch auf den Fisch. Eine Portion ist noch übrig. Wir lassen sie in die Mitte stellen. Der Fisch ist lecker. „Congrio“, Meeresaal. Heute Abend trinke ich den ersten Pisko Sour meines Lebens. Es ist zur Begrüßung. Wir sind in Perú.

Warmes Ceviche
©Antigoni Chrysostomou

Es war eine lange Fahrt. Eine sehr lange Fahrt. So lange, dass die Berge verschwanden. Die Anden gingen irgendwann seitlich zu Ende. Wir bewegen uns auch Richtung Küste. Die Grenze zwischen Ecuador und Perú bei Macará ist eine ruhige Grenze ohne viel Betrieb. Trotzdem dauert es sehr lange, bis der junge peruanische Beamte unsere ungewohnten Namen Buchstaben für Buchstaben in die Tastatur eintippt. Wir naschen wartend an dem Sandwich aus dem Lunch Paket. Ich kredenze einem bettelnden Hund ein Stück Hähnchen aus meinem Brot und er weicht nie mehr von meiner Seite.

Unser neuer Reisebus
©Antigoni Chrysostomou

Während die Hitze alle Haaransätze am Nacken feucht macht, inspizieren Zollbeamte den Bus von innen und außen. Sie lassen einige Koffer rausholen, es könnten ja zwischen den Koffern andere Schmuggelwaren versteckt sein. Ein peruanischer Grenzbeamter kommt auf einmal mit einer Handvoll Mangos an und bietet Steffi und mir auch eine an. Ich nehme aus seinen vollen Armen zwei weg. Er freut sich. Wir uns auch. Er bringt die restlichen Früchte ins Kontrollhäuschen. Peko, der immer wieder zwischendurch auf geheimer Mission ist, hat Bier und Erfrischungen besorgt. Jeder, der den Stempel für die Einreise nach Perú bekommen hat, darf sich bedienen.

Der Grenzfluß Macará zwischen Ecuador und Perú
©Antigoni Chrysostomou
Blick vom Hotel Madre Tierra in Vilcabamba
©Antigoni Chrysostomou

Heute Morgen waren alle auf den neuen Bus neugierig. Der Bus, der nach Perú fahren darf. Der schöne lange sperrige dafür nagelneue weiße Bus von ZEIT REISEN hat kolumbianische Kennzeichen und hat keine Genehmigung für eine Einreise nach Perú mit kommerzieller Nutzung bekommen. Er wird mit den kolumbianischen Fahrern Julian und Fernando nach Bogotá zurückgeschickt. In Vilcabamba verabschieden wir uns von ihnen. Julian ist der beste Rückwärtsfahrer mit einem Bus, den wir je erlebt haben. Der neue Bus wird in Besitz und kritischen Augenschein genommen bis alle Rücken, Popos, Arme und Beine in die neuen Sitze sortiert sind. Wir setzen uns in Bewegung. Fährt nun der neue ecuadorianische Fahrer Jonathan schneller um die Kurve als Julian oder nicht? Die Meinungen gehen auseinander. Die Straße ist sehr kurvig. Die Landschaft bietet schöne Anblicke. Grün, bergig wie sonst auch. Spürt man das, wenn man sich der Grenze eines Landes nähert? Wird es da leerer? Wir verabschieden uns von Ecuador, dem Land der großen Vulkane.

Vorbei an Reisfeldern
©Antigoni Chrysostomou

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 35: 29. Januar 2020

Von Piura bis Chiclayo

»Das nachdenkende, betrachtende, forschende Leben ist eigentlich das höchste.«

Alexander von Humboldt

Huaca oder W’aka ist ein Wort in Quechua für ein Monument, ein Heiligtum oder einen Tempel. Demnach sind Huaceros Grabplünderer. Solchen ist es zu verdanken, dass das Grab von Señor de Sipán gefunden wurde. Heute steht dort ein Museum. Wir befinden uns auf einer Ausweichroute. Die Strassen in Nord Perú haben unter schweren Überschwemmungen gelitten und so können wir unsere ursprüngliche „Humboldt“ Route über die Berge nicht befahren. Ein Zufall also bringt uns dazu, diese bedeutende Entdeckung zu bewundern. Wir werden drei Tage auf einer Umleitung sein.
Oscar, unser neuer peruanischer Guide, redet ununterbrochen. Es gibt drei Kordilleren, eine Wasserscheide, 58 Zuflüsse des Amazonas, nagelt mich bitte nicht auf die Zahl fest, das El Niño Phänomen, die Pyramiden von Túcume, Lehmziegelpyramiden, deren Besichtigung in der Nachmittagshitze ich zu vermeiden hoffe. Es gibt Chavín, Chachapoya, Moche, Tiahuanaco, Chimú, Lambayeque. Alles prä-Inka Kulturen in verschiedenen Teilen des Landes. Das ist nur eine Auswahl versteht sich.

Die Panamericana im Tal der Lampayeque
©Antigoni Chrysostomou

Wir fahren durch das Tal der Lambayeque. Die Lambayeque waren zuhause in der Nähe der Stadt Chiclayo. Das ist die Stadt, in der wir heute Abend übernachten werden. Wir fahren auf der alten Panamerikana. Schön ist anders. Ganze Geierschwärme kreisen über rauchdampfende flache Müllhalden. Das Land ist hier nahe der Küste noch flach, ab und zu tauchen einzelne Erhebungen auf. Wir durchqueren trockene staubige Dörfer mit bedeutender Geschichte. Viele flache Ziegelbauten. Die meisten unverputzt, ohne Farbe. Das Ocker der Fassaden gleicht sich der Farbe des Sandes an. Perú ist inzwischen für mich das Lehmland. Währenddessen redet Oscar weiter. Einführung in die Geschichte Perús an einem Tag. Oscar ist ambitioniert.

Die Pyramide von Túcume
©Antigoni Chrysostomou
Braune und weiße Baumwolle
©Antigoni Chrysostomou

Auf einmal erscheint die größte Pyramide von Túcume am Rande einer Siedlung. Die Pyramide ist aus ganz vielen Lehmziegeln gebaut. Von weitem kann man die Pyramiden von den einzelnen, aus der Ebene herausragenden Bergen nicht unterscheiden. Kein Foto Stopp. Es ist zu heiß und zu knapp von der Zeit. Wir machen Rast an einer Hacienda. Eine grüne Oase in der Wüste. Damit das Fahren und die Theoriestunde im Bus nicht zu langweilig werden, besuchen wir das Museum in Túcume. Jetzt hab ich’s. Es waren erst die Moche oder Mochica im Moche Tal, dann die Lambayeque, dann die Chimú und dann die Inka in genau dieser Reihenfolge. Mit den Cupisnique, die vor den Moche kamen, will ich Euch nicht auch noch behelligen.

Die Toten werden sitzend begraben
©Antigoni Chrysostomou
Darstellung ritueller Teufelstänze im Museo Túcume
©Antigoni Chrysostomou

Das Gebiet umfasst 220 ha. Für Ausgrabungen fehlt es wie immer an Geld. Deshalb wurde erst vor vier Jahren ein bedeutender Inka Fürst ausgegraben. Er war mit seinen 19 Weberinnen begraben worden. Es gibt hier braune Baumwolle. In der Inka Zeit wurde gewebt. Die Weberinnen wurden als Begleitung zu seinem Tod geopfert. Überhaupt gab es sehr viele Menschenopferungen bei diesen Kulturen. Die Lambayeque opferten Menschen an den Heiligen Stein bei rituellen Festen. Die Opfer wurden geköpft. Man fand 190 solcher Opfer um den Heiligen Stein. Wie beruhigend zu wissen, dass man die Opfer vorher mit einem Halluzinogen aus der Pflanze Nectrandra betäubt hat. Sie haben bei ihrer Opferung nichts gemerkt, informiert uns eine Tafel. Und in dem ich das schreibe, merke ich, dass ich „diese Kulturen“ auch in eine Schublade schiebe. Lassen wir mal die Kirche im Dorf. In der griechischen Antike gab es auch Menschenopferungen.

Der Heilige Stein, Museo Túcume
©Antigoni Chrysostomou

Unter Zeitdruck fahren wir weiter zum Museum der königlichen Gräber von Sipán. Die Entdeckung war 1987, die Ausgrabungen wurden unter der Leitung des bedeutenden peruanischen Archäologen Walter Alva durchgeführt. Ein Experte der Moche Kultur, der heute noch das Museum leitet. Die Moche Kultur wird zwischen 100 und 700 nach unserer Zeitrechnung datiert. Was wir dort vorfinden, lässt sich nicht in wenigen Zeilen beschreiben. Es ist überwältigend. Ich wollte es nicht missen. Leider dürfen wir nicht fotografieren. Ungewöhnliche Schätze. Sehr interessant die Dualität zwischen Sonne und Mond, die sich in den Grabbeigaben widerspiegelt. Goldene Gaben als Symbol für die Sonne, genau die gleichen, spiegelbildlichen in Silber für den Mond. Der Herr von Sipán wurde als eine halbgöttliche Figur angesehen und hatte viele zeremonielle Repräsentationsaufgaben. Er trug riesige runde goldene Ohrringe und beeindruckenden Halsschmuck, der aus Hunderten von parallelen feinen Ketten, meist aus Sodalith oder Muscheln, bestand. Sodalith ist bläulich und ist für Perú üblich, während der Lapis Lazuli eher in Chile vorkommt. Die Erklärungen, die uns Oscar im Schnelldurchlauf gibt, füllen Bände. Ich werde bestimmt noch mehr über diese Funde recherchieren.
Im leichten Galopp verlassen wir das Gebäude und steigen in den Bus. Es sind noch zwei Stunden Fahrt bis Chiclayo und wir müssen noch die halbe Stunde Verhandlungen mit der Verkehrspolizei einrechnen, damit wir mit dem Bus bis ins Zentrum fahren dürfen. Nach der langen Fahrt freuen wir uns über die super freundliche Begrüßung im Hotel und das Check-in gleich an der Bar.

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 36: 30. Januar 2020

Von Chiclayo nach Cajamarca

»Es gehört zum Begriff des Spazierengehens, daß man keinen ernsthaften Zweck damit verbindet.«

Alexander von Humboldt

Bei schönem Wetter verlassen wir Chiclayo in Richtung Cajamarca, unserem heutigen Tagesziel. Oscar, unser peruanischer Reiseleiter, führt uns fachkundig in die Geografie und Agrarwirtschaft Perus und die regionalen Besonderheiten ein. Da es in Peru nur ein rudimentäres Umweltmanagement/Umweltbewusstsein gibt, stellt die Beseitigung von Abfall ein großes Problem dar, insbesondere für große Städte wie Chiclayo; dies ist deutlich sichtbar an den links und rechts der Straße über mehrere Kilometer abgelagerten Abfällen, welche nach selektiver Beraubung enthaltener Wertstoffe wie PET und Aluminium durch Privatleute mit Bulldozern eingeebnet werden, die zahlreich enthaltenen Glasscherben glitzern in der Sonne.

Müll mit schwarzen Geiern
©Karl Staudenmaier

Eine kleine Ausführung zum Anbau von „Piscoreben“ und der Herstellung bzw. Zubereitung des köstlichen Cocktails Pisco Sour hebt die Information auf ein erfreuliches Niveau, zumal wir gestern Abend bei der Ankunft im Hotel mit solchem Tranke begrüßt wurden. Weiterhin gibt uns Oscar einen historischen Abriss über das Verkehrswesen in Verbindung mit der Entstehung privater Schienennetze der wohlhabenden Zuckerbarone und Minenbesitzer, die Hintergründe für den Salpeterkrieg von 1880 sowie die wirtschaftliche Bedeutung des Guano-Exportes. In Chepén passieren wir die Statue der Blutkelchgöttin. Bei km 715 verlassen wir die Panamericana ins Jequetepequetal, welches sich bis auf 2.700 m hoch erstreckt.

Landschaft entlang des Jequetepeque Tals
©Karl Staudenmaier
Der Jequetepeque Fluss
©Karl Staudenmaier

Großflächiger Reisanbau wechselt sich mit Zuckerrohr und Mais ab. Wir passieren den von der Fa. Salzgitter errichteten Staudamm und fahren entlang des Stausees in die nächste Vegetationszone der Yunga, bis 2.000 m Höhe; hier gedeihen viele Obstbäume wie zum Beispiel Mangos. In Yatahual machen wir einen Zwischenstopp. Weiter geht es bergan, vorbei an den toxischen Hinterlassenschaften der Bergbauindustrie der sechziger Jahre, die langfristig noch Grundwasser und Boden verunreinigen werden.

Relief im Museum Kuntur Wasi
©Karl Staudenmaier

Nächstes Zwischenziel ist Kuntur Wasi (Haus des Condors), welches bei der Ausgrabung von der Universität Tokio archäologisch begleitet wurde. Eine bewundernswerte Ansammlung und Ausstellung der restaurierten Funde. Der Rundgang zum und auf dem Pyramidenhügel gibt eine Vorstellung von Größe und Ausmaß. Oscar erweist sich als profunder Kenner seines Landes.

Das Kuntur Wasi Heiligtum
©Karl Staudenmaier
Mauern mit großen Regenablauflöchern
©Karl Staudenmaier

Die letzte Etappe des heutigen Tages führt uns auf die Passhöhe von 3.700 m, teils im Nebel, vorbei an San Pablo, und hinunter Richtung Cajamarca. Dort in der Nähe, auf über 4.000 m, befindet sich eine der größten Goldminen, Yanacocha, die grüne Lagune, welche Arbeit und Einnahmen beschert, auch für die Verdreifachung der Bevölkerung verantwortlich ist, aber auch für den Landwirtschaftsstandort und die armen Hochlandbauern eine Existenzgefährdung darstellt. Dieser Widerspruch birgt sozialen Sprengstoff. Wir versuchen, unser zentral gelegenes Hotel zu erreichen, die Kontakte zur lokalen Verkehrspolizei scheinen zu funktionieren.

Andenlandschaft um Kuntur Wasi
©Karl Staudenmaier

Karl Staudenmaier, ZEIT-Reisender

Tag 37: 31. Januar 2020

Cajamarca

»Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung aller Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.«

Alexander von Humboldt

Die Welt schauen wir heute in der Stadt Cajamarca in Perú weiter an. Nach der langen Fahrt durch die atemberaubende Andenlandschaft auf 3750 m Höhe kamen wir gestern am 30. Januar abends kurzatmig und durch die kurvenreiche Strecke durchgerüttelt aber glücklich am Hauptplatz – Plaza de Armas – am modernen, olivgrün gestrichenen Hotel Casa del Sol an. Die riesige Fensterfront weist auf den großen von Indigenen belebten Plaza de Armas, wo wir sicher beim Frühstück ein buntes Treiben der Einheimischen beobachten können.

Plaza de Armas in Cajamarca
©Antigoni Chrysostomou

Unser Reiseleiter Oscar gibt uns vor unserer Stadtbesichtigung eine gelungene Einführung in die interessante Stadtgeschichte von Cajamarca: Hier wurde der prunkvolle Inka König Atahualpa von Francisco Pizarro im Jahre 1532 so überlistet, dass er trotz seiner Geschenke von Gold und Silber eingekerkert und schließlich gnadenlos ermordet wurde. Alexander von Humboldt soll 1802 in der Stadt Jaén einen Nachkommen Atahualpas getroffen haben. Ansonsten kümmerte Humboldt sich als Bergbauingenieur um die Sicherheit in den Minen aber auch um die Thermen und Vermessungen in Cajamarca und Umgebung.

Oscar erzählt uns weiter von den schwelenden Unruhen, die im Agrarland durch seine armen Bauern aber auch besserverdienenden Minenarbeitern entstehen. Die Stadt Cajamarca wuchs durch die Arbeitsplätze in den Minen um das Dreifache, die Bauern beklagen die zunehmende Verschmutzung/Vergiftung der Wiesen und Gewässer. Unsere Stadtbesichtigung beginnt gleich neben dem Hotel mit der Kathedrale Santa Catalina.

Catedral de Santa Catalina
©Antigoni Chrysostomou

Es fällt sofort auf, dass diese dunkle, stark verzierte Barockkirche mit in das Vulkangestein gemeißelten Trauben, Blätter, Blumen, barocken Engeln keine Türme hat. Das diente damals dazu, Steuern zu sparen, die bei Fertigstellung des Bauwerks fällig gewesen wären. Viele indigene Besucher in Festtagskleidung belagern den ganzen Tag den Vorplatz der Kirche und besuchen mehrere Messen bis zum Abend.

Iglesia San Francisco
©Antigoni Chrysostomou

Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes schauen wir uns zwei weitere Kirchen an, die Iglesia Belén und die Iglesia San Francisco. Die erste von den beiden wird von vielen als die schönste barocke Kirche angesehen. Beide haben große barocke goldene Altäre und Seitenaltäre. Auf dem Weg dorthin bin ich fasziniert von einer Jojo-Spielerin, die den Diabolo bis sicher 10 m in die Luft wirft und mit dem Seil an Handstöcken wieder auffängt, natürlich um etwas Geld damit zu verdienen. Das geschieht auf dem Zebrastreifen, wenn die Ampel der dreispurigen stark befahrenen Einbahnstraße auf Rot springt. Daneben auf dem Bürgersteig liegt tief schlafend ein großer Hund, wieder einer der zahlreichen, friedlichen und ganz hübschen Hunde, die man überall in den Städten und auf dem Lande sieht. Manch einer liegt sogar schlafend auf dem Mittelstreifen einer Schnellstraße.

Cajamarca Strassenbild
©Antigoni Chrysostomou

In einer Fußgängerzone gehen wir in einen Käseladen und probieren die berühmte golden braune Zuckermasse, die uns gut schmeckt. Die hübschen kleinen Geschäfte befinden sich in den zahlreichen Kolonialbauten, die eng nebeneinanderstehen.

Einheimische Frauen im Park
©Antigoni Chrysostomou

Der krönende Abschluss ist am Nachmittag die Fahrt mit dem Bus auf die hochgelegenen Inkabäder, wobei es sich um eine aktuelle Badeanlage mit Badewannen in jeweils einem Raum handelt, in dem man sich einschließen lassen kann, um in heißem Wasser zu baden. Die heißen Quellen sprudeln nebenan in einer Art Park aus dem Boden.

Das Leben spielt sich auf dem Hauptplatz ab
©Antigoni Chrysostomou

Regine Hägele, ZEIT-Reisende

Tag 38: 1. Februar 2020

Cajamarca

»Ich hätte nie erwarten können, dass in solcher Schnelligkeit eine solche Masse von Manuskripten, voll von unleserlichen Korrekturen, so korrekt hätten gedruckt werden können.«

Alexander von Humboldt

Ein geschäftiger Samstag in Cajamarca. Morgens halte ich eine kleine Sprechstunde für Mobiltelefon- Funktionen oder Bilderübertragung aus Kameras im Frühstücksraum.

Das Fußballspiel
© Günther Biste

Die Gruppe geht nachmittags zum lokalen Fußballspiel. Es spielen UTC Cajamarca gegen Sporting Cristal Lima. Unsere Leute unterstützen jeweils diejenige Mannschaft, die ähnliche Farben wie die eigene heimatliche Lieblingsmannschaft trägt. Dunkle Wolken hängen über dem Stadion. Beide Mannschaften kämpfen. Es gibt rote Karten. Schließlich entscheidet UTC Cajamarca das Spiel für sich mit 2:1.

Viele Häuser bleiben in Perú unverputzt
© Antigoni Chrysostomou

Obwohl es ein Tag zu unserer freien Verfügung ist, gibt es einen Dinner Vorschlag für die Gruppe. Ich sage ab und will was auf eigene Faust suchen. Ich gehe die Liste der besten Restaurants in einer bekannten App durch. Das Beste ist weit weg und so entscheide ich mich für etwas revolutionär anderes in einer peruanischen Stadt in den Anden: Sushi. Ausnahmsweise mal kein Huhn. Ich nehme ein Taxi zum Lokal, wir fahren aus dem belebten Zentrum heraus, wir finden das Lokal und ich steige aus. Es ist eine kleine Bude mit ein Paar Tischen. Auf einem Tisch stehen zwei riesige Holzschiffchen von Tabletts, die jeweils mit gefühlt 50 Sushi Röllchen beladen sind. Ein Pärchen holt eine Bestellung ab für eine größere Feier. Das ist dann wohl eher ein Takeaway. Ich kehre dem Lokal den Rücken ohne ein Wort zu sagen. Es hatte mich ja ohnehin auch niemand angesprochen.

Iglesia de Belén
© Antigoni Chrysostomou

Die nächtlichen Straßen sind leer. Ich laufe, als kennte ich genau den Weg, wie immer in dunklen Gassen in fremden Städten. Ich laufe runter zur Straße, die als Einbahnstraße ins Zentrum hineinführt, in der Hoffnung ein Taxi zu finden. Unterwegs beäuge ich genau die Restaurant- oder Bar Eingänge auf der Suche nach dem ultimativen atmosphärischen Lokal. Ich werde fündig. Ein Blick durch den Eingang zeigt eine bunt dekorierte Bar, die auch Essen serviert. Es ist keiner drin. Ich bespreche meine Essenswünsche mit dem charmanten jungen venezolanischen Kellner. Er versucht mir die Zutaten von Lomo Saltado zu erklären. Schließlich läuft er in die Küche und bringt mir einen Teller zur Anschauung mit. Aha, das bestelle ich doch glatt. Feine Rindfleischstreifen mit Gemüse in der Pfanne geschmort. Das Essen hat eine sehr gute Qualität. Im Lokal läuft fröhliche peruanische Musik. Der Kellner, der auf den Namen Nihad hört, ein Name türkischen Ursprungs wie er mir sagt, lebt seit acht Monaten in Perú. Er singt bei den Liedern mit, er hat eine sehr schöne Stimme. Wir sprechen über venezolanische Migranten und auch über die Seelenverwandtschaft der Los Mediterráneos und Los Latinos.

Der Karneval hat begonnen
© Antigoni Chrysostomou

Er versteht sich sehr gut mit dem Besitzer des Lokals, einen freundlichen und zuvorkommenden jungen Mann. Dieser hat sich auch ein Essen servieren lassen. Er trinkt dazu einen Pisko Sour, mit weniger Zucker als sonst. Er erzählt mir, dass ein Teil seiner Familie an der Küste lebt und ein Teil in den Bergen. Die an der Küste brennen selbst Pisko für den Eigenbedarf und einmal im Jahr kommt die Familie zur Abfüllung und zum Feiern zusammen. Die speziellen Trauben dafür kaufen sie ein. Sie müssen richtig süß sein. Er selbst hat Marketing studiert und betreibt außer der Bar noch ein Restaurant gleich an der Plaza der Armas. Ein modernes Konzept mit gesunden vegetarischen Gerichten aus regionalen Zutaten. Ich frage nach. Ja, es passt auch eine Gruppe von 30 Leuten ins Lokal und bei Bestellung macht er auch Menüs mit Fleischgerichten. Seine Details kriegen Peko und Oskar. Bei der nächsten Zeitreise empfehle ich Lomo Saltado im Lokal Perú al Paso Healthy Food in Cajamarca.

Die ganze Straße tanzt mit
© Antigoni Chrysostomou

Es ist Anfang der Karnevalsaison. Ein Karnevalszug bestehend aus vielen Tanzgruppen nähert sich dem Plaza de Armas. Hier heißen die Tanzgruppen Comparsas. Verschiedene Barrios, also Stadtteile, konkurrieren miteinander um die schönsten Kostüme und die höchste Freude, die sie ausstrahlen, la Alegría! Unser Hotel ist direkt an der Plaza de Armas. Ich laufe hoch zu meinem Zimmer. Es hat ein Fenster zur Straße. Ich öffne das Fenster und schnappe meine Kamera. Auf der Straße tanzen und singen die Menschen und manchmal winken sie mir auch zu.

Wettbewerb der Kostüme
© Antigoni Chrysostomou

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 39: 2. Februar 2020

Von Cajamarca bis Trujillo

»Glücklich der Reisende, der sich schmeicheln darf, die Vorteile seiner
Lage benutzt und die Masse unserer Kenntnisse mit einigen neuen Wahrheiten vermehrt zu haben.«

Alexander von Humboldt

Wir verlassen Cajamarca und fahren in Richtung Trujillo. Der Bus schlängelt sich mühsam zum letzten Mal die Serpentinen der Anden in Peru hinauf, bevor wir die Kette der Vulkane verlassen und uns dem Pazifik nähern.

Die Anden südlich von Cajamarca
©Antigoni Chrysostomou

Unterwegs liest uns Peko aus einem Originaltext von Humboldt vor, und zwar zu einem Bergbaugebiet nördlich von Cajamarca, den Silberminen von Hualgayoc. Humboldt hatte diese 1802 besucht und auf dem Hintergrund seines Bergbaustudiums eingeordnet. Er sah den Abbau am Silberbergwerk kritisch, benannte die unprofessionelle Herangehensweise als Raubbau. Dort wurden keine gesicherten Stollen genutzt, sondern Treppenschächte, Firste abgerissen oder gar nicht erst eingesetzt. Zurück geblieben war ein versplittertes Schürfgelände. Gleichwohl wurden in den 29 Jahren vor Humboldts Besuch 510 Tonnen Silber abgebaut.

Leider ist es unserer Gruppe nicht möglich, die Mine wie geplant vor Ort zu sehen und darüber mit einem Bergbauspezialisten zu sprechen. Heftige Regenfälle haben Erdrutsche auf dem entsprechenden Straßenabschnitt ausgelöst und uns zu einer Routenänderung gezwungen. Gerade die vor Ort gewonnenen Eindrücke haben uns bisher plastisch vermittelt, mit welcher Aktualität und Kenntnis Humboldt sich zu verschiedenen Themen geäußert hat.

Das Jequetepeque Tal
©Antigoni Chrysostomou
Unsere Busfahrer
©Antigoni Chrysostomou

Auf dem Weg nach Trujillo passieren wir ein großes Bewässerungsprojekt mit einem Stausee des Flusses Jequetepeque, welches das Gebiet zwischen Chiclayo und Trujillo bewässert.

Der Staudamm Gallito Ciego
©Antigoni Chrysostomou
Der Stausee Gallito Ciego
©Antigoni Chrysostomou

Durch die Bewässerung profitiert auch der Reis, der hier vielfach angebaut wird. Später sehen über längere Zeit eine karge Wüstenlandschaft, gefolgt von Zuckerrohrfeldern und kurz vor der Stadt unzählige Hühnerfarmen und auch arme Wohngebiete.

Reisfelder auf dem Weg nach Trujillo
©Antigoni Chrysostomou
Stopp zum Mittagessen in Catamarán bei Trujillo
©Antigoni Chrysostomou

Und dann zeigt sich kurz rechts der Pazifik zum ersten Mal. Morgen wollen wir ihn so richtig genießen. Humboldt schrieb: „Man glaubt einen alten Freund zu sehen, beim Anblick des Meeres, das Herz öffnet sich…“

Mich haben an diesem Tag besonders die Ausblicke auf die Schluchten der Anden fasziniert. Die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort machen mich nachdenklich.

Jutta Wilhelmi-Heimsath, ZEIT-Reisende

Tag 40: 3. Februar 2020

Trujillo – Mondpyramide – Chan Chan

»Auf dem Weg von Trujillo nach Santa und von Chimbote nach Chasma haben wir Denkmäler der großartigen Zivilisation (der Chimú) gesehen, in der die Untertanen des Königs Chimu-Canchu lebten.«

Alexander von Humboldt

Am Morgen besuchen wir die Mondpyramide. Die seit 1990 durchgeführten Ausgrabungen belegen, dass sie während der Moche Kultur in sechs Bauphasen und über einen Zeitraum von 600 Jahren errichtet wurde. Man sieht verschiedene Plattformen, die aus quadratischen an einander gefügten Säulen bestehen, die wiederum aus vielen Tausenden Lehmziegeln zusammengesetzt sind. Die Pyramide hat eine Länge von 290 m, Breite von 210 m und ist ungefähr 32 m hoch. Sie besteht aus drei architektonischen Komponenten. Die erste Plattform wurde Stufenpyramide über mehrere Jahrhunderte angelegt. In den Räumen sind sehr gut erhaltene Reliefs, die bei der vielfachen Überbauung mehrmals übermalt worden sind. Die dritte Überbauung wird aufgrund von gefundener Keramik auf die mittlere Moche Zeit vom 3. Jahrhundert nach Christi datiert. Wir sehen Schichten mit Schachbrettmustern, Reliefs eines Göttergesichts mit Reißzähnen, des Aja Paec, und Wellen umrahmt von einem Band, das aus stark stilisierten Fischen besteht.

Unser Peruanischer Reiseführer Oscar
© Antigoni Chrysostomou
Bauschichten in der Mondpyramide
© Antigoni Chrysostomou
Der blutrünstige Sonnengott Aya Paec
© Antigoni Chrysostomou

Weiter geht es nach Trujillo. Schneller Besuch des historischen Zentrums. Wiederbegegnung mit dem Kolonialstil und Besuch zweier Herrschaftshäuser, unter anderem eines Hauses, wo Simon Bolivar wohnte, das heute in Besitz der Nationalbank ist und diese herbergt. Ganz bezeichnend am Hauptplatz verschiedene Gebäude in starken bunten Farben, darunter die in gelb hervorstechende Kathedrale und das blaue Gebäude des Bischofssitzes.

Kirche am Hauptplatz von Trujillo
© Antigoni Chrysostomou

Nachmittags erleben wir ein besonderes Highlight bei dem Durchstreifen des großen Geländes von Chan Chan. Chan Chan heißt so viel wie „Sonne Sonne“ und ist eine große Zitadelle der Chimú. Es ist die größte Lehmziegelstadt der Welt mit rechteckigem Grundriss, 9 m hohen Mauern und umfasste einst 20 Quadratkilometer. Die Chimú haben hier 50 Jahre geherrscht bis zu ihrer Eroberung durch die Inkas im Jahre 1472. Sie kontrollierten die Handelsrouten, unter anderem den Zugang zu den Coca Blättern. Durch den Bau der Panamericana, durch Wind- und Regenerosionen, sowie Grabplünderungen haben die ehemaligen Wohn- und Arbeitsviertel viel gelitten. Allerdings können die Räumlichkeiten wie Lagerstätten, Wohnbereiche und sogar Audienzzimmer heute noch sehr beeindrucken.

Außenanlagen in Chan Chan
© Antigoni Chrysostomou
Areal in Chan Chan
© Antigoni Chrysostomou
Komplexe Zimmerstrukturen in Chan Chan
© Antigoni Chrysostomou

Abends genießen wir einen spannenden Vortrag über Humboldt Briefmarken aus der ganzen Welt, mitreißend vorgetragen von Peko. Den krönenden Abschluss des ereignisreichen Tages bildete die Geburtstagsfeier eines unserer drei Günthers.

Steffi Heussi, ZEIT-Reisende

Tag 41: 4. Februar 2020

Von Trujillo bis zur Barranca Gegend

»Ideen können nur nutzen, wenn sie in vielen Köpfen lebendig werden.«

Alexander von Humboldt

8:00 Start früher als sonst, weil wir eine lange Fahrstrecke vor uns haben. Nach einer Fahrtzeit von etwa drei Stunden die berühmte technische Pause, laut Oscar, in Chimbote, das Zentrum der peruanischen Fischindustrie schlechthin. Um 300 Fischtrawler liegen in der großen Bucht, jedes Fangschiff fängt bis zu 300t Anchovis, die dann durch Kochen und Zentrifugieren zu Fischöl (Omega-3 und -6 Fettsäuren) und zu Fischmehl verarbeitet werden.

Fischtrawler in Chimbote
© Antigoni Chrysostomou
Wüstenlandschaft am Pazifik
© Antigoni Chrysostomou

Weiterfahrt zu einem spektakulären Ort, gelegen am Pazifik „Las Aldas Hotel“, wo wir unsere Lunch Box auf der Terrasse, direkt an Klippen gelegen, verspeisen dürfen. Ebenso können Badesüchtige sich dort Handtücher ausleihen und duschen, oder aber andere Süchtige auf den Las Aldas Tempel hinaufsteigen, was außer Steffi, ansatzweise, kein anderer bei der Hitze macht. Dafür wird ein Gang zum Muscheln- oder Steinesuchen genutzt, bei gutem Wind und Meeresrauschen sehr erfrischend.

Die Panamericana
© Antigoni Chrysostomou

Unsere Fahrt führt uns entlang der Panamericana und der Pazifikküste durch eine beeindruckende Wüstenlandschaft, die überraschenderweise häufig durch „kultivierte“ Felder, bepflanzt mit Spargel, Zuckerrohr, Maracuja oder Ähnliches ist. Ebenso oft ist sie mit riesigen Hühnerfarmen bebaut.

Lunch Stop in Las Aldas
© Antigoni Chrysostomou
Noch mehr Wüste
© Antigoni Chrysostomou

Da wir unsere Unterkunft, die „Empedrada Lodge“ nicht wie gedacht, mit einer Fahrt durch eine sonst trockene Flussfurt anfahren können – der Fluss führt aufgrund starker Regenfälle in den Anden zu viel Wasser – müssen wir mit Hilfe des Lodge Managers eine uns endlos erscheinende, sehr schwierige andere Anfahrt bewältigen, in erster Linie natürlich der Bus und die Fahrer. Es geht in die Dunkelheit durch die Steinwüste in die Berge. Wir malen uns aus, wie wohl eine Reifenpanne oder Ähnliches sich auswirken würde! Schließlich landen wir nach einer anstrengenden, riskanten Fahrt in einer wunderschönen Lodge, überraschend grünt und blüht es allenthalben. Wir haben unser Dinner auf der Terrasse mit Blick ins Tal, was wir aber erst am nächsten Morgen beim Frühstück realisieren können.

Gudrun Ubben-Hansen, ZEIT-Reisende

Tag 42: 5. Februar 2020

Barranca – Vichama - Lima

»Ich genieße alles dankbar, was von außen kommt, aber ich hänge an nichts.«

Alexander von Humboldt

Früh aufstehen ist heute angesagt, sechs Stunden Fahrt nach Lima stehen bevor. Unsere Koffer werden mit kleinen Fahrzeugen zum etwas weiter entfernten Bus gebracht, von wo es dann auf holpriger Straße zu einem unserer nächsten Ausgrabungsziele geht.

Gepäckaufladen am frühen Morgen
© Burkhard Mücke

Eigentlich hätte es nach Caral gehen sollen, der ältesten bekannten Stadtsiedlung auf dem amerikanischen Kontinent. Die Siedlung liegt 182 km nördlich von Lima und 25 km landeinwärts der Pazifikküste im Tal des Río Supe. 620 ha groß ist das historische Siedlungsgebiet von Caral. Das Alter des archäologisch erforschten Carals und seiner Kultur wurde anhand von Schilf- und Baumwollnetzen mit der Radiokohlenstoffmethode auf ca. 5000 Jahre datiert und gehört somit zum Präkeramikum IV-VI des Andenraums. Seit Juni 2009 ist Caral-Supe Teil des UNESCO-Welterbes. Der Río Supe ist aber leider in der Nähe unseres Hotels überschwemmt und so werden wir nicht nach Caral fahren können, dafür sehen wir Vichama.

Ausgrabungen in Vichama
© Antigoni Chrysostomou

In Vichama begegnen wir Alexander, einem jungen engagierten Archäologen, der uns durch das große Gelände der Ausgrabungen führt. Die Vichama Anlage besteht aus mehreren Pyramiden, aus eingesunkenen Zeremonienplätzen, Amphitheater und Tempel. Die Vichama Kultur erreichte ihren Höhenpunkt etwa 1000 Jahre nach dem Untergang der Coral Kultur. Für die Ausgrabungen zeichnet die bedeutende peruanische Archäologin Ruth Shady verantwortlich.

Der junge Archäologe Alexander in Vichama
© Burkhard Mücke

Außergewöhnlich an den Funden in den Pyramiden sind die in Stein gemeißelten Figuren. Manche Figuren sind mit sichtbaren Rippen dargestellt, andere mit leeren Mägen. Ein Zeichen für Hunger. Die Vichama hatten eigentlich genug zu essen. Das war eine sogenannte Fischerei-Agrar-Kultur. Man findet Muschelreste im Boden. Deshalb wurde eine archäologische Hypothese entwickelt: Die Vichama visualisieren mit den Figuren eine Erinnerung aus ihrem kollektiven Gedächtnis an eine vor ihnen untergegangene Kultur. Es könnte die Coral Kultur gemeint sein, die nur wenige Kilometer entfernt früher geblüht hat. Die Vichama kannten keine Schriftzeichen. Weitere Funde belegen allerdings, dass sie in der Entwicklung von Musik fortgeschritten waren. Man findet Hinweise auf Flöten.

Reliefs in Vichama
© Antigoni Chrysostomou

Nach dem Mittagessen geht es weiter nach Lima, wo uns noch ein kleiner Spaziergang am Pazifikstrand gegönnt ist. Humboldt verbrachte zwei Monate in Lima, wir sind hier nur zwei Tage. Gleich nach dem Einchecken kann, wer will, runter zum Meeresstrand. Abends in Lima, Auftakt zu einem neuen Kapitel unserer Humboldt-Expedition.

Die Promenade von Lima
© Burkhard Mücke
Kätzchen zur Begrüßung
© Burkhard Mücke
Abendgymnastik am Strand in Lima
© Burkhard Mücke

Burkhard Mücke und Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 43: 6. Februar 2020

Lima

»Ein Menschenleben geht so rasch dahin, und man will doch gern etwas leisten, was nach einem fortdauert.«

Alexander von Humboldt

Heute mal trotz vorgegebenen Gemeinschaftsprogramms eine selbstgewählte Individualaktivität; insbesondere für häufige Zeitreisende. Wir zwei sind schon oft an Orten der Weltgeschichte unterwegs gewesen und wollen jetzt nicht zum x-ten Mal Kirchen, Plätze, Denkmäler und Bauruinen bewundern. Ein weiterer Genuss für uns ist die Möglichkeit der Auswahl eigenen Essens außerhalb gemeinschaftlicher Termine in vorgesehenen Lokalen und den damit verbundenen Einschränkungen, beispielsweise Platzenge oder häufige Wiederholung der Speisen.

Plaza de Armas – Limas Historisches Zentrum
Plaza de Armas – Limas Historisches Zentrum
© Antigoni Chrysostomou

Selbst am hochgepriesenen Miraflores Strand lässt sich nichts Einzigartiges erleben, das jetzt zu berichten wäre. Spazierengehendes Faulenzen gehört heute zu unserem Walking-Tour-Programm.
Bei allem Verständnis für gemeinschaftliche Kulturerlebnisse wäre eine Grundakzeptanz für selbstverständliche Liberalität begrüßenswert.

Karnevalszeit
© Antigoni Chrysostomou

Fazit der Schwulen-Lesben-Plakate-Ausstellung im Callao Park: Es gibt nichts Wichtigeres als dass sich Kinder – egal welcher sexueller Orientierung – und ihre Eltern sich ihrer Liebe für einander versichern und dieses Für-Einander-Sein das solide Fundament unseres friedlichen Zusammenlebens bleibt.

In diesem Park haben die weltbesten Graffiti Künstler zahlreiche Gebäude rund ums Casa Ronald ein Meisterwerk von 1920 verschönert. Heute ist dieser spezielle Stadtteil ein Zentrum für Kreativität. Dies zeigt sich in Ateliers und Galerien, deren Inhaber sich auch häufig in der Umgebung um Aktivitäten, Ausstellungen oder Führungen kümmern. An Wochenenden finden auf der Dachterrasse eines Restaurants Partys mit DJ-Musik oder Salsa-Konzerte statt. Selbst Modeschöpfer nutzen die farbenfrohen spanischen Fliesenböden oftmals als Laufsteg für Laien und Profis.
Gewarnt werden Touristen allerdings vor einigen Ecken. Selbst bei Tageslicht sei es gefährlich, weil „Spezialisten“ in den Handtaschen Gold vermuten und oftmals fündig werden.

Historische Hausarchitektur
© Antigoni Chrysostomou
Tanz der Comparsas, der Karnevalsgruppen
© Antigoni Chrysostomou

Auch wenn wir zwei, Thomas und Jürgen, den Callao Treffpunkt der Gruppe verpasst haben, so muss hier protokollarisch der Stadtteil Callao erwähnt werden, weil schon Spanier von diesem Hafen aus Gold verschifft und damit weltweite Geschäfte begonnen haben.

Pazifikwellen am Strand von Lima
© Antigoni Chrysostomou

Thomas Birkelbach und Jürgen Perlich, ZEIT-Reisende

Tag 44: 7. Februar 2020

Von Lima nach Mexiko City

»Was das Fertigwerden betrifft – ach! Mein Freund, man wird nie fertig.«

Alexander von Humboldt

Wenn Flugreisen von Peru nach Mexiko auch keinen Vergleich mit Humboldts Reisen aushalten, so sind es immer noch Tagereisen, wenn man von Hotel zu Hotel rechnet und vermeiden möchte, im Berufsverkehr von Lima festzustecken. Von besonderen Vorkommnissen ist im konkreten Fall nichts zu berichten – der Flug mit Avianca war angenehm und zuverlässig. Immerhin gab der sechsstündige Aufenthalt an Bord Gelegenheit, die Gedanken über die letzten Reisewochen schweifen zu lassen. Dabei ergaben sich Hinweise auf Indikatoren zur Annäherung an eine Bestimmung des in Frage stehenden Reisetyps:
Man erkennt, dass es sich um eine epochale Humboldt-Zeitreise handelt, wenn:

Humboldt Statue in Mexiko City
© Antigoni Chrysostomou
  •  tropische Früchte jeden Morgen zum Frühstück gehören,
  • Fruchtsäfte immer frisch gepresst sind,
  • das Besichtigungsprogramm früher anfängt als man zuhause aufsteht
  • Sonnenhut und ein Nackenkissen zur Garderobe gehören,
Mangos im Überfluß
© Antigoni Chrysostomou
  • die Tagestemperaturen sich zwischen alpin und tropisch (10°C bis 30°C) bewegen,
  • ein Sonnenschutzfaktor von mindestens 60 ein Muss ist,
  • sowohl Flipflops als auch Wanderstiefel angesagt sind,
  • das Tagesprogramm durch 3-Gang Menus strukturiert wird,
Feines Garnelen Ceviche in der Hacienda Calibio
© Antigoni Chrysostomou
  • man gelegentlich mit landestypischen Getränken als Sundowner aufgeheitert wird,
  • das Tagesprogramm später aufhört als man zuhause ins Bett geht,
  • frau ein Schild unter dem Bett findet „Yes, we do clean under the beds!“ (Hacienda Chorlavi, Ibarra),
  • der beste Reiseleiter von allen die Regie führt (frei nach Kishon)
Peko in Aktion
© Antigoni Chrysostomou
  • im Bus ein wöchentliches Sitzrotationsprinzip herrscht,
  • Massage und Gymnastik durch energisches Busschaukeln ersetzt werden,
  • Straßen den Kurven der Landschaften folgen (Brücken und Tunnel sind selten),
  • die Zeitplanung fast nie eingehalten werden kann,
  • Schwindel mit der Höhe zu tun hat,
  • die Sonnentage (in der Regenzeit) überwiegen,
Obst gibt’s an jeder Eckeybr /> © Antigoni Chrysostomou
  • lokale Berühmtheiten (in Bronze) allgegenwärtig sind,
  • das Auftauchen von verloren gegangenem Gepäck feuchtfröhlich gefeiert wird,
  • ein Treffen mit dem jeweiligen Botschafter regelmäßig vereinbart ist,
  • der Trinkwasserkonsum der Teilnehmer konkurrenzlose Höhen erreicht,
Zeit für einen Pisko Sour
© Antigoni Chrysostomou
  • Toilettenpapier nirgendwo ins Klo gehört,
  • man sich nach 6 Wochen urlaubsreif fühlt,
  • man nur noch die letzten 14 Tage rückwärts zählen kann
  • das Bergfest der Reise im tiefen Tal stattfindet.

Christine Bell, ZEIT-Reisende mit Anregungen von Mitreisenden

Tag 45: 8. Februar 2020

Mexico-Stadt

»Die peruanische Theokratie war wohl weniger drückend als die Herrschaft der mexikanischen Könige; doch die eine wie die andere haben dazu beigetragen, den Monumenten, dem Kultus und der Mythologie zweier Bergvölker jenen trüben, dunklen Charakter zu verleihen, der im Gegensatz zu den Künsten und den süßen Fiktionen der Völker Griechenlands steht.«

Alexander von Humboldt

Wie habe ich mir Mexiko City vorgestellt? Was für Bilder entstehen im Kopf, wenn man in unserer heutigen Zeit an einen 20 Millionen Moloch denkt und von Armut, Slums, Müll und Smog weiß? Ja, der Kolonialismus und die Azteken. Einige große Tatsachen, die in der Gehirnregion abgespeichert sind, die Allgemeinbildung heißt. Erst vor Ort habe ich begriffen, dass Mexikostadt ebenfalls einen riesigen Zentralplatz im Kolonialstil und ein dazu gehöriges historisches Zentrum besitzt. Das ist aber noch nicht alles. Die Kolonialbauten wurden genau dort errichtet, wo sich einst das Zentrum der aztekischen Stadt Tenochtitlan befand. Und diese Aztekenstadt wurde auf einer Insel erbaut. Mexikostadt war früher eine Insel. Von einem Taxifahrer erfahre ich, dass viele der großen Straßen, der Avenidas, deshalb Avenida „Río X“ heißen, weil sie früher Flüsse waren.

Mexiko-Stadt war mal eine Insel
© Antigoni Chrysostomou

Die Stadt ist voller Leben. Sie ist groß und vielfältig. Sie ist mein New York City Mexikos. Moderne Viertel mit der für viele Banken und Firmen typische Stahl und Glas Architektur wechseln sich ab mit historischen Bauten, viele Parks, große Museen. Wohn- und Einkaufsviertel mit gepflegten Fassaden. An mancher Ecke spielen auch Musiker. Und dann laufen noch diese fünfzehnjährigen Mädchen in nach Hochzeitskleid anmutenden und manchmal sogar roten Spitzengewändern durch die Straßen, der Fotograf und die Freundinnen hinterher. Quinze Años, der fünfzehnte Geburtstag, wird in Mexiko wie auch in ganz Lateinamerika groß gefeiert.

Zócalo, der Hauptplatz in Mexico-Stadt
© Antigoni Chrysostomou

Heute gilt es, viel aufzunehmen. Morgens fangen wir mit dem Zentrum an und kommen bis zu den Azteken Ruinen. In einer zentralen Straße hat Humboldt gewohnt. Ein durch einen Baum halb verdecktes Schild zeugt davon. Wo es überall auf der Welt Humboldt Plaketten auf Häusern gibt! Unglaublich. Auf dem Hauptplatz tut sich einiges.

Warten auf milde Gaben
© Antigoni Chrysostomou

Da ist die tägliche Demonstration vor dem Präsidentenpalast, da sind die riesigen Mosaikbilder auf dem großen Platz, gelegt mit viel Liebe zum Detail aus Maiskörner unterschiedlicher Farben, da sind die Armen, die vor der Kathedrale auf die tägliche Verteilung von Essensrationen warten. Da sind auch die indigenen Gruppen, die Tänze vorführen und uns wie ein Magnet anziehen. Da sind wir gerade mal nicht folgsam, sondern wollen erst gerne fotografieren.

Alte Insignien getragen mit Stolz
© Antigoni Chrysostomou

Wir gehen weiter durch die Stadt und da kommen wir auch an einigen Universitätsgebäuden vorbei. In einem davon hat Humboldt auch gelehrt. Im Eingang eines anderen sehe ich mich vor einer kuriosen Szene; haben Sie je in Ihrem Leben gesehen, wie ein Meteorit mit Seife geputzt und poliert wird? Es stehen gleich zwei oder drei Meteoriten dort. Eine Gruppe von Studenten der Ingenieurswissenschaften kümmert sich darum. Sie tun das mindestens einmal im Monat, ich habe sie gefragt. Sie entfernen damit regelmäßig die Oxidschicht, die sich auf der metallischen Oberfläche bildet.

Studenten putzen Meteoriten
© Antigoni Chrysostomou

Am Nachmittag steht das anthropologische Museum auf dem Plan. Das ist ja nicht nur ein Museum, das sind gleich mehrere. Ich will bestimmt nochmal nach Mexico-Stadt kommen und drei Tage hier verbringen. Naja, vielleicht doch nur zwei. Da stehe ich auf einmal vor dem berühmten Stein der Sonne der Azteken.

Der Stein der Sonne der Azteken
© Antigoni Chrysostomou

Es ist alles überwältigend. Gerade hatte ich einige der alten Kulturen Perús kennengelernt und es geht hier nur so weiter. Die Azteken, die Oaxaca Kulturen, die Mayas. Ich laufe zügig durch einige Hallen, um nur einen kleinen Eindruck zu bekommen. Ich mache Bilder. Nicht zu viele. In meinem Kopf geht der Gedanke herum, ich kann doch nicht das ganze Museum abfotografieren. Später werde ich über die wenigen Bilder froh sein. Die Zeit der Steine. Die Zeit der Tonfiguren und Tongefäße. Die Zeit der Zeichnungen auf den Tongefäßen. Die Kodierung der Kulturereignisse. Kaum begreiflich, dass fast alle Kulturen durch ähnliche Stadien gegangen sind. So viel Schönheit aus früheren Zeiten liegt still in heiligen Museumshallen verborgen, während wir uns durch unseren technisierten Alltag bewegen. Ich lebe dennoch lieber heute als damals. Wenn ich nicht ausgerechnet Sonnenpriesterin gewesen wäre, wäre ich beileibe nicht privilegiert und im Wohlstand lebend wie heute. Trotzdem hoffe ich, dass es Funde aus der heutigen Zeit geben wird, die zukünftige Generationen einmal werden auch als schön bezeichnen können.

Detail aus der Museumshalle der Mayas
© Antigoni Chrysostomou

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 46: 9. Februar 2020

Mexiko Stadt – Mineral del Chico – Mexiko-Stadt

»Die Indianer verminderten sich durch Grausamkeiten, die man bis ins 17te Jahrhundert gegen sie ausübte, Minen von Mariquitá und S[anta] Ana, nach denen man sie schleppte, Pocken, Gebrauch als Lastvieh und im Allgemeinen, weil eine schlechte Regierung immer am schwersten die ärmste, hilfloseste Menschenklasse bedrückt.«

Alexander von Humboldt

Am 46. Tag der Reise stehen geologische und Bergbauinteressen Humboldts im Vordergrund und ein Besuch des Geoparks Comarca Minera im Bundesstaat Hidalgo auf dem Programm. Etwa anderthalb Stunden dauert die Anfahrt von Mexico City zu einer etwa fünf km langen Schlucht, die heute Teil eines populären Vergnügungsparks ist. Man sieht auf eine spektakuläre Wand von pentagonalen und hexagonalen 30–40 m langen Basaltsäulen, wie sie durch plötzliche Abkühlung von Lava entstehen. Im Querschnitt ist ein runder Kern erkennbar, um den sich ein dunkelfarbiger Mantel legt.

Basaltklippen von Huasca de Opampo
© Günther Biste
Basaltklippenformen – Fünf- oder Sechsecke
© Günther Biste

Solche ausgedehnten Formationen, die sich hier nicht nur in vertikalen, sondern auch teils in waagerechten Säulen präsentieren, finden sich auch andernorts, so am Oberlauf des Columbia River (Washington State), sind aber hier für Besucher leicht zugänglich gemacht. Humboldt zeigte sich bei seinem Besuch 1803 sehr beeindruckt und zeichnete die Basaltsäulen. Zum Humboldt-Jahr hat die deutsche Botschaft in Mexiko einen kleinen Aufkleber mit Eindruck davon produziert.

Kamine der Bergbauanlage
© Günther Biste

Von besonderem Interesse ist eine auf der Sohle der Schlucht liegende Hacienda Santa Maria Regla, die aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts stammt, von Pedro Romero de Terreros gebaut wurde und an ein Kloster erinnernde Bauformen aufweist. Sie wurde von vornherein als Silbermine konzipiert. Daher wurden Schmelzöfen und andere notwendige Bauten hinzugefügt, so etwa Quartiere, eher Gefängnisse für die meist indigenen Arbeiter, aber auch Gefangene. Die Anlage ist heute zum Hotel umgebaut. Als romantische Zutat dienen die historischen Ruinen, sodass das Schwimmbecken etwa da liegt, wo früher das flüssige Silber in Barrenform abgekühlt wurde. Das Silber wurde übrigens aus dem Erz mittels (importiertem) Quecksilber ausgezogen. Diese höchst gesundheitsgefährdende Tätigkeit wurde von den wie Sklaven gehaltenen und von der Außenwelt sorgfältig abgeschotteten Arbeitern geleistet. Humboldt hat sich in seinen Tagebüchern verschiedentlich schonungslos über die damaligen Praktiken geäußert. Bemerkenswert ist noch die nur notdürftig instandgesetzte Kirche der Namenspatronin der Hacienda, die insofern zumindest unsachgemäßen Restaurierungsbemühungen entgangen ist; heute wird sie für Hochzeiten und ähnliche Veranstaltungen genutzt.

Kirche in der Bergbauanlage
© Günther Biste

Die Anlage erinnert an eine literarische Darstellung des Abenteuerschriftstellers Karl May, die in Form zweier Romane publiziert wurde – einmal im Rahmen von Deutsche Herzen, deutsche Helden und später in veränderter Form in Satan und Ischariot, wo auf einer einsam gelegenen Hacienda eine (Queck-)Silbermine betrieben wird, worin unter falschen Vorspiegelungen angelockte deutsche Auswanderer als Sklavenarbeiter ausgebeutet werden.
Am Abend des Tages findet ein Festessen auf dem 1956 erbauten, stark an das Empire State Building erinnernden 44stöckigen Lateinamerika-Turm statt. Von da aus eröffnet sich eine prächtige Sicht auf die ganze Stadt. Einige Mitreisende zieht es in die Oper, deren ungewöhnlichstes Bauteil der gläserne Vorhang, ein Geschenk von Tiffany, darstellt.

Vorhang in der Oper von Mexiko Stadt mit den Vulkanen Popokatépetl und Iztaccíhuatl
© Antigoni Chrysostomou
Mexikanisches Folklore Ballett in Mexiko Stadt
© Antigoni Chrysostomou

Hartmut Walravens, ZEIT-Reisender

Tag 47: 10. Februar 2020

Mexico City – Teotihuacán - Querétaro

»Ich habe bei den sogenannten „wilden“ Völkern die erhabensten Begriffe von Gott, Tugend, Freundschaft in den Anfängen ihrer Sprache gefunden, in deren tiefe Wahrheit mich hineinzudenken mir nur gelang, wenn ich mich ganz von europäischen Anschauungen, zumal von Äußerlichkeiten, im Geiste losmachte.«

Alexander von Humboldt

Ein herrlicher Tag mit viel Sonnenschein beginnt. Wir verlassen heute Mexico-City, aber vorher nehmen wir noch einen wichtigen Termin wahr. Wir sehen im 5. Land unserer gemeinsamen Humboldt-Reise den fünften deutschen Botschafter. Die ersten 4 Botschafter trafen wir in den Hauptstädten Havanna, Bogotá, Quito und Lima abends anlässlich eines festlichen Dinners. In Mexico-City jedoch wurden wir von Botschafter Peter Tempel in seine gut gesicherte Residenz eingeladen. Wegen der Sicherheitsbedingungen müssen wir jedoch auf Fotoapparate und Mobiltelefone verzichten. Ein spannender Vortrag von Herrn Tempel wird anschließend ergänzt durch seine ausführliche Beantwortung der Fragen einiger Gruppenteilnehmer. Es ist zu erfahren, dass die deutsche Botschaft in Mexiko mit rund 80 Personen relativ umfangreiches Personal hat, was zum einen der Bedeutung des Landes geschuldet ist und zum anderen der Tatsache, dass allein 27 der 30 deutschen DAX-Firmen entweder Produktionsstätten oder große Niederlassungen in Mexiko haben. Für deren Unterstützung in vielen Belangen ist die Wirtschaftsabteilung, besetzt mit 10 Personen zuständig.

Teotihuacán
© Antigoni Chrysostomou

Nach rund 90 Minuten geht unsere Reise weiter und wir sind dankbar dafür, dass alle Botschafter ihre Zeit geopfert hatten und sich offensichtlich auch über unser großes Interesse freuten, und darüber, dass wir die Ideen Alexander von Humboldts weiter in die Welt hinaustragen.

Die Route sieht heute eine längere Fahrt bis Querétaro vor. Viele von uns wären gerne noch länger in Mexiko-City geblieben, denn um die spannende Stadt richtig kennenzulernen, hätte es mindestens eine gute Woche gebraucht. Aber wir haben leider nicht so viel Zeit wie Alexander von Humboldt.

Ein Aspekt des Umweltschutzes ist im Zusammenhang mit Mexiko-City noch erwähnenswert. Da die Stadt auf einer Hochebene bei ca. 2.300 m Höhe liegt, ist die Umweltbelastung sehr hoch. Einer Studie zufolge werden durch den Autoverkehr täglich 32 t belastende Stoffe in die Luft verbracht, was auch schon zu erkennbaren Gesundheitsschäden bei der Bevölkerung geführt hat. Das hat die Stadtverwaltung veranlasst, eine Verordnung zu erlassen, nach der alle in der Stadt registrierten Autos einen Tag in der Woche nicht bewegt werden dürfen. Eine relativ strenge Kontrolle hat auch schon zu Verbesserungen geführt.

Die Mondpyramide
© Antigoni Chrysostomou
Die Sonnenpyramide
© Antigoni Chrysostomou

Auf dem Wege nach Querétaro erreichen wir nach einer Stunde die Ruinenstadt Teotihuacán, die mit einer immensen Ausdehnung und einer Vielzahl von gut erhaltenen bzw. restaurierten Pyramiden zum Weltkulturerbe zählt. In der Blütezeit von 250 bis 650 n.Chr. haben hier geschätzt bis zu 125.000 Teotihuacanos gelebt, wobei die überwiegende Anzahl außerhalb der Stadtgrenzen lebte. Nur die Elite, d.h. Priester, Adel, führende Krieger und reiche Händler hatten ein Wohnrecht innerhalb der Stadtgrenzen. Zwischen 750 und 780 n.Chr. wurde die Stadt aufgegeben. Mangels Aufzeichnungen ist dafür kein Grund erkennbar; aber es gibt Vermutungen, dass es an einer Hungersnot, hervorgerufen durch Klimakatastrophen, gelegen haben könnte.

Aus dem Bus – Einfahrt in die Stadt Querétaro
© Antigoni Chrysostomou

Etwas erschöpft vom Besteigen der Mondpyramide und etwas später der Sonnenpyramide bei 24 Grad geht es zum Mittagessen in der Nähe. Anschließend klettern wir mit neuen Kräften in den Bus. Wir fahren bei einem Geschwindigkeitslimit von 90km/h bis maximal 110km/h in nordwestlicher Richtung auf der Autobahn nach Querétaro. Dabei wechseln sich die trockene Steppenlandschaft mit vereinzelten Bäumen und Kakteen bei Wasservorkommen mit gut bestellten Ackerflächen und vereinzelten Viehherden ab. Ein hügeliges, aber auch ein weites Land – fünfeinhalbmal größer als Deutschland. Ein von uns durchquerter großer fruchtbarer Landstrich wird von den Mexikanern „Brotkörbchen“ genannt, weil dort Mais, Hafer und Weizen angebaut werden; wichtige Bestandteile der Nahrungskette für das tägliche Leben.

Schuhputzen am Hauptplatz von Querétaro
© Antigoni Chrysostomou

Am frühen Abend kommen wir in der Welterbe-Stadt Querétaro an, die schon Humboldt als „wunderschön“ bezeichnet hat. Bei einem Spaziergang zum abendlichen Dinner durch die verträumten Gassen können wir ihm nur beipflichten. Der Abend endet bei immer noch angenehmer Temperatur vor einem Tacos-Lokal auf einem kleinen Marktplatz. Das Essen schmeckt wie so häufig ausgezeichnet, vor dem Lokal spielt eine Band Tanzmusik und einige unserer Damen schauen verzückt einem Tango-Tänzer zu. So lässt sich Reisen auch genießen…

Straßenbild in Querétaro
© Antigoni Chrysostomou

 

Der Bericht des heutigen Tages beginnt mit einem Zitat von Alexander von Humboldt und er soll mit einem Zitat eines anderen ausklingen. Vor mehr als 100 Jahren sagte der damalige mexikanische Präsident Porfirio Díaz: „Armes Mexiko! Soweit weg von Gott und so nah an den Vereinigten Staaten!“ Dieser Satz hat bis heute nichts an Aktualität verloren.

Joachim Otto, ZEIT-Reisender

Tag 48: 11. Februar 2020

Querétaro – Guanajuato - Morelia

»Überall habe ich auf den ewigen Einfluss hingewiesen, welchen die physische Natur auf die moralische Stimmung der Menschheit und auf ihre Schicksale ausübt.«

Alexander von Humboldt

Dreimal Weltkulturerbe an einem Tag.
Wenn wir eine lange Bus-Tagestour hinter uns gebracht haben, freuen wir uns auf einen entspannten Abend bei gutem Essen und Trinken – wie oft wurden wir nicht schon überaus köstlich bewirtet – zum Teil in Gourmet-Restaurants!!! Auf dem Weg zum Restaurant sehen wir die Städte dann bei Licht und Dunkelheit und wir müssen uns bis zum Morgen gedulden, um das wahre Gesicht der Städte zu sehen. In Santiago de Querétaro war der Abend besonders angenehm, saßen wir doch bei lauer Luft draußen in einem sehr belebten Straßenrestaurant unter toll geschnittenen Baumkronen mit belebender Musik.
Unser 48. Tag beginnt sehr früh – um 8 Uhr – mit einem Stadtrundgang durch die Altstadt von Querétaro, Weltkulturerbe seit 1998. Es ist noch sehr ruhig. Die Stadtbäume – indischer Lorbeer – werden gestutzt und Constanza, unsere mexikanische Reiseführerin, erklärt uns an der Plaza de la Independencia die Stadtgeschichte.

Indischer Lorbeer in Querétaro
© Ilona Haß
So werden die Bäume gestutzt
© Ilona Haß

1531 fiel Querétaro an die Spanier und wurde drittgrößte Stadt des Vizekönigreiches Nueva España. Erst 1810 gelang es, mithilfe der Bürgermeisterfrau Doña Josefa den Aufstand gegen die Spanier erfolgreich durchzuführen und sich zu befreien. 1867 wurde der österreichische Kaiser Maximilian vor den Toren der Stadt erschossen. Für alle diese historischen Ereignisse finden wir Denkmäler. Auf dem großen Platz üben Vorschülerinnen höchst konzentriert für die Montagsparade.

Vorschulkinder beim Üben
© Ilona Haß

Querétaro wirkt auf uns angenehm entspannt. Hier möchten wir gerne verweilen, Schuhe putzen lassen, einen Cappuccino trinken und durch die Geschäfte bummeln doch schon heißt es: „Einsteigen – wir müssen weiter!“ Unser nächstes Ziel ist ein technisches Bauwerk: Um 1730 erbaut, bringt das Aquädukt auch heute noch über 74 Rundbögen von 23 m Höhe Wasser in die Stadt von der ca. 2 km entfernten Quelle.

Kurzer Fotostopp – Aquädukt
© Ilona Haß

Und weiter müssen wir Richtung Guanajuato. Es ist einfach so: Will man an einem Tag drei Weltkulturerben besichtigen, dann kommt keine Ruhe auf!

Guanajuato wird im Reiseführer angepriesen als eine der schönsten kolonialen Städte des Landes. Wir warten also gespannt auf die kleinen Plazas, engen Gassen und steilen Treppen dieses Ortes. Da erzählt uns Constanza, dass wir für die Einfahrt in die Altstadt – Weltkulturerbe seit 1989 – umsteigen müssen. Der Weg dorthin führt durch die ehemaligen Abwasserkanäle der Stadt und dafür ist unser Bus zu groß. Wir sind gespannt. Die Kleinbusse warten schon am Parkplatz, wir steigen um und dann geht es auch gleich los.

Untergrund-Tunnel
© Ilona Haß

Seit 1965 verlaufen ca. 3 km Tunnel unter der Stadt als Straßennetz. Es ist ganz schön dunkel und riecht auch muffig. Wir sind überrascht über den Verkehr, der hier unten herrscht, und freuen uns, als wir wiederauftauchen. Bei der Basilika verlassen wir die Busse und sind sofort im Fotorausch. Jeder Blick bietet ein neues Fotomotiv.

Constanza hat herausgefunden, dass wir das Haus, in dem Humboldt 1803 gewohnt hat, besichtigen dürfen, was wir natürlich tun. Vorbei an der Universität ziehen wir fotografierend durch die Stadt bis zum zentralen Platz, an dem wir in einem Gourmet-Restaurant wieder köstlich speisen – wieder einmal!  Danach fahren wir hinauf zum Pipila-Denkmal und genießen den schönsten Blick über die Stadt.

Bunte Häuser von Guanajuato
© Ilona Haß

Jetzt folgt eine lange Autobahnfahrt nach Morelia, dem 3. Weltkulturerbe des heutigen Tages. Zwischendurch spendiert Peko einen leckeren Tequila zur Aufheiterung, bevor wir gegen 18 Uhr unser Ziel erreichen und in unserem Hotel einchecken.

Günter und Ilona Haß, ZEIT-Reisende

Tag 49: 12. Februar 2020

Morelia – Pátzcuaro – Toluca

»Indem wir die Einheit des Menschengeschlechts behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenrassen. […] Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt.«

Alexander von Humboldt

Unser Hotel in Morelia
© Antigoni Chrysostomou

Auch heute erwarten uns wieder viele Programmpunkte. Der morgendliche Spaziergang durch Morelia, seit 1991 Weltkulturerbe, fasziniert mich. Die vielen Gebäude der Kolonialzeit sind nicht nur gut erhalten, sondern zum Teil behutsam umgewidmet. So ist aus einer alten Kirche eine schöne, viel genutzte Bibliothek geworden. Das Schild, dass die Bücher nicht “malträtiert” werden sollen, ist sicher aus vergangenen Zeiten und doch heute noch von Bedeutung.

Die Bibliothek von Morelia
© Antigoni Chrysostomou
Detail in der Bibliothek
© Antigoni Chrysostomou

Ein Kloster ist jetzt eine Musikschule, in der Zeit des spanischen Bürgerkrieges gab die Schule über hundert Kindern, fast alle Waisen, ein Zuhause. Andere Klöster dienen der Regierung als Sitz oder bieten Hotelgästen eine Unterkunft.
Es bereitet viel Freude durch diese gepflegte Stadt zu gehen, in einer lauschigen Ecke lädt ein Café ein, auch dann zu kommen, wenn man keinen Kaffee trinken möchte, einfach so. Nur, dafür fehlt uns – wie immer auf dieser Reise – die Muße. Es geht weiter, d. h. der Bus fährt.

Marktstand voller Süßigkeiten
© Antigoni Chrysostomou

In der Nähe von Pátzcuaro besuchen wir eine Stickerei, einen Familienbetrieb. Laut Programm war eine Fairtrade Produktionsgenossenschaft vorgesehen, da diese uns absagte, fanden wir uns nun in diesem kleinen Familienbetrieb ein. Alle in der Familie sticken, vor allem auch der Mann, bei Wettbewerben hat er bereits mehrere Preise gewonnen. Die Stickereien erzählen Geschichten des Dorfes, der Gemeinschaft, sind freie Zeichnungen, kleine Kunstwerke. Etwa hundert Familienbetriebe sind zu einer Gemeinschaft, Genossenschaft verbunden.

Die kleine Tochter fühlt sich offensichtlich wohl in ihrer so schön gestickten Kleidung – ob auch sie in die Tradition treten wird oder ob sie für sich neue, eigene Wege entdeckt, bleibt offen.

Stickende Familie
© Antigoni Chrysostomou

Ein kleiner Bummel durch den Markt von Pátzcuaro selbst eröffnet uns einen Einblick in heilende Mittel aus der Natur, was tatsächlich in den angebotenen Dosen und Flaschen ist, können wir nicht  herausfinden – laut Ankündigung sind viele Krankheiten mit diesen Naturheilmitteln zu heilen.

Allheilmittel am Markt von Pátzcuaro
© Antigoni Chrysostomou

Auf der langen Busfahrt nach Toluca frage ich mich, wie schon so oft auf dieser Reise, was die Mexikaner und auch die anderen Kulturen, die wir durchfahren haben, von uns denken, wie viel wir auf unserem schnellen “Durchlauf” wirklich von der jeweils anderen Kultur erfassen und was wir von ihr lernen können. Eine Reise auf den Spuren und im Sinne Humboldts bezieht diese Fragen ein. Es scheint mir, dass hier Kulturen aufeinandertreffen, die einander doch fremder sind, als es auf den ersten Blick scheint.  Am Abend erreichen wir auf rund 2700 m Höhe Toluca.

Landschaft um Pátzcuaro
© Antigoni Chrysostomou

Helga Kayser, ZEIT-Reisende

50. Tag: 13. Februar 2020

Toluca – Nevado de Toluca - Puebla

»Die Natur aber ist das Reich der Freiheit.«

»Die Freiheit ist süß, aber unbequem.“«

Alexander von Humboldt

Den 50. Tag unserer Humboldt-Reise beginnen wir mit einem Abstecher zum 4.690 m hohen Vulkan Nevado de Toluca. Unter normalen Umständen ist der Vulkan schneebedeckt und die Wetterverhältnisse in der Höhe kalt und windig. So schrieb Humboldt in seinem Tagebuch: „Am 29. September brachten wir den ganzen Tag von 4 Uhr morgens bis 8 Uhr abends auf dem Nevado Toluca zu. Ein rauher Tag, am Morgen extreme Kälte, dann dichter Nebel, der uns einhüllte und uns in 2000 Toisen Höhe ( Anm.: Das sind ca. 3.600 m) erstarren ließ, dann Regen, der uns bis auf die Haut durchnäßte.“
So waren wir gewarnt und hatten uns entsprechend kleidungsmäßig ausgerüstet. Aber wie so oft auf unserer Reise, ist uns das Wetter wohl gesonnen: Ein strahlendblauer Himmel, Sonne pur und Windstille ergeben ein ideales Wanderwetter.

Pinienwald
© Günter Heimsath

Humboldt brachte trotz beschwerlicherer Umstände noch Interesse und Geduld für vergleichende Naturbetrachtungen auf. Seine akribischen Feststellungen der Ausbildung der Nadeln der Pinien hinsichtlich Zahl und Form in Abhängigkeit von der Höhe und der vorherrschenden Temperaturen sind in seinen Tagebuchaufzeichnungen dokumentiert.

Vulkanlandschaft
© Antigoni Chrysostomou

Wir hingegen können von unserem Reisebus aus das Bergpanorama und die Ausblicke in das Tal bequem genießen. Selbst die letzten Kilometer bis zur Bergstation des Vulcans auf unbefestigter und kurvenreicher Piste sind lediglich an einigen Stellen von Nervenkitzel begleitet. Unser Busfahrer Nacho muss dagegen Schwerarbeit leisten, um uns sicher an Abgründen vorbei die Serpentinen hinauf zur Bergstation zu bringen.

Die Gipfelstürmer
© Günter Heimsath
Wegbegleiter
© Antigoni Chrysostomou

Ab dort ist es allerdings auch für uns mit der Softversion einer „Expedition“ vorbei. Bis zum Rand des Kraters auf 4280 m sind noch einige Höhenmeter zu bewältigen, die den ungeübten Bergsteigern unter uns einiges an Energie abverlangen. Unter Führung von zwei ortsansässigen Bergführern und angesichts der Aussicht, oben einen grandiosen Blick über den Vulkan und seine beiden Kraterseen (Mond- und Sonnensee) genießen zu können, wird diese Hürde gemeistert. Die Anstrengung hat sich gelohnt, das ist die übereinstimmende Meinung aller.

Der Mondsee
© Antigoni Chrysostomou
Der Sonnensee
© Günter Heimsath

Nach Abstieg und Rückkehr zum Bus und einem kurzen Lunch starten wir zu einer länger dauernden Fahrt nach Puebla, unser nächstes Etappenziel. Puebla ist uns Europäern als Stadt der Automobilindustrie bekannt, haben doch zahlreiche europäische Unternehmen ihren Sitz in dieser Stadt. Unter anderem hat VW in Puebla das weltweit größte Werk stehen, bekannte Firmen der Zulieferindustrie haben sich hier angesiedelt.

Noch vor Einfahrt in die Stadt im Licht der untergehenden Sonne wird unser 50. Reisetag gebührend mit einem Tequila-Sundowner gefeiert, mittlerweile eine liebgewonnene Tradition unserer Reise.

Günter Heimsath, ZEIT-Reisender

Tag 51: 14. Februar 2020

Puebla

»Mexiko ist das eigentliche Land der Ungleichheit; denn nirgends ist sie in der Verteilung der Glücksgüter, der Zivilisation, des Anbaus und der Bevölkerung größer als hier.«

Alexander von Humboldt

Jedes Mal nach dem Aufstehen muss ich mich mittlerweile fragen, in welcher Stadt ich bin, so schnell wechseln sich die Orte ab. Wunderbare Städte, gestern Nacht bin ich mit dem Blick auf die beleuchteten Türme von zwei Kathedralen eingeschlafen. Puebla. Un pueblo Mexicano, ein Mexikanisches Dorf, mit drei Millionen Einwohnern. Heute Morgen steht der Besuch der Pyramide von Cholula auf dem Plan. Der Start wie üblich, schnell einen Kaffee, der in diesem Hotel besonders gut geschmeckt hat. Dann der Bus. Einsteigen. Bis ganz hinten durchlaufen, setzen, zählen, losfahren.
Während ich dies schreibe, räumt der Kellner die servierten Kaffeetassen und kleine Kuchen ab, die das Hotel für unsere Gruppe hingestellt hatte. Der Kellner bittet mich, den Gästen zu erklären, dass das Hotel als „cortesía“, also Höflichkeit, will sagen auf Kosten des Hauses zu Kaffee und Küchlein einlädt. Es tut mir sehr leid señor, in Deutschland geht man früh essen und wenn die Leute um halb acht aufbrechen, um gegen acht Uhr das Abendessen einzunehmen, wird keiner kurz vorher zum Kaffee oder Kuchen greifen. Der Kellner sinniert enttäuscht darüber, dass sie wirklich nicht die Gewohnheiten der deutschen Gäste kennen.

Gänge in der Pyramide von Cholula
© Antigoni Chrysostomou

Für unsere Besichtigung der Pyramide am Morgen steigen wir irgendwo aus, wo man noch nichts sieht außer einer Kirche auf einem Hügel. Das nächste, das man sieht, sind Obst verkaufende Händler. Ich greife nach den blauen Feigen. Gute Sorte. Haben wir in Griechenland auch. Heißen königliche Feigen. Ich kaufe 250 Gramm. Manche folgen meinem Beispiel, die Feigen sind richtig gut. Dann folgen wir nichtsahnend unserer Reiseführerin Constanza und landen in unterirdischen engen Tunnels, wo nur eine Person lang gehen kann. Die Tunnel sind unterirdische Gänge unter der Pyramide. An manchen Stellen sieht man Quertreppen abzweigen, die abgesperrt sind. Constanza erklärt mir, dass es bis zu neun Ebenen hinabgeht. Diese Pyramide und das entsprechende Areal können nicht einer einzigen Kultur zugeordnet werden. Es waren mehrere. Wichtig ist zwischen den Ummantelungen und den Additionen zu unterscheiden. Manche Kulturen haben eine neue Schicht um die Pyramide gebaut, manche haben außen herum Bauten hinzugefügt.

Grashalmkünstler
© Antigoni Chrysostomou

Draußen wartet auf uns ein Verkäufer vom lokalem Kunsthandwerk. Er arbeitet mit Grashalmen, aus denen er Bildkompositionen auf einem Untergrund von Agave Blättern schafft. Die Sachen sind gut, der Verkäufer nett, wir nehmen was ab. Strategisch gut ausgewählter Verkaufsstandpunkt. Wir rennen Constanza hinterher, die zum Hauptareal der Pyramiden-Ausgrabungen schreitet. Wenn doch nur mein kleines Gerät, das ich um den Hals trage, besser empfangen würde, dann würde ich auch mehr mitkriegen, auch wenn ich öfters zum Fotografieren zurückbleibe. So behalte ich nur die Bilder und nicht die Erklärung im Kopf, was solls, ich bin sowieso ein visueller Typ. Man kann die Details nachlesen, wie viele der Reisenden sagen, wenn es irgendwo mit einer Führung zu lange dauert. Macht man dann doch nicht. Es geht darum, was hängen bleibt. Und wenn Neugier da ist, wird man was nachlesen.

Die Pyramide von Cholula
© Antigoni Chrysostomou

Und da ist plötzlich eine Pyramide. Wie kennen das jetzt nach der Mond- und Sonnenpyramide in Teotihuacán. Man läuft schnell die Treppen hinauf. Fünf oder sechs von uns machen das auch spontan, auch wenn die Pyramide eine Fake News Pyramide sein soll, also eine durch einen egozentrischen Archäologen nachgebesserte. Oh, das war der falsche Weg. Schnell wieder runter.

Alle Stufen muss man wieder runtergehen
© Antigoni Chrysostomou

Unsere resolute Reiseführerin Constanza ruft uns zusammen zum Sammelpunkt. Der Ort Cholula ist ein nettes Städtchen, der Eindruck fängt jetzt erst an, zu entstehen. Wahrscheinlich durch einen inneren Instinkt geleitet, verpasse ich den Anschluss an die Gruppe und melde mich telefonisch ab. Es gibt einen nagelneuen Zug, der Cholula mit Puebla verbindet und der ist sogar kostenlos, das ist ja unglaublich! Damit werde ich gleich fahren. Die Zuggäste werden einzeln begrüßt und mit einem Valentinstag-Herzchen-Lolly fotografiert. Im Städtchen treffe ich noch jemanden aus unserer Gruppe und wir fahren zusammen Zug.

Viel Farbe im Ort Cholula
© Antigoni Chrysostomou
Kunsthandwerk wie in allen Städten
© Antigoni Chrysostomou

In Puebla verbringe ich den Nachmittag im Museo Agrado. Hier interessiert mich die zeitgenössische Kunst, es gibt zwei interessante Ausstellungen. Ich tappe wie zufällig hinein und stelle Verbindungen her zu dem, was wir auf unserer Reise erlebt haben. Geometría Sagrada, Heilige Geometrie, der Künstlerin Karina Skvirsky. Die Künstlerin lebt halb in New York City und halb in Ecuador, sie ist in den USA geboren. Ihr Vater hat osteuropäisch-jüdische Wurzeln und ihre Mutter eine afrikanisch-ecuadorianische Geschichte. Was für eine Mischung. Der eigentliche Fokus ihrer Ausstellung sind Collagen aus Inka Mauern Steinen. Das interessantere für mich ist jedoch ein 30-minütiger Film, den sie als Hommage an ihre Urgroßmutter gedreht hat. Diese ist mit 14 Jahren aus Zentral-Ecuador zu Fuß über die Anden bis Guayaquil gelaufen, um dort als Hausangestellte zu arbeiten. Auf den Spuren ihrer Großmutter reist die Künstlerin entlang des alten Inka Pfades. Zu Fuß, mit Esel oder im Zug. Ich erkenne vieles wieder. Da verdichten sich die Bilder auch unserer Ecuador Reise: der Chimborazo, Quito, die Anden, Alausí.

Collage der Künstlerin Karina Skvirsky
© Antigoni Chrysostomou

Der zweite Künstler ist Mexikaner, Erick Meyenberg, 40 Jahre alt. Der Zugang fällt mir hier schwerer. Ich betrete abgedunkelte Räume, in denen Videoinstallationen auf großen Bildschirmen gezeigt werden. Man muss sich länger auf die visuellen Eindrücke einlassen, bis man versteht, begreift, aufnimmt, worum es geht. Militärmärsche, Übungen, Blasinstrumente, Stakkato Schritte mit dem Gewehr. Der Künstler beschäftigt sich mit verschiedenen politischen Themen, unter anderem mit der Militarisierung unserer Gesellschaft. Und dann plötzlich stelle ich eine Verbindung her. Von dieser künstlerischen Reflexion zur Realität. Das Bild der kleinen Mädchen, die am frühen Morgen in Querétaro die Militärparadeschritte übten. Was uns da niedlich vorkam, ist eine Vorbereitung auf die militärischen Rituale, die früh internalisiert werden. Und dann kommen mir auf einmal auch die Bilder in den Sinn mit den vielen Militärs, die wir in den Ländern unserer Reise gesehen haben.

Schutz und Bedrohung, Gewalt und Frieden sind Seiten eines sehr fragilen Übergangs. Wir sind privilegiert und sind, anders als die „Desaparecidos“, die Verschwundenen Menschen der besuchten Länder, immer friedlich und sicher ans Ziel gekommen.

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 52: 15. Februar 2020

Puebla – Cantona – Xalapa

»Meine Werke sind mit Aufrichtigkeit geschrieben; das ist die Qualität, auf die ich den größten Wert lege.«

Alexander von Humboldt

Auf geht es mit Tag 52 dieser Reise auf den Spuren Alexander von Humboldts. Seit einer Woche darf ich diese Gruppe jetzt hier in Mexiko auf ihrer insgesamt 60-tägigen Reise begleiten. Eine Gruppe von 30 weit gereisten und immer noch sehr neugierigen, tollen Menschen. Nach dem obligatorischen Jetlag und einem kleinen Rückschlag bei 4.300 m Höhe, fühle ich mich nicht nur in Mexiko bei der Gruppe angekommen, sondern auch voll im Thema Humboldt. Nur im Ansatz ist nachzuvollziehen wie Alexander von Humboldt diese Reise ohne Flugzeug und Bus vollbracht hat. Ohne ein tägliches gutes Hotel, ohne unsere geregelten Mahlzeiten. Wir nehmen also unser Frühstück zu uns und brechen auf.

Aus Puebla geht es heute weiter über Cantona (Haus der Sonne) nach Jalapa. Jalapa, “Geburtsstadt” der Jalapeños ist mir eine persönliche Freude, gehören Jalapeños doch auch in Deutschland zu meinen “Grundnahrungsmitteln”. Unseren Bus steuert unser Fahrer Nacho sicher durch die kleinen Gassen der Altstadt Pueblas raus auf den Highway. Beim Verlassen schauen wir noch einmal (ein letztes Mal?) auf den Vulkan Popocatépetl, der aktiv ist und vor dem blauen Himmel eine kleine Rauchsäule für unsere Fotoerinnerungen speit. Nicht nur der Vulkan zeigt sich fotogen, grundsätzlich ist wieder Sonne und blauer Himmel.

Der rauchende Popokatépetl
© Thomas Becker

Auf dem Weg nach Cantona werden wir von eindrucksvoller Natur rechts und links begleitet. Die Bergkette vom Pazifik bis zum Golf zum Mexiko läuft hier mit den beiden mächtigen Vulkanen Pico de Orizaba (mit 5.600 m der höchste Vulkan Mexikos) und Cofre de Perote kurz vor dem Atlantik aus.

Pico de Orizaba
© Christopher Alexander

In Cantona soll uns eine Überraschung erwarten. Stand die Besichtigung ursprünglich nicht auf dem Programm, werden wir die Stätte alle begeistert verlassen. Die um das Jahr 750 blühende Stadt Cantona zählte damals um die 100.000 Einwohner und wurde erst 1980 entdeckt und freigelegt.

Nach einem kurzen Besuch und einer Einführung im Museo de Cantona führt uns unsere versierte Reiseleitung Constanza über die Anlage. Wie so häufig befinden sich die Behausungen der oberen Schichten näher an der Sonne. Tatsächlich zeigen aber selbst die Stätten der breiten Bevölkerung ein eigenes mit groben Steinmauern abgestecktes “Grundstück”. Auf jedem dieser Grundstücke befanden sich Plateaus und Flächen für das Wohnen, Arbeiten und für eigene kleine Tempel.

Ausgrabungsstätte Cantona
© Christopher Alexander

„Fußball” spielte eine große und wichtige Rolle in der Gesellschaft des Volkes von Cantona. Neben Blutopferungen durch die Oberen der Gesellschaft, durch Stechen der eigenen Zunge, wurde jeden Abend im 2 gegen 2 Fußball zu Ehren der Sonne gespielt. Team Sonne spielte gegen Team Unterwelt, um am nächsten Tag auch wieder am Horizont aufgehen zu dürfen und die Welt mit Licht und Energie zu versorgen. Der Ball, mit dem damals gespielt wurde, bestand aus gewickelten Kautschukfäden und durfte nur mit Ellenbogen und Hüfte gespielt werden. Sehr zur Verwunderung der Spanier sprang dieser Ball durch seine Beschaffenheit (Spanier kannten noch keinen Kautschuk bzw. dessen Verwendung für einen springenden Ball). Kopfbälle im heutigen Sinn führten trotzdem zu (meist) tödlichen Verletzungen.

Das Baumharz für die Kautschukbälle
© Antigoni Chrysostomou

Der Besuch Cantonas beeindruckte die Gruppe und Reiseleitung so sehr, dass er sicherlich für die nächste Reise mit ins Programm aufgenommen werden wird.

Nach einem ausgiebigen Lunch in der nahegelegenen und eindrucksvollen Hacienda Tepetlcalli von 1870 machen wir uns auf den Weg nach Perote, welches auch Zwischenstopp für Alexander von Humboldt damals war. Zur Einstimmung gibt es im Bus auf dem Weg dorthin eine kleine Lesung aus einem der Werke Humboldts vom Reiseleiter Peko.

Hacienda Tepetlcalli
© Antigoni Chrysostomou

Die Festung San Carlos aus dem 17. Jahrhundert diente den Spaniern lange Zeit der Sicherung der Gold- und Silbertransporte aus dem Hinterland an den wichtigen Hafen Veracruz, um es von dort nach Spanien zu verschiffen. Die großflächige Anlage, die im Laufe der Geschichte als Gefängnis und auch Auffanglager diente, beeindruckt durch ihre reine Anwesenheit. Bis auf ein kleines Museum scheint die Anlage vernachlässigt und „vergessen“, was viel Platz für die eigene Imagination zum Aufleben der Geschichte lässt. Ein beeindruckender Besuch.

Die Festung San Carlos in Veracruz
© Antigoni Chrysostomou

Der Tag neigt sich mit dem Check-In in unserem Hotel in der Altstadt von Jalapa. Pünktlich um 19:30 beginnt der Abend und wir machen uns zu Fuß auf den Weg zum nahegelegenen Restaurant. Hier erwartet uns nicht nur ein gutes Essen, sondern auch eine Live-Band, die uns noch eine Weile nach dem Essen unterhält. Mit einem musikalischen „La Bamba“ im Ohr mache ich mich auf den Weg zum Hotel und vermag über den weiteren Verlauf der Nacht einiger Mitreisender mit mehr Stamina nur spekulieren.

Christopher Alexander, ZEIT REISEN

Tag 53: 16. Februar 2020

Xalapa - Veracruz

»Diesen Brief müssen Sie an niemand zeigen, wie er zu viel Wahres enthält.«

Alexander von Humboldt

Nach einer morgendlichen informativen, kleinen aber feinen, Stadtführung verlassen wir das Hotel und fahren zum anthropologischen Museum der Stadt Xalapa, der Hauptstadt des Bundesstaates Veracruz. Ein dem abfallenden Geländeverlauf angepasster moderner Museumsbau in solider Sichtbeton- und Natursteinkonstruktion beherbergt eine Fülle von prähistorischen Funden ausgefallener Tonwerkkunst und anspruchsvoll bearbeiteten Vulkan- und Sedimentgesteinen.

Steinfiguren der Olmeken
© Antigoni Chrysostomou
Tonwerkkunst mesoamerikanischer Kulturen
© Antigoni Chrysostomou

Reich beladen mit Eindrücken verlassen wir Xalapa und fahren nach Zempoala, nahe Veracruz, dem Ort der ersten Anlandung der Spanier. Die Totonaken bauten mangels Steinbrüchen die Pyramiden und die Anlage aus großen Flusskieseln in nach religiösem Muster gestaffelten Schichten.

Pyramide in Zempoala
© Antigoni Chrysostomou
Sonnenheiligtum in Zempoala
© Antigoni Chrysostomou

Unsere Reise neigt sich dem Ende zu und es bietet sich auch beim Lesen der „Philosophischen Inspirationen für Reisende“ die Gelegenheit, uns selbstkritisch vor dem Hintergrund der Bemerkungen Martin Bubers und unserem Leitthema „Humboldt“ zur Qualität und Einstellung des Reisenden zu fremden Ländern, Menschen und Kulturen zu reflektieren. Sich einlassen, sich zurücknehmen, kleine Unzulänglichkeiten ohne Murren zu akzeptieren bzw. zu übersehen, das landestypische Angebotene ohne Sonderwünsche zu nehmen und seiner Verantwortung als Reisender gerecht zu werden.

Kurz gesagt: Die Konsumentenhaltung eines Bürgers der Ersten Welt für die Dauer der Reise aufzugeben und die Reiseleiter, trotz der hochpreisigen Reisekategorie, nicht allzu oft mit Nickligkeiten zu beharken.

Mit diesen Gedanken befasst nähern wir uns der Hafenstadt Veracruz, neben Havanna und Cartagena de Indios wichtiger Ankerplatz der Spanischen Flotte und Ausgangsbasis der Conquista für die Eroberung Mexikos.

In der Burg San Juan de Ulua in Veracruz
© Antigoni Chrysostomou
Mexikanische Tänze im Zentrum von Veracruz
© Antigoni Chrysostomou

Karl Staudenmaier, ZEIT-Reisender

Tag 54: 17. Februar 2020

Veracruz

»Ich habe den Grundsatz, dass, wenn man auf andere wirken soll, man immer so tun muss, als zweifle man nicht an dem guten Willen der Mitwirkenden.«

Alexander von Humboldt

Die Marinekapelle macht sich bereit für die Nationalhymne
© Günther Biste

Der letzte Tag in Lateinamerika. Karibisches Wetter. Wir beginnen unseren kleinen Stadtrundgang mit Blasmusik am zentralen Platz vor dem Hotel. Wie für uns gemalt steht eine Militärkapelle im uns blendenden Morgenlicht und spielt die mexikanische Nationalhymne. Jeden Montagmorgen vor dem Rathaus, wie wir von unserer lokalen Reiseleiterin Constanza erfahren. Veracruz ist die wichtigste Hafenstadt Mexikos am Atlantik mit etwa 450.000 Einwohnern, touristisch eher wenig erschlossen. Ich empfinde die überschaubare Größe der Altstadt als angenehm nach den zahlreichen eindrucksvollen aber auch zum Teil erschöpfend informativen Altstadtbesuchen der vergangenen Wochen.

Morgen verlassen wir von Veracruz aus Lateinamerika, so wie Alexander von Humboldt im Jahre 1804. Er segelte aber zunächst nach Kuba. In Havanna lernt er den amerikanischen Konsul kennen, Vincent Gray, der ihm vorschlägt, einen Abstecher in die USA zu machen. Für Humboldt erscheint das eine gute Variante seiner Reisepläne. Er weiß nicht, dass Vincent Gray an seinen Außenminister James Madison schreibt: „Humboldt ist in der Lage, Ihnen viele nützliche Informationen über das an Louisiana angrenzende Land zu geben.“

Denkmal der Einwanderer am Hafen
© Günther Biste

Wir gehen in Richtung Hafen, vorbei an noch geschlossenen Verkaufsständen, Lagerhallen und dem Denkmal für die Einwanderer. Wir sehen das eindrucksvolle Gebäude der Marine, in dem sich auch ein Ozeanografisches Institut befindet.

Am Kai angekommen fällt zunächst ein hohes Denkmal auf, das an prominenter Stelle auf verschiedene historische Ereignisse hinweist. Die Jahreszahl 1847 erinnert an den mexikanisch-amerikanischen Krieg (1846-1848), in dessen Folge Mexiko 55% seines Territoriums an die USA verlor. Man kann es als gewisse Ironie sehen, dass in Sichtweite Alexander von Humboldt als Denkmal steht. Er hat (nicht nur) aus Sicht einiger mexikanischer Historiker nicht ganz unwesentlich die USA unterstützt, als er sie bei seinem Besuch von Jefferson sehr freigiebig mit Informationen über die mexikanischen Gebiete versorgte, die im strategischen Interesse der USA bei der Expansion nach Westen lagen. Die territorialen Ambitionen waren Humboldt durchaus bekannt, als er sich zu der Reise nach Washington aufmachte. Schon in Havanna hat er geschrieben, „… dass die USA eine Gefahr für Spanien zu werden beginnen“.

Vor dem Humboldt-Denkmal posierend lässt sich unser Reiseleiter „Peko“ ausgiebig von der Reisegruppe fotografieren.

Nach dem kurzen Stadtrundgang, der uns auch an typisch kolonialer Architektur vorbeiführt, fahren wir mit dem Bus eine Stunde zu dem kleinen Ort Tlacotalpan, wo wir eine Bootsfahrt unternehmen werden. Auf drei Boote verteilt fahren wir am Ufer des hier sehr breiten Papaloapan entlang, wo sich ganz unterschiedliche Gebäude pittoresk im ruhigen Wasser spiegeln. Eine Mitreisende fragt: Wie heißt eigentlich der See? Manche Häuser erinnern an Gebäude der Armenviertel, bei anderen denkt mancher an Investitionsprojekte von Drogenhändlern, jedenfalls höre ich solche Kommentare.

Auf dem Papaloapan, was etwa bedeutet: Schmetterlinge über Wasser
© Günther Biste

Nach einigen Minuten kehren die Boote um, bis zu der Stelle, wo das angekündigte Zusammentreffen zweier Flüsse stattfindet. Nur unmerklich verbreitert sich der schon breite Fluss und das Boot dreht zum Ufer ab. In Sichtweite schon das Restaurant, in dem wir zu Mittag essen. Anschließend bleibt noch Zeit für einem kleinen Spaziergang. Direkt hinter dem Restaurant befindet sich die einzige große Straße des Ortes. Alles scheint frisch bonbonfarben gestrichen. Zwei Kirchen säumen einen kleinen Park mit auffallend vielen leeren Sitzbänken.

Von der Reiseleiterin Constanza erfahren wir, dass der Ort eigentlich nur 2.000 Einwohner hat, die Zahl am Wochenende aber oft auf über 6.000 ansteigt. Ein beliebtes Ausflugsziel, zudem sind in der Woche meist nur Alte, Frauen und Kinder vor Ort. Die Männer arbeiten oft weit entfernt und kehren nur zum Wochenende in den Ort zurück. Mit den Touristen.

Öffentliches Wartezimmer in Tlacotalpan
© Günther Biste
Wo sind die Touristen?
© Günther Biste

Bei der Rückfahrt von unserem Bootsausflug wird auch wieder Alexander von Humboldt zum Thema. Unser Reiseleiter „Peko“ skizziert nochmals Humboldts Mexikoaufenthalt und die Umstände der Abreise nach Havanna. Er spricht an, dass bereits mehrfach der Wunsch geäußert wurde, in einer Gesprächsrunde die Rezeption Alexander von Humboldts zu thematisieren. Er erwähnt danach neben Andrea Wulf auch Kehlmanns „Vermessung der Welt“ sowie Enzensbergers Herausgabe der „Ansichten der Kordilleren…“ und des „Kosmos“ sowie die Publikationen des Historikers Matthias Glaubrecht. Und er fordert uns nun dazu auf, entsprechende Fragen zu stellen.

Eine Frage der Mitreisenden lautet: Hat Alexander von Humboldt sich auch nach seiner Südamerikareise zu sozialen Problemen geäußert? Der Reiseleiter verweist auf Humboldts Anspruch z.B. die Arbeitsbedingungen der Bergarbeiter zu verbessern. Auch auf sein Engagement im Zusammenhang der 1848er Revolution in Berlin. Ich höre zum ersten Mal, dass Humboldt den Trauerzug der Aufständischen für ihre Gefallenen angeführt haben soll.

Auch ich habe mehrere Fragen, die ich zum Teil auch als Kommentar verstehe. Ans Mikrofon gebeten formuliere ich drei Fragen:

Erstens: Inwieweit hat Humboldt mit seinen Gutachten und Verbesserungsvorschlägen z.B. zu Landwirtschaft und Silberbergbau sowie Bevölkerungsstatistiken auch das koloniale Programm unterstützt, das er doch im Grunde kritisiert hat?

Zweitens: Welchen Beitrag haben Wissenschaftler vor Ort, sowie Indigene durch ihr Wissen über Botanik, Topografie und Kultur zu den von Humboldt publizierten Beschreibungen beitragen?

Drittens: Inwieweit konnte sich Humboldt in Bezug auf z.B. ökologische Fragestellungen auf Vordenker wie u.a. von Carlowitz berufen, der Jahrzehnte vor Humboldt vor dem Hintergrund der Entwaldungsproblematik in Sachsen die nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern beschrieb? Und dabei zum ersten Mal den Begriff der Nachhaltigkeit verwendete.

Der Reiseleiter „Peko“ antwortet sehr ausführlich und betont hinsichtlich der Umweltthematik, dass er Humboldt durchaus als einen der Vordenker von Ernst Haeckel sieht, der erst Jahrzehnte später den Begriff der „Ökologie“ einführte. Ich stelle keine weiteren Fragen mehr, da von einer „Gesprächsrunde“ in dieser Form am Busmikrofon keine Rede sein kann. Zudem führt das erfahrungsgemäß in kurzer Zeit dazu, dass nicht gerade wenige Mitreisende in sanften Schlaf sinken.

In Bezug auf die zuvor erwähnten, sehr unterschiedlichen biografischen Interpretationsmodelle zu Humboldt zitiere ich noch einen Aphorismus, der Samuel Butler zugeschrieben wird: Der Unterschied zwischen Gott und den Historikern besteht hauptsächlich darin, dass Gott die Vergangenheit nicht mehr ändern kann.

Abends treffen wir uns zum Dinner in modernem Ambiente. Wir verabschieden unsere lokale Reiseleiterin Constanza und unseren Busfahrer Nacho. Wie immer in solchen vorangegangenen Situationen sind alle Beteiligten sehr gerührt.

Soviel zum heutigen Tag. Die Nacht wird kurz, 5.00 Uhr fährt uns der Bus zum Flughafen. Frühstück wird es nicht geben. Dafür ein Lunchpaket.

Günther Biste, ZEIT-Reisender

Tag 55: 18. Februar 2020

Veracruz – Washington

»Es gibt im Leben ein ständiges Auf und Ab. Wir können dagegen nur Ausdauer und Tatkraft setzen.«

Alexander von Humboldt

Auf geht´s zur letzten Etappe unserer Reise auf Humboldts Spuren. Reisetag: Eigentlich unspektakulär, wäre da nicht Günter aus Eckernförde, siehe unter P.S.

Aber der Reihe nach:
Transfer zum Flughafen um 4.30 Uhr, Abflug Veracruz um 8.05 Uhr.
Zeit zur Reflexion, knapp acht Wochen unterwegs, was geschah bisher?

Fünf Länder, Gespräche mit allen fünf deutschen Botschaftern, Vorträge, Lesungen zu Humboldt, Besichtigungen, Führungen, Besuche auf Kakao-, Kaffee- und Rosenplantagen und unser Reiseleiter Peter Korneffel, bekannt als Peko, der Erfinder dieser Reise. Er verleiht der Reise Struktur und Tiefe, zeigt sich souverän bei den (vielen) unvorhersehbaren Herausforderungen, hört sich mit bewundernswertem Langmut die Befindlichkeiten einiger Mitreisender an, reagiert, hat Freude am Organisieren, erklärt, behält die Ruhe, schafft Sicherheit. Großartig seine Lesungen aus den Reisetagebüchern und den „Ansichten der Kordilleren“. Peko ist großes Kino, ganz großes Kino!

KUBA, 6 Tage
Ein nach wie vor abgeschottetes Land, embargogeschädigt. Nirgendwo sichtbarer Reichtum und trotzdem eine positive Grundstimmung der Menschen. Die Altstadt von Havanna weiter saniert (im Vergleich zu 2007), allerorten Musik. Cocktails, so man will, zuhauf.

Meine Reisehighlights:

  • Die Lesung von Peko an der Anlegestelle im Hafen von Trinidad: Peko steht auf einem Stein am Ufer, das Buch in der Hand, die Textstelle am authentischen Ort – ein wahrer Humboldt-Moment (Tag 5)
  • Der furiose Vortrag des deutschen Fotografen Sven Creutzmann, der in Havanna lebt und der die Geschichten hinter den Fotos von Fidel Castro, Papst mit Castro, Alltagsszenen usw. zelebriert (Tag 3)
  • Vorstellung des Sozialprojektes durch den engagierten jungen Andi am Höhlenkomplex Cueva de la Loma, das vor dem Hintergrund der Reise Humboldts touristische Angebote in dieser Region des ländlichen Raumes entwickeln will. Bodenständiges, sehr schmackhaftes Mittagessen, vor Ort zubereitet durch die Dorfgemeinschaft (Tag 3)
Oldtimer in Havanna, Kuba
© Antigoni Chrysostomou

KOLUMBIEN, 14 Tage

Die positive Überraschung unserer Reise, ein Land im Aufschwung – trotz Drogenkriegen in drei Provinzen und einer „wackeligen“ Demokratie, außergewöhnliche kulinarische Erfahrungen, wirtschaftlich und politisch geben 12 Familienclans die Richtung vor. Kaum indigene Bevölkerung.

Meine Reisehighlights:

  • Aufstieg zur Berglagune in Guatavita als echter Humboldtort, dazu die Geschichte des Eldorado, die Einkerbung am Rande des Kratersees in perfekter Übereinstimmung mit Humboldts Originalzeichnung, die Lesungen Pekos aus Humboldts Tagebüchern zum Thema (Tag 16)
  • Der Vortrag von Prof. Gutiérrez, dem bekanntesten Humboldtforscher Kolumbiens (tag 15)
  • Das Botero-Museum in Bogotá (Tag 15)
  • Das unerwartete Erscheinen des Bürgermeisters in Barrancabermeja zum Abendessen und anschließende Fahrt im Partybus (Tag 13)
  • Besuch der Kakaoplantage in Chucuri (Tag 13)
  • Führung, Geschichte, Humboldts Originaltransporttruhe und Dinner in der Hacienda Calibio (Tag 19)
  • Unser lokaler Führer Lucho
Mural in Mompox, Kolumbien
© Antigoni Chrysostomou

ECUADOR, 13 Tage

Vordergründig angenehm trotz deutlich sichtbarer Armut, viel indigene Bevölkerung, schlechte wirtschaftliche Lage wegen leerer Staatskassen, keine Aufbruchsstimmung.

Meine Reisehighlights:

  • Äquatorüberquerung am Monument von Quitsato (Tag 22)
  • Aufstieg auf den Krater des Pichincha auf 4.670m (Tag 24)
  • Aufstieg am Chimborazo bis zur Whymper-Schutzhütte auf 5.000 m (Tag 28)
  • Zugfahrt um die Teufelsnase bei Alausi (Tag 30)
  • Ausgezeichnete Dinner in historischen Haciendas
  • Die Städte Cuenca und Riobamba
Bunte Gürtel am Markt von Guamote, Ecuador
© Antigoni Chrysostomou

PERU, 10 Tage

Die negative Überraschung, viertägiger Umweg über die Wüste wegen Unwettern und Erdrutschen im Gebirge, große Armut, viel indigene Bevölkerung, kulinarisch nicht die versprochene Erleuchtung.

Meine Reisehighlights:

  • Museumsbesuch „Der Herr von Sipán“, Moche-Kultur (Tag 35)
  • Pyramiden von Túcume (Tag 35)
  • Abenteuerliche Taxi-Orientierungsfahrt zum Restaurant La Proa am Malecón de salinas (Tag 35)
  • Vortrag Peko „Weltmarken“, Alexander von Humboldt auf Briefmarken aus aller Welt (Tag 40)
Selbst im Zentrum von Lima gibt es eine Lehmpyramide, Perú
© Antigoni Chrysostomou

MEXIKO, 11 Tage

Kein Dritte-Welt-Land, die räumliche Nähe zur USA spürbar, funktionierende Infrastruktur, ein adäquater Bus, Aufatmen, Zuversicht, jedoch in der Peripherie von Mexiko-City große Abfallprobleme

Meine Reisehighlights:

  • Pyramiden- und Ruinenstadt Teotihuacán, Humboldt-Ort (Tag 47)
  • Basaltklippen von Huasca de Opampo, Hacienda , Lesung am Humboldt-Ort (Tag 46)
  • Die Städte Querétaro, Morelia und Guanajuato (Tunnelsystem für öffentl. Verkehr)
  • Frida Kahlo und Diego Rivera
  • Altstadt von Mexico-City
  • Aussicht vom Dach unseres Hotels in Mexiko-City auf die Vulkane Popocatépetl und Iztaccihuatl
  • Aufstieg zum Vulkanrand Nevado de Toluca (4.380 m) (Tag 50)
Musiker beim Folklore Ballett in Mexiko-Stadt, Mexiko
© Antigoni Chrysostomou

Zur Wahrheit gehört auch die negative Seite:

Zum Teil sehr anstrengende Tagesprogramme, zu große Gruppe, körperliche Anforderungen durch den Aufenthalt in großen Höhen, oft inadäquate Busse

Fazit:

Eine empfehlenswerte Reise für an Alexander von Humboldt- und Lateinamerika-Interessierte, für flexible Menschen, die körperlich und psychisch belastbar sind. Kein Urlaub, sondern eine Expeditionsreise.

P.S.
Aber jetzt: Günter aus Eckernförde. Er hatte sich ordnungsgemäß bei der Botschaft der USA in Berlin ein Visum besorgt, da ESTA nach einer Iran-Reise nicht mehr möglich war. Doch ohje, in Verarcruz fiel bei der Ausreise auf, dass im Reisepass KEIN Visumeintrag vorhanden war!!??  Herzrasen, Schweißausbrüche, Flirt mit dem Desaster. Ohnmacht. Damit Einreise in die USA passé. Damit kein Günter mehr, noch schlimmer: keine Ilona, seine liebe Gattin, mehr.

Doch nicht mit Peko! Wie einst Shackleton möchte er kein einziges Expeditionsmitglied verlieren.

Er schwingt sich auf, dynamisch, ja quecksilbrig, bietet dem Problem die Stirn, versucht, ad hoc einen ESTA-Antrag zu starten – zu SPÄT, nur bis 72 Stunden vor Einreise möglich!

Peko kämpft. Telefonat mit Zeit Reisen in Hamburg, Telefonat mit der Agentur CANUSA in den USA. Nochmal Versuch mit ESTA, nochmal, nochmal, Peko tippt ein, füllt aus, stürmt ins UNITED-Büro am Schalter, probiert weiter. DA! ESTA-Antrag funktioniert. Trotzdem werden Koffer erstmal zurückbeordert.

Aber Einchecken geht nicht, weil ESTA-Nummer nicht freigeschaltet wird. 2 Versuche, 3, 4. Die Zeit rast, der Abflug rückt näher. Günter und Ilona ade? Letzter Versuch der UNITED-Mitarbeiterin. Und da: ES FUNKTIONIERT! Gepäck wieder in den Flieger, im gestreckten Galopp (Günter!!) zur Maschine. Ist´s noch zu schaffen?

JA! Günter, glücksprall, betritt das Flugzeug, Applaus der Mitreisenden. Durchatmen. Amerika, wir kommen. Alle.

Thomas Becker, ZEIT-Reisender

Tag 56: 19. Februar 2020

Washington

»Kein Schicksal vermag etwas über das Innere unserer Seele.«

Alexander von Humboldt

Nach dem gestrigen langen Flugtag mit anschließendem Ausklang in der Bar des Hotels steht heute eine Stadtbesichtigung der U.S. Hauptstadt am Potomac River auf dem Programm – die wievielte Stadtbesichtigung ist das eigentlich?
Also alles Routine, doch halt, etwas ist anders: Sonnencreme, Sonnenhut, Mückenspray und leichtes Jäckchen werden aussortiert, stattdessen werden alle warmen Sachen, die man so eingepackt hat, entweder angezogen oder in den Tagesrucksack gestopft, es ist kalt und dazu weht noch ein kühles Lüftchen, brrr!
Alle verschwinden schnell im geheizten Bus und wir fahren zunächst zum Kapitol-Komplex, um das Kapitolgebäude zu besichtigen. Es kommt uns ziemlich bekannt vor, ganz am Anfang der Reise in Havanna war doch da was….

Kapitol in Havanna
© Elisabeth Schacher

Doch nun zurück zur Gegenwart:

Kapitol in Washington
© Elisabeth Schacher

Nach dem Sicherheitscheck mit den Ermahnungen „stay in a line, in pairs please!“ wurden wir durch das imposante klassizistische Gebäude geführt (erbaut 1793 – 1823, zwischenzeitlich niedergebrannt durch die Briten im Krieg von 1812 und immer wieder verändert und vergrößert), wo sich ausgehend von der Rotunde als gedachter Mittelpunkt der Stadt Washington die Sitzungssäle des Kongresses, also des Senats und des Repräsentantenhauses befinden. In den Räumen und Gängen des Gebäudes werden zahlreiche Statuen und Gemälde zur Geschichte der USA gezeigt.

Chief „Standing Bear“ aus Nebraska
© Antigoni Chrysostomou

 

Die Kuppel des Kapitols
© Antigoni Chrysostomou

Zum Kapitol- Komplex gehört auch die Library of Congress, die nach der Zerstörung im Krieg von 1812 durch den Erwerb der Büchersammlung der privaten Bibliothek Thomas Jeffersons wiederhergestellt wurde.

Library of Congress
© Antigoni Chrysostomou

 

Thomas Jeffersons Büchersammlung
© Antigoni Chrysostomou

 

Innenleben des Bibliothekgebäudes
© Antigoni Chrysostomou

Weiter geht es zum Lincoln Memorial (errichtet 1915-1922) mit der großen Statue des sitzenden Abraham Lincoln und der Abbildung seiner eindrucksvollen kurzen Rede, der berühmten „Gettysburg Address“ zur Einweihung des Militärfriedhofs in Gettysburg im November 1863 während des Amerikanischen Bürgerkriegs.
Vom Denkmal aus hat man einen wundervollen Blick über den Lincoln Memorial Reflecting Pool und das World War II Memorial zum Washington Obelisken, ganz im Hintergrund sieht man noch das Kapitol.

Das Washington Monumen
© Elisabeth Schacher

Das Jefferson Denkmal aus den 1930er Jahren zu Ehren des dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten und des (Haupt-) Autors der Unabhängigkeitserklärung von 1776 ist unser nächstes Ziel. Es wurde in Form einer Säulenrotunde errichtet und zeigt neben der Statue Jeffersons die Gravuren mehrerer seiner Schriften, deren bekannteste sicherlich die folgende sein dürfte:
„We hold these truths to be self-evident: that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain inalienable rights, among these are life, liberty, and the pursuit of happiness, that to secure these rights governments are instituted among men.”
Seine zwiespältige Haltung gegenüber der Institution der Sklaverei lässt sich nur schwer mit seinen Überzeugungen von Freiheit und Gleichheit aller Menschen vereinen, die aus den oberen Zeilen sprechen.
Auch Alexander von Humboldt, der Jefferson eben wegen dessen freiheitlichen Einstellung bewunderte und aufsuchte, wird diesen Widerspruch gesehen haben, war er doch ein entschiedener Gegner jeder Art von Sklavenhaltung. Morgen werden wir in Monticelli, Jeffersons Landsitz, sicherlich mehr erfahren.
Unser letztes Ziel ist heute der Nationalfriedhof Arlington, hauptsächlich Soldatenfriedhof, beeindruckend mit seinen endlosen Reihen einförmiger weißer Grabsteine, Soldaten noch im Tode. Der Friedhof wurde während des Amerikanischen Bürgerkriegs auf dem enteigneten Gelände der Familie des Generals Robert E. Lee, der sich der Konföderierten Armee angeschlossen hatte, eingerichtet. Das Haus der Familie ist noch vorhanden. Auch der 1963 ermordete Präsident John F. Kennedy ist neben anderen Mitgliedern seiner Familie in Arlington beigesetzt.
Nachdenklich, mit vielen Eindrücken von der Geschichte dieses großen Landes, kehren wir ins Hotel zurück.

Elisabeth Schacher, ZEIT-Reisende

Tag 57: 20. Februar 2020

Washington – Monticello – Dinner Kreuzfahrt

»Wie wunderbar ist ein Menschenleben verkettet.«

Alexander von Humboldt

Heute ist ein Ausflug zum Landsitz von Thomas Jefferson geplant. Nach Monticello, Nähe Charlottesville, Virginia. Ich sah lange keinen Sinn darin, zweieinhalb bis drei Stunden aus Washington mit dem Bus rauszufahren, eine Besichtigung durchzuziehen, irgendwo im nirgendwo Mittag zu essen, um dann wieder zweieinhalf oder drei Stunden nach Washington zurückzufahren. Es ist aber der letzte gemeinsamer Ausflug mit der Gruppe in den letzten Tagen der Reise. Ich gebe mir einen Ruck und bin dabei. Es zieht winterliche Landschaft an den Busfenstern vorbei, blätterlose Bäume, trockene Felder, man spürt die Winterkälte in den Knochen, unsere Rufe an den Busfahrer werden lauter, die Heizung doch höherzustellen. Der Himmel ist grau. Ich schließe die Augen und wünsche mir die Sonne Mexicos herbei.

Thomas Jefferson Statue in Monticello
© Antigoni Chrysostomou

 

Jeffersons Mountaintop Residenz
© Antigoni Chrysostomou

Monticello öffnet mir die Augen. Thomas Jefferson, der glorreiche amerikanische Präsident, der die Unabhängigkeitserklärung unterschrieben hat. Thomas Jefferson, der Sklavenhalter. 607. Das ist die Zahl aller Sklaven, die Jefferson zeit seines Lebens gehalten hat. Der Landsitz, ein von Jefferson selbst konzipiertes Haus – er war auch Architekt – thront erhaben auf einem Hügel, drum herum die Plantage und weitläufige Ländereien. In den Minuten, in denen wir auf die Führung warten, öffne ich ein großes, schweres Buch auf einem Lesepult im Museumsladen. Dort ist alles aufgezeichnet. Die Stammbäume der Sklavenfamilien minutiös recherchiert und nachgehalten. Schwarz auf weiß.

Musterbeispiel für Jeffersons neoklassizistische Architektur
© Antigoni Chrysostomou

 

Die Küche
© Antigoni Chrysostomou

Jefferson selbst hat ebenfalls einige bekannte und bestimmt viele unbekannte Nachkommen mit den ihm „anvertrauten“ Frauen gezeugt. Eine davon, Sally Hemings, war jahrzehntelang seine Geliebte. Ihre Nachkommen sind nachweislich Kinder Jeffersons. Er hat die Vaterschaft zu seinen Lebzeiten nie anerkannt, jedoch waren es diese Kinder die einzigen Menschen, die er jemals von der Sklaverei befreit hat. Das Museum räumt Sally Hemings den für die heutige Zeit gebührenden Platz ein und präsentiert sie würdig als geschichtliche Person und nicht nur als Konkubine. Eine junge Amerikanerin führt uns kompetent und einfühlsam durch das Haus und erzählt sachlich vom Vermächtnis aber auch von den Widersprüchen dieses berühmten Mannes.

Ausstellungsraum und Hommage an Sally Hemings
© Antigoni Chrysostomou

Am Abend haben wir unser letztes gemeinsames Dinner. Es soll stimmungsvoll sein. Dafür ist ein schwimmendes Restaurant ausgewählt, ein Boot namens Odyssey. Der Name beschreibt auch gut, was wir in den letzten zwei Monaten durchgemacht und erlebt haben. Wir kommen in der Dämmerung an, die Lichter am Hafen erhellen das blaugraue Licht des schwindenden Tages. Auf dem Boot, welche große Überraschung! Zwei Gäste sind da. Frau Dr. Amanda Eva Bauzá Iraola, Geschäftsführerin des Centrums für Naturkunde in Hamburg und Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, wissenschaftlicher Direktor dieses Centrums, Biologe und Spezialist für Evolution und Biodiversität. Deren Reisepläne haben sich mit den unseren gekreuzt. Matthias Glaubrecht fasst pointiert in wenigen Worten zusammen, was nun Humboldts Verdienst war und wo auch seine Grenzen liegen. Fühlt sich an wie das Schlusswort dieser langen Humboldt Reise.

Ausklang einer Reise
© Antigoni Chrysostomou

Danach essen und trinken und tanzen wir. Wir sind nicht alleine auf dem Boot. Wir teilen die Tanzfläche mit einer afroamerikanischen Hochzeitsgesellschaft. Wir tanzen gemeinsam. Es ist Platz für alle da.

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 58: 21. Februar 2020

Washington – Flug nach Europa

»Kein Schicksal vermag etwas über das Innere unserer Seele.«

Alexander von Humboldt

Wir sind noch in Washington DC
© Antigoni Chrysostomou

Es ist der Tag der Abreise. Nach einer Zeit im Fluss, im Nichtwissen über Datum oder Wochentag, in dem Gefühl, das sich schnell einstellt, es könnte ewig so weitergehen, kommt nach mehrmals Schlafen doch das Datum, auf das die Flugscheine nach Hause ausgestellt sind. Morgens gibt es auch schon wieder ein Programm, eine kleine Stadtbesichtigung per Bus, ich aber werde die Zeit nutzen, um zu packen und ausnahmsweise ausgiebig zu frühstücken. Unser Reiseleiter hat endlich Erbarmen mit uns. Zum ersten Mal dürfen wir die Koffer erst um 11:00 zur Rezeption bringen, damit sie in den Bus kommen. Abfahrt für alle 11:30.

Morgentliches Koffereinsammeln, hier in einem Hotel in Mexiko
© Antigoni Chrysostomou

Manche nutzen noch eine letzte Chance, das nahe gelegene National Geographic Museum auf die Schnelle zu besuchen. Es laufen zwei interessante Ausstellungen, die ich am Abend zuvor schon gesehen und weiterempfohlen hatte. Eine wunderbare Ausstellung mit dem Titel „Women“ mit Fotos von Frauen aus aller Welt aus den Archiven des National Geographic und eine ebenso schöne Ausstellung über Jane Goodall. Bei so viel Humboldt Fixierung über zwei Monate freue ich auch mal über eine andere Forscherin. Auf den Spuren von Jane Goodall, die wiederum auf den Spuren der Schimpansen war. Wir waren auf den Spuren Alexander von Humboldts. Ich mag diesen Ausdruck, auf der Spur von jemandem sein und den Weg nachzeichnen und manchmal gehe ich doch gerne meinen eigenen Weg. Ab morgen gehen wir alle wieder unsere eigenen Wege. Zuvor heißt es jedoch Abschied nehmen. Abschied von Peko, Abschied von einander.
Zu Ehren Pekos dichtet unsere Mitreisende Ilona Haß folgenden wunderbaren Text frei nach dem Song von Chris Rogers „Hab‘ ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe“. Dazu gibt es wohl eine Assoziation, die Insidern vorbehalten ist. Tage vorher kursieren schon kopierte Kurz- und später erweiterte Langversionen im Bus, streng vertraulich natürlich, die Zettel gehen von Hand zu Hand, die Gruppe soll sich schon mal aufs Singen vorbereiten. Da Ilona die Initiatorin dieser Aktion ist, sind wir alle doppelt froh, dass Ihre Einreise in die USA, trotz der kleinen Visum Eskapade auf dem Flughafen in Mexiko-Stadt, gelungen ist.

Brauerei in Washington DC
© Antigoni Chrysostomou

Und dann mitten in Washington DC, in einer Lokalbrauerei mit Craft Beer wie Indian Pale Ale und sogar Kölsch, bei strahlendem Sonnenschein an einem kühlen Februar Mittag, mit der einen Pobacke gefühlt noch im Bus die Unebenheiten der Straßen Kolumbiens, Ecuadors, Perús und Mexikos nachspürend – an Kubas Straßen erinnere ich mich kaum, schon so lange her, mit den Gedanken an die vielen so gleichen und so verschiedenen Haciendas, mit einem wehmütigen Blick und einem Lächeln für Peko, stimmen wir gemeinsam das Lied ein.

Peko wird mit symbolischem Abzeichen geehrt
© Antigoni Chrysostomou

Trinidad und Cartagena
Bogotá und Chimborazo,
Cajamarca, Lima, Mexico –
Kirchen, Tempel, Pyramiden,
Berge, Seen und Vulkane
sahen wir und sind so richtig froh.
Wir sehen jetzt, dass es zu Ende geht,
aber halt, es ist noch nicht zu spät:

Refrain:
Hab‘ ich euch heute schon gesagt,
wohin wir reisen?
Hab‘ ich euch heute schon gesagt,
wohin wir geh‘n?
Jeder Tag ist geprägt durch von Humboldt
Jeder Tag ist ein Tag erst durch ihn!
Hab‘ ich euch heute schon gesagt,
was wir uns anseh’n?
Hab‘ ich euch heute schon gesagt,
wo Humboldt war?
Jeder Tag ist ein Tag nur durch Peko allein
Dafür werden wir dir immer dankbar sein!
2.
Humboldtleser und -experte,
Krankenpfleger, Krisenglätter,
Peko ist der Helfer in der Not!
Koffersticker-, Bandbesorger,
Trinkgeldsammler, Sitzplatzordner,
Abends ist sein Jacket dunkelrot.
Refrain…
3.
Fußballfan und Bierexperte
dazu fehl’n ihm nie die Worte
und er macht uns damit so froh.
Wenn abends dann die Sonne si-inkt,
er mit uns Tequila tri-inkt,
Rum – Mescal – und Pisko ebenso.
Refrain…
4.
Botschafter und Professoren
hat für uns er auserkoren,
all das hat er mö-öglich gemacht.
Wir waren oftmals Plagegeister
auch das hat er gut gemeistert,
Peko lebe hoch für diese Tat.
Refrain…
5.
58 lange Tage sind wir mit dem Bus gefahren,
das ist nun vorbei, nun seid doch froh!
Endlich keine Gruppenreise,
Gruppenklo und Gruppenspeise,
endlich wieder frei, das woll’n wir so!
Wir weinen jetzt, weil Peko uns schon fehlt!
Aber halt, bevor ihr alle geht:

Hab‘ ich euch heute schon gesagt,
wohin wir reisen?
Hab‘ ich euch heute schon gesagt,
wohin wir geh‘n?
Jeder Tag ist geprägt durch von Humboldt
Jeder Tag ist ein Tag erst durch ihn!
Hab‘ ich euch heute schon gesagt,
was wir uns anseh’n?
Hab‘ ich euch heute schon gesagt,
wo Humboldt war?
Jeder Tag ist ein Tag nur durch Peko allein
Dafür werden wir dir immer dankbar sein!

Die Reisegruppe vor dem Humboldt Denkmal in Mexiko-Stadt
© Antigoni Chrysostomou

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende

Tag 59: 22. Februar 2020

Europa – Zuhause

»Das Reisen und Umherziehen, nicht zwischen Berlin und Paretz, sondern da, wo der Geist etwas beschäftigt sein kann, ist mein Element.«

Alexander von Humboldt

Ich packe meinen Koffer aus und da kommen zum Vorschein die Packungen kolumbianischen Kaffees, einige Armbänder aus Tagua Nuss, einer harten Nuss, die sich poliert wie Elfenbein anfühlt, die von ecuadorianischen Frauen gewebten Baumwollschals, drei davon, zwei sind für meine Freundinnen, der weiße Alpaka Schal, das rote T-Shirt mit dem Gesicht einer Amazonas Indigenen für meine Patentochter, die bei einer Gruppe indigener Frauen des Amazonas aus Gras hergestellten Schale. Die letzten Sachen in einem wunderbaren Artesanias Laden unter der Kathedrale an einem der Hauptplätze in Quito gekauft und das alles, weil ich mich mal aus dem Hauptprogramm für kurze Zeit herausgestohlen hatte.

Kann nur vor Ort bewundert werden – kolumbianische Flora
© Antigoni Chrysostomou

Als der freundliche Golden Retriever am Flughafen von Washington beschnuppernd hinter meinem Koffer herläuft, frage ich mich, ob er nur auf Drogen getrimmt ist oder auch meine lose eingepackten Kakao Riesenkugeln anzeigen wird. Wie schön, der Hund interessiert sich nicht für Kakao, die Kugeln schaffen es bis nach Hause. Die kleine Flasche Agave Schnaps aus dem Äquator auch, eine Menge so viel wie Weihwasser von einer Pilgerreise. Die jungen Ecuadorianer hatten die Idee, ein Humboldt Etikett anzubringen, das wirkt.

Agave Pflanze
© Antigoni Chrysostomou

Da kommt auch zum Vorschein die große bunte Tischdecke aus Guamote in Ecuador. Die sehr weise mitreisende Barbara sagte mir wiederholt: „Das brauchst Du alles nicht“. Das stimmt, und doch habe ich hier und da einiges mitgenommen. Ich habe sogar einen ovalen geschliffenen Stein aus Obsidian in der Größe der halben inneren Handfläche mitgeschleppt. Gekauft bei der Mondpyramide in Teotihuacán in Mexiko und eine Mitreisende ebenfalls zum Kauf eines solchen Steins animiert. Da ist ja auch noch die kleine bei der Reise entstandene Bibliothek, Kunstbücher oder kleine Dokumentationen aus archäologischen Stätten. Die zwei wunderbaren bebilderten Sonderausgaben von Gabriel García Márquez auf Spanisch würde ich am liebsten verschweigen – „wann willst Du das alles lesen?“.

Künstler in Ecuador
© Antigoni Chrysostomou

Ist es Konsumverhalten? Und wenn schon. Die Preise waren gut und für uns aus Europa auf jeden Fall tragbar. Wenn ich schon die Länder bereise, warum soll ich auch nicht das lokale Kunsthandwerk unterstützen? Die Menschen haben sich gefreut, wenn man was mitgenommen hat, das zählt. Mich freute es auch immer wieder, den einen oder anderen Herrn unserer Reisegruppe mit einem neuen, manchmal auch bestickten, Hemd aus einem Laden rauskommen zu sehen, als sei nichts gewesen.

Musiker in Havanna
© Antigoni Chrysostomou
Das Fernweh bleibt – Pazifikwellen vor Lima
© Antigoni Chrysostomou

Während der Reise wurde oft der Ausdruck verwendet „wir haben Humboldt im Gepäck“. Jetzt, wieder dort angekommen, wo die Reise begonnen hat, habe ich was Anderes im Gepäck. Nicht nur all die Mitbringsel, sondern auch die Bilder der vielen Menschen, die wir getroffen haben, ihre Freundlichkeit, ihre Lebensfreude, die Erinnerung an die Landschaften quer durch einen ganzen Kontinent, die warme Sonne, die früher zurecht eine Gottheit gewesen ist, neues Wissen, das zu Zeiten der Informationsflut hoffentlich ein wenig bei mir bleibt. Ein kleiner Teil von mir reist in Gedanken immer noch durch die Anden oder durch Mexicos Kakteenlandschaften oder geht in mir vorher völlig unbekannten Städten spazieren.

Das sprichwörtliche und mir auch eigene Humboldt‘sche „Treiben in mir“ hat sich zu einer Nähe in mir verwandelt, einer Nähe zu den bereisten Ländern.

Antigoni Chrysostomou, ZEIT-Reisende